Pressestimmen

Erdogan besucht Deutschland "Diese Türkei braucht die EU nicht"

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Der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan wirbt in Berlin für einen EU-Beitritt der Türkei. Die Union brauche sein Land, betont er. Die deutschen Tageszeitungen sehen das anders. Für sie ist Erdogan der Grund, warum die EU die Türkei in ihrem jetzigen Zustand gerade nicht braucht.

"Die EU brauche die Türkei, erklärt der stolze Premier in Richtung Brüssel. Das stimmt nur bedingt - und zurzeit leider überhaupt nicht.", stellt die Heilbronner Stimme fest: "Diese Türkei, der Ministerpräsident Erdogan vorsteht, braucht der Staatenbund ganz bestimmt nicht. Eine Regierung, die mit Rechtsbeugung einen peinlichen politischen Skandal zu vertuschen sucht. Die versucht, Religion und Politik auf eine gefährliche Art und Weise unentwirrbar zu vermischen und viele Ideen des aufgeklärten Staatsgründers Kemal Atatürk in den Staub tritt. Die Vorbildrepublik für viele islamische Länder hat Erdogan in eine Fassadendemokratie verwandelt."

"Die EU, da irrt sich Erdogan in Berlin gewaltig, braucht diese Türkei in dem jetzigen, ungefestigten Zustand nicht.", ist sich auch das Düsseldorfer Handelsblatt sicher: "Das wissen auch die Beitritts-Bejaher wie etwa Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dessen elendige Aufgabe es jetzt ist, die unselige und auch unwürdige Tradition des Hinhaltens der Türkei erneut zu beleben. Tatsächlich hat das Land in den letzten Jahrzehnten Fortschritte bei der Demokratisierung erreicht. Erdogan selber aber hat in den letzten Monaten tiefe Zweifel gesät, ob der demokratische Firnis über dem Land kratz- und hiebfest ist."

"Es reicht bei weitem nicht aus, wenn Erdogan wie jetzt in Berlin, auf die wirtschaftliche Stärke seines Landes verweist und daraus ableitet, die EU brauche die Türkei", meint die Hessisch Niedersächsische Allgemeine aus Kassel: "Das klingt nach realitätsferner Hybris. Politisch bewegt sich das Land rückwärts, man schaue nur auf den Umgang mit Minderheiten, die Repressionen gegen oppositionelle Bewegungen, die Säuberungen im Staatsapparat. Die Türkei ist - wie sie sich zuletzt präsentiert hat - mit einer privilegierten Partnerschaft zur EU, die einst die Bundeskanzlerin formulierte, gut bedient. Erdogan liefert derzeit keinen Grund, daran etwas zu ändern."

Auch die Stuttgarter Zeitung vertritt die Ansicht: "Mit seinem Autokratismus vertieft Erdogan Tag um Tag den Graben zwischen seinem Land und der Europäischen Gemeinschaft. Die Versuchung ist groß, in diesem Moment zu sagen: dann soll Erdogan doch sehen, wie er und sein Land alleine zurecht kommen." Allerdings glaubt das Blatt auch: "Aber den Schaden hätten nicht nur die Türken, sondern auch die EU-Völker. Angesichts der Bürgerkriege und politischen Spannungen in Nahost, angesichts der Wirtschaftskrise in vielen südeuropäischen Ländern braucht die EU dringender denn je eine stabile, ökonomisch potente, partnerschaftlich gesinnte Türkei."

Die Schwäbische Zeitung aus Ravensburg hebt ebenfalls hervor: "Erdogan hat gerade im vergangenen Jahr eindrücklich dokumentiert, dass sein Land derzeit sicher nicht in die EU gehört. Der ehemalige Reformer gebärdet sich wie ein absoluter Herrscher: Dieser Lenker, der mal ein Reformer war, betrachtet sich in maßloser Selbstüberschätzung als moderne Version von Staatsgründer Atatürk. Leider findet er nicht den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören." Doch auch sie schreibt: "Das ist schade für ein sympathisches Land mit einem beeindruckenden Wirtschaftswachstum und einer zumindest in Istanbul lebendigen Zivilgesellschaft."

Das Delmenhorster Kreisblatt sieht das ebenso: "Erdogan und seine konservative AKP stehen nicht gerade für eine moderne Türkei. Der Einfluss der religiösen Rechten ist gewachsen und das Gebaren von Polizei und Justiz bei den Protesten auf dem Istanbuler Taksim-Platz zeigt, dass dieses Land noch nicht reif ist. Doch die Unzufriedenheit vor allem junger Türken gibt Anlass zur Hoffnung. Einer weltoffenen Türkei nach der Ära Erdogan sollten auch CDU und CSU nicht die Tür vor der Nase zuschlagen."

Zusammengestellt von Laura Kleiner

Quelle: ntv.de

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