Sauerland-Terroristen verurteilt "Was macht sie verführbar?"
04.03.2010, 20:46 UhrBis zu zwölf Jahre müssen die Sauerland-Terroristen hinter Gitter. Der Prozess war fair und hat gezeigt, dass die Demokratie in Deutschland funktioniert. Das ist die gute Nachricht. Erschreckend aber ist, dass es sich bei zwei der Mitglieder um deutsche Konvertiten handelt, eine Tatsache, die "auch für die Zukunft eine besondere Brisanz" berge, erklärt Rolf Tophoven bei n-tv.de. Die Presse stellt vor allem die Frage, was junge Menschen dazu treibt, sich dem islamistischen Terror zu verschreiben. Eine Frage, auf die momentan niemand eine Antwort findet.

Fritz Gelowicz, Adem Yilmaz, Attila Selek und Daniel Schneider (von links oben im Uhrzeigersinn) - Was trieb sie in die Fänge der "Heiligen Krieger"?
(Foto: dpa)
Die gesamte Abfolge der Ereignisse ist "wie aus dem modernen Lehrbuch", fasst die Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg) zusammen, aber es bleiben Fragen offen: "Diaspora-Islamisten und deutsche Konvertiten wollten ein Blutbad anrichten. Die Polizei hat das geplante Verbrechen aufgedeckt. Die Justiz zieht die fanatisierten Täter mit hohen Haftstrafen aus dem Verkehr. Alles in Ordnung? Nichts ist in Ordnung. Auch der in Islamisten-Prozessen erfahrene Richter muss einräumen: Die Gesellschaft hat keine Antworten auf das beunruhigende Phänomen, das Jugendliche auf Sinnsuche immer mehr anzieht. Abschrecken werden diese Strafen daher nicht."
Dass das Urteil keine abschreckende Wirkung auf gewaltbereite Menschen haben wird, glauben auch die Lübecker Nachrichten im Rückblick auf die RAF: "Erschreckend ist zu erkennen, dass sich die Anlässe für massive Gewaltbereitschaft ändern mögen, die Gewaltbereitschaft selber aber nicht. Das Gefühl, einer brutalen, ungerechten Gesellschaft gegenüberzustehen, die sie nicht braucht, hat schon zu RAF-Zeiten jene verheerende Anziehungskraft entwickelt, die Richter Ottmar Breidling jetzt dem Dschihadismus zuwies. Es wäre deshalb naiv zu glauben, dass ein Urteil wie das gestrige bereits ins gewaltbereite Lager abgedriftete Menschen läutert."
Eine bittere Erkenntnis bringt der Prozess in den Augen der Mitteldeutschen Zeitung (Halle) zutage: "So unterschiedlich die Vorgeschichte der vier Muslime auch gewesen sein mag, die Konditionierung für den Heiligen Krieg fand hierzulande statt - in Moscheen und einem Multikulturhaus, wo radikale Prediger viel zu lange ihre giftige Botschaft vom Märtyrertod verbreiten durften. Wie viele junge Männer, die hierzulande aufgewachsen sind, bisher der verheerenden Anziehungskraft des Islamismus erlegen sind, weiß niemand. Das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis dieses Prozesses: Die Brutstätte für den islamistischen Terror liegt vor unserer Haustür, die Terroristen wohnen nebenan."
Aus drei Gründen hält die Leipziger Volkszeitung den Sauerland-Prozess für bezeichnend: "Dem Rechtsstaat ist es in diesem Fall gelungen, den Terrorismus mit seinen Mitteln zu bekämpfen. Doch nicht nur aus diesem Grund ist der Prozess bemerkenswert. Es war erstens der größte deutsche Terrorprozess seit drei Jahrzehnten. Zweitens standen erstmals deutsche Konvertiten vor Gericht. Das zwingt zu Antworten auf die wichtigen Fragen, was junge Männer, wie Fritz Gelowicz und Daniel Schneider, die hier aufgewachsen sind, in die Fänge der Heiligen Krieger treibt. Was macht sie verführbar? Warum fehlt ihnen der Anker in der westlichen Wertegesellschaft? Drittens ist dieser Prozess bemerkenswert, weil die Angeklagten in ihren umfassenden Geständnissen Strukturen offengelegt haben, die bei weiteren Ermittlungen hilfreich waren und sind."
Für die Hessische / Niedersächsische Allgemeine (Kassel) geht von dem Prozess ein wichtiges Signal aus: "Der demokratische Rechtsstaat ist nicht hilflos gegenüber dem Terror, er muss sich auch nicht illegaler Mittel bedienen. Geheimdienste fanden Hinweise auf die Islamisten, Polizeifahnder deckten das Anschlagskomplott auf und machten die Täter dingfest, eine souverän geleitete und fair geführte Gerichtsverhandlung erleichterte den vier Angeklagten ihre Geständnisse. Das bedeutet nicht, dass wir vor Terroranschlägen auf alle Zeit geschützt sind. Aber das Verfahren hat gezeigt, dass unsere Demokratie eine wehrhafte ist."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Katja Sembritzki