Hartz-IV-Urteil "Kinder haben mehr verdient"
09.02.2010, 19:02 UhrDie Hartz-IV-Sätze für Kinder sind nicht verfassungskonform: Der Urteilsspruch der höchsten Richter aus Karlsruhe ist "eine Ohrfeige für die Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung", die unter Gerhard Schröder das Gesetz auf den Weg brachte, aber auch "eine Ermahnung an die Politik", die Bedürfnisse der Menschen nicht aus den Augen zu verlieren, so n-tv.de. Auch die Presse begrüßt den Rechtsspruch und hofft auf eine rasche Korrektur der "sozialen Schieflage".

(Foto: dpa)
Mit ihrem Urteil, dass "die größte Sozialreform" gegen die Verfassung verstößt, haben die Richter "die 'Höchststrafe' für den Gesetzgeber verhängt", schreibt die Landeszeitung Lüneburg. "Dass sich die Richter in ihrem Urteil sogar auf Artikel 1 des Grundgesetzes beziehen, verdeutlicht die Dimension dieses Falles. Dass der Gesetzgeber nur bis zum Jahresende Zeit hat für eine Neuregelung, verdeutlicht, für wie dringend Karlsruhe eine Änderung bei den Regelsätzen für Kinder erachtet. Das Gericht hat zwar nicht explizit eine Erhöhung der Sätze vorgeschrieben. Doch es wird darauf hinauslaufen - mit gravierenden Folgen für die Politik. Spielraum für Steuergeschenke ist nicht mehr existent. Gerade die FDP muss sich die Frage stellen, ob Klientelpolitik der richtige Weg ist. Für die Beseitigung der sozialen Schieflage in diesem Land ist sie in jedem Fall ungeeignet."
"Die Pi-mal-Daumen-Willkür, mit der Kindern rund 60 Prozent des Erwachsenen-Existenzminimums zugestanden wurde, ist den Verfassungsrichtern sauer aufgestoßen", fasst die Nordsee-Zeitung (Bremerhaven) zusammen. Für das Arbeitsministerium tue sich nun "eine gewaltige neue Baustelle auf" und die Frage: "Wie können wir künftig Kinderarmut verhindern und für mehr Bildung sorgen" zeigt dabei den richtigen Weg. "Denn ob der Nachwuchs von Hartz-IV-Empfängern an der Gesellschaft teilhaben kann, liegt keineswegs nur an einer ausreichenden Menge Rumpsteaks mit Soße, der Anzahl der Schuhe oder Smartphones. Kinder verdienen mehr - und zwar genügend Kindergartenplätze, ganztägige kostenlose Bildung, Zuwendung und gleiche Aufstiegschancen."
Die Süddeutsche Zeitung kommentiert: "Schade, dass dieses große Urteil erst jetzt gesprochen wurde. Schade, dass erst fünf Jahre ins Land gehen mussten, bis festgestellt wurde: Hartz IV ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Schade, dass so viel politische Energie dabei vergeudet wurde, dieses Gesetz auf Parteitagen, in Wahlkämpfen und in Abertausenden Diskussionen zu verteidigen. Hartz IV hat die politische Landschaft, auch die parteipolitische, in Deutschland sehr verändert. Dabei wird es bleiben, auch wenn es Hartz IV nicht mehr gibt. Die Anstrengung, welche Union, SPD, FDP und Grüne bei der fünfjährigen Verteidigung dieses verfassungswidrigen Gesetzes gezeigt haben - man wünscht sie sich gerade jetzt - bei dessen grundlegender Revision."
"Als Ruine hat die Berechnungsmethode für die Hartz-Leistungen das Verfassungsgericht verlassen - wobei die Richter nicht den Grundsatz des Hartz-IV-Systems in Frage stellen und auch nicht die Höhe der Leistungen generell als unzureichend aburteilen", konkretisiert die Berliner Zeitung, denn die "vernichtende Kritik richtet sich gegen die Methode ihrer Ermittlung: Ohne empirische und methodische Fundierung, freihändig, intransparent, nicht nachvollziehbar, sachwidrig, ja: ins Blaue hinein - so beschreibt das Gericht die Art und Weise, wie der Lebensunterhalt von fast sieben Millionen Bundesbürgern nach diesem Gesetz berechnet wird. Das kann man allerdings eine schallende Ohrfeige nennen."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Katja Sembritzki