Pressestimmen

Geplanter Streik der Ärzte "Das ist geradezu geschmacklos"

371n2325.jpg5305466338033537756.jpg

(Foto: dpa)

Patienten müssen sich in Deutschland ab der kommenden Woche auf verriegelte Praxen gefasst machen. Der Grund: Niedergelassene Ärzte wollen im Zuge des Honorarstreits mit den gesetzlichen Krankenkassen ihre Sprechzimmer geschlossen halten – und das in großem Stil. Verständnis ernten die Mediziner kaum und auch die Solidarität der deutschen Presse bleibt verhalten.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hegt Zweifel an dem Ergebnis der Urabstimmung: "Vor den Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen am Samstag plustern sich die Ärztefunktionäre mächtig auf. 75 Prozent der niedergelassenen Mediziner seien zur Praxisschließung bereit, wollen deren Verbände glauben machen. Doch bei Lichte besehen hat nur einer von drei Kassenärzten an der Abstimmung teilgenommen, und nur jeder vierte nennt die befristete Praxisschließung eine Option. Das ist im chronisch zerstrittenen Medizinerlager - allein den Briefkopf der 'Ärzteallianz' zieren fast drei Dutzend Verbände - eine Leistung". Die Zeitung aus Hessen ist skeptisch, ob dies die Kassen erzittern lässt – und fügt an: "Elf Prozent Gehaltsplus wären auch im üppigen Tarifjahr 2011/2012 einsame Spitze".

Das Hamburger Abendblatt schiebt den Schwarzen Peter an die Krankenkassen: "Der aktuelle Streit um die Honorare ist die heftigste Auseinandersetzung, die es zwischen Ärzten und gesetzlichen Krankenkassen bislang gegeben hat. Und das hat mit einem Kassenverband zu tun, der eine Kommunikationsstrategie fährt, die an Verleumdung erinnert. Dagegen sind die Nadelstiche der Ärzte mit ihren angekündigten Bummelstreiks beinahe schon läppisch. Kein verantwortungsvoller Doktor wird einen kranken Patienten im Stich lassen. Die Kassen wollten sich zu Anwälten ihrer Versicherten stilisieren. Dadurch haben sie die Ärzte in ihrer Wut zusammengeschweißt".

Die Neue Westfälische aus Bielefeld erkennt hingegen "die Unaufrichtigkeit beider Seiten": Natürlich ist es kurzsichtig, ja geradezu dumm von den Kassen gewesen, die Ärzteschaft mit immer neuen unbewiesenen Behauptungen als Bande von Abzockern darzustellen. Bei allen Missständen wie der IGelei: Das war weit überzogen. Genauso heuchlerisch ist es auf Seiten der Ärzteschaft, so zu tun, als ginge es um das Wohl der Patienten in Deutschland. Das ist abwegig. Es geht ums Geld. Das nun aber auch noch mit dem Vokabular eines Arbeitskampfes zu garnieren ist geradezu geschmacklos. Nein, Ärzte streiken nicht. Sie wissen überhaupt nicht, was ein Arbeitskampf, ein Streik gar für alle Beteiligten bedeutet, und nein, eine Urabstimmung mit einer Beteiligung von 30 Prozent ist keine".

Wenig Verständnis für das Aufbegehren der Ärzte zeigen die Nürnberger Nachrichten: "Die finanzielle Situation der Ärzte ist zum einen im Vergleich mit anderen Freiberuflern und einer ähnlich anspruchsvollen Ausbildung wirklich gut: Selbst die eigene Interessenvertretung errechnet im Durchschnitt weit über 5000 Euro netto im Monat". Der Kommentator aus Mittelfranken verweist darauf, dass selbst viele Rechtsanwälte von einem solchen Einkommen nur träumen könnten. Zum anderen sei selbst die Inflation ein schlechtes Argument: "Zwischen 2007 und 2011 stiegen die Honorarzahlungen der gesetzlichen Krankenkassen um etwas über 20 Prozent; da darf man ruhig unterstellen, dass die Geldentwertung gut ausgeglichen wurde. Das können bei weitem nicht alle Patienten von ihrem Einkommen behaupten".

Die Stuttgarter Zeitung erkennt den Fehler im System und rät: "Statt sich in einen unwürdigen Arbeitskampf zu verzetteln, sollten die Mediziner über die Ungerechtigkeiten bei der internen Geldverteilung beraten. Das Honorarsystem ist so kompliziert, dass nur wenige Experten durchblicken. Aber augenfällig sind hohe Einkommensunterschiede - beispielsweise zwischen gut bezahlten Onkologen und schlechter bezahlten HNO-Ärzten und Hausärzten. Gerätemedizin wird besser entlohnt als sprechende Medizin. Auch, dass die Facharztdichte beispielsweise am Starnberger See extrem hoch ist, aber im Schwarzwald für Hausärzte nur schwer Nachfolger gefunden werden, ist ein Beleg für mangelnde Verteilungsgerechtigkeit".

Für den General-Anzeiger bleibt die ungleiche Honorarverteilung zwischen den Arztgruppen "ein Skandal". Sie trage mit dazu bei, dass sich auf dem flachen Land immer weniger Allgemeinmediziner niederlassen wollen: "Gerade der Hausarzt, schlecht honoriert, ist ein Beruf, den viele aus Berufung wählen". Gleichwohl seien aber auch die angedrohten Proteste der Praxisärzte  eine " Zumutung für die Versicherten". Die Zeitung aus Bonn kommt zu dem Schluss: "Wenn Krankenkassen und Ärzte keine Lösung finden, muss sich die Politik einschalten. Der Gesundheitsminister aber duckt sich bisher weg".

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen