Pressestimmen

Gauck zum Islam "Besserwisserisch und vermessen"

Bundespräsident Joachim Gauck - er ist gut für Überraschungen.

Bundespräsident Joachim Gauck - er ist gut für Überraschungen.

(Foto: dapd)

Bundespräsident Gauck relativiert die Aussagen seines Vorgängers Wulff über die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland - und tritt damit eine neue Debatte los. An der beteiligen sich auch die deutschen Tageszeitungen. Die Meinungen gehen auseinander.

Die Neue Osnabrücker Zeitung schreibt: "Joachim Gauck hat bei seiner Israel-Reise aufblitzen lassen, dass er ein unabhängiger, frei denkender Bundespräsident sein will. Eigenwilligkeit ist ihm nicht fremd. Noch zeigt sich der Unterschied zu anderen in Nuancen. Wie in der Distanzierung zu der Aussage seines Vorgängers Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Gauck hat gesagt, dass die Muslime, die hier leben, zu Deutschland gehören. Damit setzt er die beiden Wertetraditionen nicht auf eine Stufe, heißt die Muslime mit ihrer Religion aber herzlich willkommen. Wie er sich mit dieser Einordnung von SPD und Grünen absetzt, so distanziert er sich mit der Infragestellung der Sicherheitsgarantie für Israel von Bundeskanzlerin Merkel. Mit kritischen Worten oder vielsagendem Schweigen wird der Bundespräsident der Politik noch öfter die Stirn bieten."

Ähnlich urteilt die Süddeutsche Zeitung: "Es gibt in der bisherigen Amtszeit Gaucks eine interessante Parallele: Sie betrifft den Satz seines Vorgängers Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Auch diesen Satz wollte Gauck nicht übernehmen. Er würde ihn 'so nicht formulieren', hat er gleich nach seiner Wahl gesagt. Wollte er damit nur gegen seinen Vorgänger nachtreten? Oder ist er gar ein Gegner des Islam und der Migranten? Natürlich nicht. Der bewusste Kniff, sich Begriffe anderer nicht einfach anzueignen, spricht eher dafür, dass dieser Bundespräsident eben nicht nur im Reden gekonnt mit Sprache umgeht, sondern auch im Schweigen. Er verwendet Sprache meistens klug, aber er hinterfragt sie auch. Wer wüsste schließlich besser als ein Kirchenmann, dass mit dem Aussprechen eines Wortes der Anspruch, der damit erhoben wird, noch längst nicht erfüllt ist."

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Die Kieler Nachrichten finden ebenfalls lobende Worte: "Noch vor seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land hat Joachim Gauck nun auch noch am einzigen inhaltlichen Erbe von Christian Wulff gekratzt. Der vieldiskutierte Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, ist derart umfassend, dass Gaucks Präzisierung hilft. Natürlich gehören Muslime, die hier leben, zu Deutschland. Aber zentrale Errungenschaften der europäischen Kulturgeschichte, wie Reformation und Aufklärung, haben den Islam bis heute kaum erreicht. Wenn es Gauck nun noch gelingt, seine Liebe zum Wort nicht in Selbstverliebtheit umschlagen zu lassen, dann könnte er in der Reihe der Bundespräsidenten irgendwann zu den ganz großen gehören."

Die Westdeutsche Zeitung interpretiert: "Dank der deutlichen Worte Gaucks haben alle eine klare Orientierung: Von Überfremdungs-Ängsten verunsicherte Deutsche hat er ein Stück beruhigt. Den Einwanderern hat er signalisiert: Ihr seid willkommen, aber bitte versucht, die deutsche Sprache und Kultur zumindest zu akzeptieren - sie anzunehmen wäre noch besser. Gaucks Botschaft lautet weiter: Migranten müssen ihre Wurzeln nicht verleugnen, doch eine intolerante Parallelkultur darf keine Chance haben."

Der Münchner Merkur meint: "Gut, dass der neue Bundespräsident die Integrationsdebatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit wieder auf die Füße stellt. Es ist ein Unterschied, ob man, wie Gauck, Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland willkommen heißt oder, wie sein Vorgänger Wulff, deren mitunter problematisches kulturell-religiöses Erbe - und dieses auch noch auf die gleiche Stufe hebt wie die christlich-jüdische Wertetradition. Genau diese Gleichsetzung war es, die Wulffs Umarmung des Islams so falsch und so anbiedernd machte. Wulff muss sich von Gauck ebenso düpiert fühlen wie die Kanzlerin, deren Sicherheitsversprechen für den Staat Israel er tags zuvor hinterfragt hatte. Dieser Präsident, daran muss man sich gewöhnen, lässt sich das Recht auf eine eigene Meinung nicht nehmen."

Die Westfälischen Nachrichten lassen leise Kritik anklingen: "Man hätte es sich denken können: Vorgestanzte Formulierungen, diplomatische Leerformeln nachreden - das ist nicht die Welt des differenziert denkenden Freiheitskämpfers Gauck. Er hakt nach, prüft vieles an der Messlatte seines eigenen Gewissens. Das hat Charme, ist aber eine schwierige Gratwanderung. Einerseits wünschen sich die Deutschen authentische, wahrhaftige Politiker von echtem Schrot und Korn - wie Gauck. Doch kommen markante Sätze oder Kritik, erregt sich die Öffentlichkeit mir nicht dir nichts über den vermeintlichen Fauxpas. Es wirkt eben etwas besserwisserisch, altväterlich und vermessen, Kernsätze der Kanzlerin oder seines Amtsvorgängers Wulff zu korrigieren."

Auch die Rhein-Neckar-Zeitung ist irritiert: "Lange vor Wulff, hatte 2006 bereits Wolfgang Schäuble gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Niemand störte sich daran. Wieso sich Gauck nun an einem Satz stört, der als einzige politische Hinterlassenschaft seines Vorgängers übrig bleibt - das erstaunt zumindest. Vielleicht musste sich der Präsident aus persönlichen Gründen diesmal von SPD und Grünen distanzieren, so wie er ja auch in Nahost die Distanz zu allen Beteiligten wahrt. Doch dem Miteinander in Deutschland nutzt diese Form der Abgrenzung nicht."

Quelle: ntv.de

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