Zweites Griechenland-Hilfspaket "Koalition leidet an kollektivem Burnout"
27.02.2012, 20:24 UhrDer Bundestag stimmt über ein neues milliardenschweres Hilfspaket für das schwer angeschlagene Griechenland ab. 130 Milliarden sollen fließen, der Anteil, den Deutschland dabei stemmen soll, ist noch nicht festgelegt worden. Die Hilfen erhalten die erwartete Zustimmung. Doch die schwarz-gelbe Koalition holt sich dabei ein Veilchen und verfehlt die Kanzlermehrheit. Und schon zuvor gab die Regierung kein einheitliches Bild ab. Innenminister Hans-Peter Friedrich spielte mit dem Gedanken eines Abschieds Griechenlands aus der Euro-Zone. Ein gar nicht so abwegiger Gedanke, wie viele Kommentatoren – so etwa Hanno Hall von n-tv.de – finden.
Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine kommt denn auch zu einem klaren Urteil: "Dass Angela Merkel keine Kanzlermehrheit hinter sich bringen konnte, zeigt, wie die Verunsicherung unter den Abgeordneten wächst. Kein Wunder, nehmen sie doch das Geld künftiger Generationen, um jetzt eine Insolvenz zu verschleppen." Polemische kommentiert das Blatt weiter: "Wir werfen also noch einmal Milliarden über den Zaun, nur um eine europäische Einheit zur retten, die so, wie sie nun mal ist, nicht funktioniert, jedenfalls nicht zu einem akzeptablen Preis." Was der Bundestag beschlossen habe, sei eine "in Friedenszeiten einmalige Wohlstandsvernichtung."
Auch die Märkische Allgemeine schreibt, dass bei der Abstimmung im Bundestag "die Unsicherheit wie ein Schleier über dem Parlament" liegt. "Selten ist das Dilemma aller Politik so dramatisch deutlich geworden wie in diesen Tagen: dass die Entscheidungen der Abgeordneten in die Zukunft wirken, dass sie zwar das Beste erreichen wollen, aber nie sicher sein können, ob sie auch die negativen Folgen einer Entscheidung hinreichend bedacht haben."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung urteilt: "Risiken müsse sie gelegentlich eingehen, sagte die Bundeskanzlerin vor der Verabschiedung des zweiten Hilfspaketes für Griechenland, Abenteuer aber verbiete ihr der Amtseid. Damit begründete sie das Festhalten an ihrer bisherigen Linie in der europäischen Schuldenkrise und ihr Nein zu alternativen Vorschlägen, die vom mehr oder minder freiwilligen Austritt Griechenlands aus der Eurozone bis zum Einstellen der Milliardentransfers mit der unmittelbaren Folge des Staatsbankrotts reichen. Was noch akzeptables Risiko und was schon Abenteuer ist, legt freilich auch in diesem Fall nicht das Grundgesetz fest. Es handelt sich bei dieser Einteilung um eine politische, wie auch die Entscheidung für den einen wie den anderen Kurs eine höchst politische ist."
Die Leipziger Volkszeitung warnt, die schwarz-gelbe Koalition vor dem "Zweifelwurm", der sich angesichts der fehlenden eigenen Mehrheit ab sofort festfressen werde. Aber: "Die Koalition hat in einer zentralen Schicksalsentscheidung keine Kanzlermehrheit. Sie ist deshalb noch nicht am Ende. Die Griechenland-Rettung wird aus diesem Grund nicht wahrscheinlicher. Aber es ist ein Fakt mit Tiefenwirkung. Denn gedacht haben es sich schon viele: Politik wird mit einer derart zerschlissen wirkenden schwarz-gelben Koalition zum Abenteuer. Und Abenteuer, so verkündete es die Kanzlerin gestern noch vor der Abstimmung über das zweite Griechenland-Rettungspaket, seien ihr durch den Amtseid verboten. Die Bundesregierung präsentiert sich, als habe man kollektiv beschlossen, am Burnout-Syndrom zu leiden."
Die Berliner Zeitung sieht einen rasant zunehmenden Autoritätsverlust bei Kanzlerin Merkel. "Bisher galt die Devise in diesem zerrütteten Koalitionshaufen noch immer: Wenn wir uns auch streiten, so darf das doch niemals unsere Mehrheit, unsere Macht gefährden. Doch auch das ist nun vorbei." Irgendwann würden die Bürger merken, "dass die immer noch hoch geschätzte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Regierung führt, die keinerlei Vertrauen mehr verdient, da sie sich selbst nicht mehr vertraut."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Johannes Graf