Ratgeber

Für MitbestimmungBetriebsratsgründung braucht langen Atem

16.08.2020, 21:11 Uhr
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Betriebsräte können in Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten gegründet werden. (Foto: dpa)

Willkürliche Dienstpläne, ungleiche Löhne, ständiger Streit mit der Geschäftsführung: Anlässe, einen Betriebsrat zu gründen, gibt es viele. Es erfordert jedoch Zeit, Geduld sowie oft Kraft und Nerven.

Stimmt die Arbeitskultur im Unternehmen nicht, sinkt auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Doch Beschäftigte haben Möglichkeiten, ihre Interessen gegenüber der Geschäftsleitung zu kommunizieren und durchzusetzen. Dafür gibt es zum Beispiel Betriebsräte.

So ließ sich etwa Manuela Fritsche, Wohnbereichsleiterin in einem Pflegeheim, von Kollegen inspirieren. Die arbeiteten bei einem Rettungsdienst und hatten dort selbst einen Betriebsrat gegründet. Mit Unterstützung der Gewerkschaft Verdi organisierte Fritsche gemeinsam mit anderen Beschäftigten ihres Arbeitgebers eine Info-Veranstaltung, bei der direkt ein Wahlvorstand gewählt wurde. Dieses Gremium, das in der Regel aus drei Mitarbeitenden besteht, führt die Betriebsratswahl durch.

Umsicht bei den ersten Schritten

Fritsche rät, sich bei einer Betriebsratsgründung grundsätzlich an Gewerkschaften zu wenden. "Ohne Hilfe ist das ein Ding der Unmöglichkeit", sagt sie. Es sei gut, die Fallstricke bei der Gründung zu kennen.

Bereits gewählte Betriebsratsmitglieder sind dann umfassend geschützt und können nur unter erschwerten Bedingungen gekündigt werden, erklärt Kerstin Jerchel, Bereichsleiterin Mitbestimmung bei der Verdi-Bundesverwaltung. Vor der Wahl sei jedoch Vorsicht angebracht - je nachdem, wie die Unternehmensführung zu dem Vorhaben steht. "Ich würde es nicht ans schwarze Brett hängen", rät Jerchel.

Mit Gegenwind muss man rechnen

Manuela Fritsche berichtet, dass der Wahlvorstand viel habe aushalten müssen. "Bei uns gab es ziemlich heftigen Gegenwind." Trotzdem ließ sie sich 2018 zur Betriebsratsvorsitzenden wählen. "Kaum ein Arbeitgeber wird spontan "Hurra" rufen, wenn seine Belegschaft einen Betriebsrat gründen will", sagt Michael Bolte vom DGB-Bundesvorstand, zuständig für Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik.

Er rät dazu, sich der Geschäftsführung gegenüber bestimmt, aber respektvoll zu verhalten. Man könne erklären, dass es um die Ausübung demokratischer Mitbestimmungsrechte gehe - und nicht darum, sich gegen das Unternehmen zu stellen. "Der Arbeitgeber muss sich laut Gesetz neutral verhalten und darf die Wahl nicht verhindern", betont Bolte. Sobald ein Betriebsrat gegründet sei, ändere sich die Einstellung des Arbeitgebers meist schnell.

Fünf Beschäftigte sind Voraussetzung

Betriebsräte können in Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten gegründet werden. Auslöser sind oft konkrete Anlässe wie Entlassungen oder Zeiten der Unruhe - wenn etwa eine neue Generation das Unternehmen übernimmt. Als dritten Grund nennt Bolte "das lange Leiden" - ein Missstand, der sich über einen langen Zeitraum hinzieht.

Jerchel nennt viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse innerhalb eines Betriebs als Beispiel. Das sei häufig in der Dienstleistungsbranche der Fall, etwa bei Sicherheitsdiensten. Aber auch in Bereichen mit vielen hoch qualifizierten Beschäftigten - wie an privaten Hochschulen oder Weiterbildungseinrichtungen - komme es aus diesen Gründen zu Betriebsratsgründungen.

Gerade in kleinen Betrieben sieht es mau aus

"Es gibt wenige Branchen, in denen es genug Betriebsräte gibt", so Boltes Einschätzung. Während in Betrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten fast 100 Prozent einen Betriebsrat hätten, sehe es bei den kleinen mau aus. "Wenn Betriebe so klein sind, dass alle direkt miteinander reden können, muss schon etwas vorfallen, damit ein Betriebsrat gegründet wird", sagt er.

Sorgen macht dem Gewerkschaftsbund vor allem der mittlere Bereich mit 100 bis 500 Beschäftigten. Im Dienstleistungsbereich - und generell in Branchen, in denen viele Frauen arbeiten - sei die Dichte an Betriebsräten gering. Auch in Unternehmen mit junger, fluktuierender Belegschaft seien Betriebsratsgründungen selten. Als Positivbeispiel nennt Bolte Fahrrad-Lieferdienste, bei denen inzwischen erste Erfolge vorzuweisen seien.

Mitbestimmungsrechte in vielen Bereichen

Auch bei Start-ups fehlt es häufig an Mitbestimmungsmöglichkeiten. Hier sei das Problem, dass sie oft sehr schnell sehr groß würden, erklärt Jerchel. Am Anfang gebe es flache Hierarchien, alles könne direkt mit dem Chef besprochen werden. "Das geht so lange gut, bis es an irgendeinem Punkt anfängt zu knirschen."

Meist zeige sich irgendwann, dass doch nicht alle auf einer Ebene stünden. Themen wie Arbeits- und Gesundheitsschutz, das Einhalten von Arbeitszeiten und Familienfreundlichkeit würden - auch mit zunehmendem Alter der Beschäftigten - wichtiger.

Der Betriebsrat kann Mitarbeiter stärken

Bei all dem können Betriebsräte mitbestimmen. Sie haben Einfluss auf Schichtpläne, Lohngestaltung und Weiterbildungsprogramme. Auch beim Aushandlen von Kurzarbeitsvereinbarungen - wie in der Corona-Krise - sind Betriebsräte unabdingbar. Sonst müssten alle Mitarbeitenden individuelle Vereinbarungen treffen.

Betriebsräte unterstützen nicht zuletzt bei Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber. "Wir haben die Mitarbeiter darin gestärkt, auch mal "Nein" zu sagen, wenn sie überarbeitet sind", erzählt Manuela Fritsche. Selbst anfangs skeptische Kolleginnen und Kollegen lobten nun die Arbeit des Betriebsrats. Schließlich habe sich im Umgang der Geschäftsführung mit der Belegschaft vieles verbessert.

Quelle: ntv.de, Inga Dreyer, dpa