Urteil im Burkini-Streit "Schulunterricht ist kein Wunschkonzert"
11.09.2013, 21:40 Uhr
Das Bundesverwaltungsgericht weist die Klage einer jungen Muslimin ab, die sich weigert, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Die Entscheidung facht eine neue Debatte über Religionsausübung, Integration und Selbstbestimmung an. Die Presse diskutiert über mögliche Folgen des Urteils.
"Selbstverständlich gilt auch für muslimische Schülerinnen die Schulpflicht, und ebenso selbstverständlich dürfen sie Entgegenkommen der Schulbehörde erwarten", beurteilt die Berliner Zeitung die Gerichtsentscheidung. Daran habe es hier aber nicht gefehlt. Die Erlaubnis Burkini zu tragen, war laut dem Blatt ein sinnvolles Angebot. "Die Empfindung, der Anblick badehosentragender Jungen sei unerträglich, beruht nicht auf dem Koran, sondern auf der oktroyierten Moral der Eltern des damals elfjährigen Mädchens."
Der Münchner Merkur schreibt: "Das Urteil lässt keinen Platz für fundamentalistische Glaubensauslegungen und ihre juristische Durchsetzbarkeit in einem weltlichen Staat. Zu Recht. Denn was wäre der nächste Schritt? Die Befreiung fundamentalistisch-christlicher Schüler vom Biologieunterricht wie in den USA, wenn dort Darwins Evolutionstheorie gelehrt wird?" Es sei die Kapitulation des säkularen Staates und seines Auftrags, allen Kindern eine moderne und humanistische Bildung zuteil werden zu lassen, meint die Zeitung. "Es geht nicht nur um Religion. Sondern auch um Integration, Gleichberechtigung, das Recht auf Teilhabe, die wir niemandem, der an deutschen Schulen lernt, vorenthalten sollten." Wer dies als Zuwanderer nicht wolle, könne seine davon abweichenden Werte an einem beliebigen anderen Ort der Welt ausleben, kritisiert der Merkur abschließend.
In manchen Klassen sei inzwischen die Mehrheit der Schüler muslimischen Glaubens, so der Kölner Stadt-Anzeiger. Auf diese Vielfalt müsse sich das deutsche Schulsystem einstellen - aber nicht um jeden Preis. "Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Kompromissbereitschaft und Prinzipienlosigkeit. Was im Lehrplan steht, gilt für alle Schüler - egal ob Christen, Muslime oder Zeugen Jehovas. Jede Ausnahme, die Lehrer machen, untergräbt dieses Prinzip. Und damit die Glaubwürdigkeit staatlicher Schulen."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meint: "Vor zehn Jahren wies das Bundesverfassungsgericht in anderer Sache auf den Integrationsauftrag des Grundgesetzes hin, der nicht nur darin bestehe, dass die Religionsfreiheit geachtet werde. Der Auftrag gebiete es vielmehr auch, darauf zu achten, dass sich religiöse Minderheiten nicht abschotten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden nicht verschließen. Es ging dabei nicht um Muslime, sondern um die Schulpflicht bibeltreuer Christen." Der Hessische Verwaltungsgerichtshof sei dem Bundesverfassungsgericht und diesem Integrationsauftrag gefolgt, als es die Burkini-Klage vor einem Jahr abgewiesen hatte, so das Blatt. Die Grenze, die das Grundgesetz setze, sei damit endlich wieder klar. "Das Bundesverwaltungsgericht hat sich deshalb nach zwanzig Jahren aus gutem Grund korrigiert."
Für die Pforzheimer Zeitung ist die Botschaft des Bundesverwaltungsgerichts folgende: "Schulunterricht ist kein Wunschkonzert. Tabus, gespeist aus religiöser Überzeugung, berechtigen nicht dazu, sich rosinenpickerisch Inhalte auszusuchen und missliebige zu meiden. Pluralität gilt es eben auch praktisch zu leben - durch Ausgrenzung oder Selbstausgrenzung kann diese zentrale Aufgabe jeder Schule nur misslingen."
Zusammengestellt von Lisa Schwesig
Quelle: ntv.de