Pressestimmen

Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht "Warnsignal gegen Doppelmoral"

Die Meinungen zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Entlassung eines Chorleiters wegen einer außerehelichen Beziehung durch eine katholische Kirchengemeinde verstoße gegen die Achtung der Privatssphäre, gehen stark auseinander. Während die einen das Verhalten der Kirche nachvollziehen können und die Entlassung allein aus sozialen Aspekten verurteilen, prangern andere eine "Doppelmoral" an. Differenzierung heiße das Gebot.

Das Verhalten der Kirche findet in der Presse ein geteiltes Echo.

Das Verhalten der Kirche findet in der Presse ein geteiltes Echo.

(Foto: dpa)

"Wenn die Kirche den Straßburger Spruch als unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit begreift, täuscht sie sich", meint die Süddeutsche Zeitung. "Der normale Angestellte darf nicht darunter leiden, dass in Deutschland viele Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser nicht vom Staat, sondern von Kirchen betrieben werden. Die Kirche täte gut daran, wenn sie sich Nachsicht, Barmherzigkeit und Solidarität nicht von einem Gericht beibringen lassen müsste. Das Leitwort des Ökumenischen Kirchentages im Mai lautete: Damit ihr Hoffnung habt. Die Kirchenführer sollten sich daran halten."

Der Mannheimer Morgen hält das Arbeitsrecht der Katholischen Kirche für verstaubt. "Angesichts der hohen Scheidungsrate ist es löblich, wenn sie sich für eine unauflösliche Ehe einsetzt. Doch wie weiter, wenn der Plan von der gemeinsamen Zukunft scheitert? Gerade die Vielzahl von zerbrochenen Ehen hat die Einstellung dazu in der Gesellschaft verändert. Scheidung geht schon lange nicht mehr mit sozialer Ächtung einher, die Entlassung eines Kirchenmusikers, der keine gleichwertige Anstellung findet, schon eher."

Die Badischen Neuesten Nachrichten verteidigen das Verhalten der Kirche: "Kirchen bieten vielen Menschen einen Hort der Geborgenheit: Nicht wenige schätzen katholische Kindergärten, katholische Schulen oder katholische Seniorenheime, weil dort ein besonderer Geist des Miteinanders wehe. Mag sein, dass manche kirchlichen Autoritäten derzeit selbst das eine oder andere dazu beitragen, diesen Geist zu vertreiben. Aber als Ganzes tut die Kirche Recht daran, ihren Mitarbeitern Pflichten und Verhaltensweisen aufzuerlegen, um ihre Besonderheit zu bewahren. Schließlich sollen die Angestellten der Mutter Kirche ihre religiöse Überzeugung nicht nur zu leben versuchen, sondern sie in ihrer offiziösen Funktion auch anderen weitergeben."

Die Allgemeine Zeitung aus Mainz sieht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht an der grundsätzlichen Befugnis der Kirchen rütteln, "Mitarbeiter unter moralischen Erwägungen zu entlassen". Es sei jedoch ein klares Warnsignal gegen Doppelmoral. "Wenn an manchen Stellen der katholischen Kirche Liaisons, die Priester unterhalten, stillschweigend geduldet werden, dann ist es schwer erträglich, wenn ein kirchlicher Mitarbeiter wegen einer Scheidung seinen Arbeitsplatz verlieren soll. Das Gebot heißt: Differenzierung, heißt auch anerkennen, dass der Besitz eines Arbeitsplatzes heutzutage eine so überragende Rolle spielt, dass eine Kündigung zwar möglich sein muss, aber immer nur nach gehöriger Abwägung aller, insbesondere sozialer Aspekte."

Die Westdeutsche Zeitung differenziert zwischen verschiedenen Positionen: "Natürlich ist es nachvollziehbar, dass eine Glaubensgemeinschaft, für die Scheidung und Wiederverheiratung tabu sind, ihren Mitarbeitern ein solches Verhalten nicht erlaubt. Das geht in Ordnung, wenn ein Mitarbeiter in exponierter Position die Botschaft der Kirche nach außen trägt. Aber dass das nicht für jedes Rädchen in der Arbeitsorganisation gelten kann, sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht." Das Straßburger Gericht habe daran erinnert, dass jedermann den Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens habe - Artikel 8 der Menschenrechtskonvention. "Arbeitsgerichte, so der Appell, sollen sich nicht pauschal hinter dem Argument verstecken, der Staat dürfe sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Nadin Härtwig

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