Pressestimmen

Eine groteske Verrenkung Nachschlag für Hartz-IV-Bezieher

Die Zustimmung der SPD zur Hartz-IV-Reform hat sich die Bundesregierung teuer erkauft. In der letzten Verhandlungsrunde legte der Bund nochmals rund 300 Millionen Euro bei der Erhöhung des Arbeitslosengeldes II und beim Bildungspaket für Kinder drauf. Die rund 4,7 Millionen erwachsenen Hartz-IV-Bezieher können nun im April mit der zum 1. Januar rückwirkenden Auszahlung der erhöhten Regelsätze rechnen. Das Gesetz soll am Freitag in einer Sondersitzung des Bundesrates verabschiedet werden. Sozialverbände kritisierten die Einigung. Aber auch die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen sprechen von einem Kompromiss mit Ecken, Kanten und Fragezeichen.

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(Foto: dpa)

Dass daher nicht alle zufrieden sind und insbesondere die Wohlfahrtsverbände mehr erwartet haben, davon geht die Leipziger Volkszeitung aus. "Aber die Einigung ermöglicht wenigstens überhaupt ein Handeln im Interesse der Betroffenen. Mit fünf Euro mehr können Hartz-IV-Empfänger wahrlich keine großen Sprünge machen. Aber der Zuschlag in der Tasche ist erst einmal besser als das ewige Warten auf das nächste Versprechen. Dass dann noch drei Euro drauf gepackt werden, verbessert die Aussichten. Allerdings mutet das Ganze eher an wie eine politische Pokerpartie und nicht wie ein transparentes Verfahren zur Bedarfsermittlung. Ob das alles verfassungskonform ist, steht noch dahin."

"Bedarfsgerecht und transparent berechnet sollten die Sozialleistungen sein, hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert", schreibt ebenfalls das Hamburger Abendblatt und weist darauf hin, dass die Juristen eigentliche den Rechtsfrieden herstellen wollten in der Frage, was der Mensch zum Leben braucht. "In dem Regeldickicht hatten sich Hartz-Antragsteller und Sozialrichter gleichermaßen verheddert. Doch ein Hartz-IV-Kompromiss, der in Hinterzimmern kalkuliert und ausgehandelt wurde und zugleich zu dürftig ist, um als Wohltat bezeichnet zu werden, dürfte kaum weiterhelfen. Über kurz oder lang dürfte das Thema daher wieder in Karlsruhe landen."

Das Handelsblatt nimmt den Kompromiss haushaltspolitisch unter die Lupe und schreibt, dass sich die Koalition nun hart am Rande dessen bewege, was man eine Bankrotterklärung nenne: "Um die vielen neuen Leistungen zu finanzieren, muss die Koalition Geld zusammenkratzen, das sie eigentlich nicht hat. Nichts anderes verbirgt sich hinter ihrem Plan, dafür jährlich vier Milliarden Euro aus der Arbeitslosenversicherung abzuziehen. Dass es sich bei dieser Summe dem Ursprung nach um Steuergeld handelt, wie die Regierung emsig betont, ist nur formal richtig. Es ändert nichts am ökonomischen Ergebnis. Das Hartz-IV-Paket muss über eine Mehrbelastung der Beitragszahler finanziert werden."

Union und FDP hätten sich in den Hartz-IV-Verhandlungen von der Opposition über den Tisch ziehen lassen, meinen die Kieler Nachrichten. "Seit die Ministerpräsidenten in den Verhandlungen das Kommando übernommen hatten, waren die Geldschleusen weit geöffnet. Städte und Kommunen können mit einem Milliardensegen rechnen. Dass die Kanzlerin behauptet, die Koalition gehe als Siegerin aus den Verhandlungen hervor, ist ein schlechter Witz. Die Niederlage wird auch den Gutgläubigen bewusst werden, wenn Schwarz-Gelb vor der Schuldenbremse kapituliert."

"Das einzig Gute an dem Hickhack ist, dass er endlich vorbei ist", freut sich der Mannheimer Morgen und grenzt ein. "Vorerst jedenfalls." Dem Bundesverfassungsgericht brauche nur die jetzige Lösung nicht zu gefallen, dann gehe das Spiel von vorne los. "Ursula von der Leyens Berechnung der Regelsätze war methodisch fragwürdig. Das kritisierte die Opposition zu Recht. Aber es wird nicht besser durch drei Euro mehr, die es nun ab Januar 2012 gibt. Hier ging es der SPD nur um einen politischen Nachschlag, der zuletzt zu grotesken Verrenkungen führte. Dass die Grünen da mit verfassungsrechtlichen Bedenken ausstiegen, ist verständlich - obgleich kaum frei von taktischem Kalkül."

"Das Beispiel Hartz IV dokumentiert folglich den - durchaus erfreulichen - Befund, dass manch ideologischer Graben zugeschüttet worden ist", bemerkt die Mitteldeutsche Zeitung. Daraus würden beide Lager eine paradoxe Konsequenz ableiten: "Je mehr sich ihre grundsätzlichen Überzeugungen ähneln, desto verbissener streiten sie um jedes Detail. Dabei verselbständigt sich die Debatte, das Wesentliche gerät aus dem Blick. Es geht den Beteiligten, noch ein Paradox, am Ende ausgerechnet um 'Glaubwürdigkeit'. Dass diese Form der Profilierung letztlich keinem nützt und allen schadet, ist offenkundig."

 

Quelle: ntv.de, Zusammenkopiert von Peter Richter

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