Entwicklung am Arbeitsmarkt "Noch Zeit, Fehlentscheidung zu verhindern"
30.10.2013, 20:31 Uhr
Im Oktober bekommt der Arbeitsmarkt oft einen kräftigen Schub. Davon kann in diesem Jahr nicht die Rede sein - trotz Rekordbeschäftigung: Die flaue Konjunktur sorgt für eine schwache Herbstbelebung; die Hoffnungen auf einen Jobaufschwung werden gedämpft; Arbeitslose profitieren von den neu geschaffenen Jobs kaum. Warum das so ist und was die Politik dagegen unternehmen könnte, darüber diskutieren die Kommentatoren der deutschen Presse.
"Die Arbeitslosenquote liegt bei nur 6,5 Prozent - und damit ist das seit Jahrzehnten angestrebte Ziel Vollbeschäftigung fast erreicht. Doch dieses 'fast' hat es in sich", stellt die Landeszeitung aus Lüneburg fest. "Denn obwohl die Zahl der Erwerbstätigen auf ein neues Rekordhoch gestiegen ist, nimmt die Zahl der Arbeitslosen nur noch geringfügig ab. Grund dafür ist, dass viele gut ausgebildete Zuwanderer Jobs bekommen, während ein Sockel erreicht ist, den jene Langzeitarbeitslosen bilden, die nur sehr schwer oder gar nicht mehr vermittelt werden können. Diese Situation ist die Folge einer jahrzehntelangen Bildungspolitik, die Chancengleichheit zwar propagiert, aber nicht konsequent umgesetzt hat.
"Das war's erst einmal mit den guten Nachrichten vom Arbeitsmarkt", bemerkt die Heilbronner Stimme: "Und das nicht etwa, weil die Wirtschaft lahmt, der Export stottert oder der Binnenkonsum hinkt. So traurig die Wahrheit ist - bei vielen handelt es sich um Personen, die von den Personalern nicht gewollt oder gebraucht werden: Immer noch sind zu viele Ältere alleine wegen ihres Geburtsjahrgangs von vornherein chancenlos. Und nach wie vor hoffen Ungelernte meist vergeblich auf einen Hilfsjob". Das Blatt aus Baden-Württemberg kommt zu dem Schluss: "Allen Hartz-Reformen zum Trotz: Der Boden ist erreicht".
"Adé, Vollbeschäftigung", ist in der Welt zu lesen. Für die in Berlin herausgegebene Zeitung gehen vom Arbeitsmarkt "widersprüchliche Signale" aus: "Zum einen gibt es in Deutschland so viel Arbeitsplätze wie nie zuvor, zum anderen ist der Abbau der Arbeitslosigkeit ins Stocken geraten. Die Arbeitslosen profitieren nicht mehr vom Beschäftigungsboom. (…) Die positiven Effekte der Hartz-Reformen laufen aus, der harte Kern der Arbeitslosigkeit ist erreicht". Hilfe aus Berlin, wo CDU/CSU und SPD über ein Regierungsprogramm beraten, hätten die Betroffenen nicht zu erwarten: "Im Gegenteil. Die künftigen Großkoalitionäre haben nicht die Nöte der Arbeitslosen, sondern die der Arbeitsplatzbesitzer im Blick. Denen wollen sie eine bessere Bezahlung verschaffen. Ein Programm für mehr Arbeitsplätze ist das nicht".
"Die schwierigste Hürde der kommenden Jahre wird weniger sein, für jeden einen Job zu finden. Das Schwierigste wird sein, für jeden Arbeitsplatz eine Fachkraft engagieren zu können", konstatiert die Eisenacher Presse. Denn: "Bis ins Jahr 2020 gehen viel mehr Ältere in Rente als derweil Junge ausgebildet werden können. Der Facharbeitermangel wird - wenn es der Wirtschaft weiterhin gut geht - eklatant". Wer nur nach schönen Prozentzahlen schiele, habe das Gesamtproblem nicht erfasst, heißt es in dem thüringischen Blatt. Deshalb sei in den kommenden Jahren eine vorausschauende Arbeitsmarktpolitik notwendig, "die sich traut, bei der Besetzung von Stellen neue Wege zu gehen. Auch durch Zuwanderer".
Auch wenn Arbeit der beste Schutz vor Armut ist, bedeutet es für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht, "(...) dass jede Arbeit zu jedem Preis hingenommen werden muss". Auch Gesetze könnten Menschen nicht aus der Arbeitslosigkeit hinausbefördern, heißt es weiter. Und deshalb sei "es allerhöchste Zeit mit dem Mythos aufzuräumen, ein allgemeiner Mindestlohn löse alle Probleme des deutschen Niedriglohnsektors. Wenn selbst besonnene Wissenschaftler davor warnen, dass durch die völlig willkürlich gewählte Höhe von 8,50 Euro in der Stunde vor allem Jugendlichen und ostdeutschen Beschäftigten der Gang zum Arbeitsamt droht, dann wird das Schutzargument sogar ad absurdum geführt". Der Ratschlag des Kommentators aus Hessen lautet: "Die SPD sollte deshalb in den Koalitionsverhandlungen endlich von ihrem dogmatischen Einheitsgrundsatz abrücken und Unterschiede anerkennen". Denn die "Warnsignale" seien "nicht zu übersehen".
Die Diskussion um den Mindestlohn macht auch die Berliner Morgenpost zum Thema: Für sie ist es ein "Glück, dass sich Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen noch über den Mindestlohn streiten". Denn: "Noch ringen die potenziellen Koalitionspartner um den Kompromiss. Dabei muss es um mehr gehen als um Gesichtswahrung und Besänftigung der Basis einer Partei. Die Sache selbst und deren Folgen für die Betroffenen ist wichtiger. Noch ist Zeit, Fehlentscheidungen zu verhindern".
Zusammengestellt von Susanne Niedorf
Quelle: ntv.de