Beschneidungen in Deutschland Tradition trifft auf Recht
27.06.2012, 22:44 UhrDas Kölner Landgericht wertet die rituelle Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung. Religionsverbände sind empört, auch im muslimischen und jüdischen Ausland sieht man die Religionsfreiheit eingeschränkt. Außerdem wird befürchtet, dass die Beschneidungen in Zukunft illegal durchgeführt werden. Auch die Kommentatoren der Zeitungen melden Protest an.

Der Kölner Stadt-Anzeiger erinnert daran, dass die Beschneidung für viele Juden und Muslime keine Frage von Diskussionen ist, sondern fest zum Glauben gehört: "Gemäß Tora und Sunna ist das Beschneidungsgebot für männliche Juden und Muslime bindend. Der deutsche Rechtsstaat garantiert, dass Eltern sich dem Gebot dennoch folgenlos entziehen dürfen - Religionsfreiheit umfasst auch die Freiheit vor Religionen. Deutschland ist jedoch kein laizistischer Staat, sondern bekennt sich in der Präambel des Grundgesetzes zu seinen monotheistisch-kulturellen Wurzeln "in Verantwortung vor Gott" ausdrücklich. Ein Beschneidungsverbot verletzt diesen Rahmen, indem es einen ahistorischen Rechtspositivismus quasi als Ersatzreligion einsetzt. Die Idee von Muslimen, die zu Deutschland gehören, hätte sich damit ganz nebenbei erledigt."
Über die praktischen Folgen eines Beschneidungsverbots denkt das Delmenhorster Kreisblatt nach: "Ein Verbot der Zirkumzision aus religiösen Gründen hätte tragische Folgen für die Betroffenen: Es liegt auf der Hand, dass Muslime und Juden die Operation entweder aufwändig im Ausland oder - schlimmer noch - illegal unter bedenklichen Bedingungen vornehmen ließen. Der Richterspruch von Dienstag gefährdet so das Kindeswohl und die Religionsfreiheit gleichermaßen. Bleibt zu hoffen, dass andere Richter dem Kölner Urteil widersprechen."
Die Berliner Zeitung sieht eine unheilvolle Diskussion aufziehen: "Der Regelungsdrang des Kölner Urteils enthält den Stoff für eine leicht entflammbare Debatte, die doch mit ein bisschen gesundem Menschenverstand im Kontext unterschiedlich verlaufener menschheitsgeschichtlicher Entwicklungen geführt werden könnte. Ein wenig anthropologische Gelassenheit ist dabei hilfreich. Tatsächlich ist die Beschneidung von Kindern und jungen Männern weit weniger archaisch, als es bei flüchtiger Betrachtung erscheint. Für Kulturwissenschaftler stellt sie bereits eine Art Verfeinerung dar, die aus der Geschichte des Menschenopfers hervorgegangen ist. Am Ende dieser Entwicklung ist die Entfernung der Vorhaut, so der Philosoph Christoph Türcke, ein symbolischer Ausdruck, eine Rückerinnerung an die entsetzliche Praxis ritueller Tötungen."
Ein Fazit zieht die Frankfurter Rundschau: "Kulturelle Tradition trifft auf modernes Recht, das Beschneidung als Körperverletzung wertet. Das Urteil ist nicht bindend, aber nachfolgende ähnliche Rechtsprechungen sind wahrscheinlich. Das hat zunächst einmal ganz praktische Folgen. Wenn es Ärzten ausdrücklich verboten ist, Beschneidungen jenseits der medizinischen Indikation vorzunehmen, droht der verstärkte Einsatz von Kurpfuschern mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Risiken für die Kinder. Kaum absehbar sind indes die sozialen Irritationen. (...) Tatsächlich ist es schwer, die Grenzen zwischen zivilgesellschaftlichen Normen und bis ins Archaische zurückreichende Traditionen zu definieren. Und die Errichtung anerkannter Grenzen ist dringend geboten."
Quelle: ntv.de