Ratgeber

Branche läuft Sturm Lebensmittelklarheit.de ist online

Wer in seinem Kochschinken Pressfleisch findet und im Erdbeerjoghurt die Erdbeeren vermisst, der kann sich jetzt online beschweren: Der Startschuss für "Lebensmittelklarheit.de" ist gefallen und das Verbraucherportal stößt auf so großes Interesse, dass die Server erstmal in die Knie gegangen sind.

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Unter dem Besucheransturm ist das Portal erstmal zusammengebrochen.

(Foto: dpa)

Vielleicht ist ja der Analogkäse schuld. Als vor zwei Jahren die Verbraucherzentrale Hamburg eine Liste mit Käseimitaten veröffentlichte, wurde vielen Konsumenten erstmals bewusst, dass sie nicht immer essen, was sie zu essen glauben. Wenig später legten die Hamburger Verbraucherschützer nach und präsentierten eine ganze Reihe von Lebensmittel-Fälschungen: Vom Patchwork-Schinken aus zusammengeklebten Fleischteilen über "Garnelen" aus Fischeiweiß bis hin zu "Wasabi-Nüssen", die zwar eine Menge Aromen, aber keinen japanischen Meerrettich enthielten - die Liste zeigte vor allem eins: Viele Lebensmittel-Hersteller sparen sich inzwischen Originalzutaten und verarbeiten billige Ersatzstoffe, lassen das aber allenfalls im Kleingedruckten auf der Verpackung durchblicken.

Die Öffentlichkeit ist seitdem aufmerksamer geworden. Wenn die Stiftung Warentest keine Erdbeeren im "Erdbeerjoghurt" findet oder Foodwatch den "Goldenen Windbeutel" für besonders dreiste Werbelügen verleiht, dann sorgt das für Schlagzeilen. Bislang blieb die Aufdeckung solcher Lebensmittelschummeleien aber weitgehend den Verbraucherschützern überlassen, wenngleich diese Hinweise von Käufern gerne aufnehmen.

Was geprüft wird

Ab jetzt haben aber auch die Verbraucher selbst eine Möglichkeit, Etikettenschwindel zu entlarven und das dann auch öffentlich zu machen: Das Portal "Lebensmittelklarheit.de" ist online gegangen. Die Verbraucherzentralen und das Bundesverbraucherministerium geben Kunden damit die Möglichkeit, Produkte zu melden, von deren Aufmachung sie sich getäuscht fühlen.

Die eingegangenen Beschwerden werden von einer Redaktion geprüft. Ob ein Produkt geschmacklich und sensorisch in Ordnung ist, fällt dabei nicht ins Gewicht, klare lebensmittelrechtliche Verstöße werden aber an die Lebensmittelüberwachung weitergeleitet. Aufgabe der Redaktion ist es, zu bewerten, ob die Produktbezeichnung tatsächlich irreführend ist. Bei begründetem Verdacht wird die Beschwerde an den Hersteller weitergeleitet. Der hat dann sieben Tage Zeit, Stellung zu beziehen. Erst danach wird die Beschwerde mitsamt der Stellungnahme und dem Kommentar der Verbraucherschützer auf dem Portal veröffentlicht.

Industrie fürchtet das Schlimmste

Ziel des Ganzen ist es laut Verbraucherministerin Aigner (CSU), deren Ministerium das Projekt mit 775.000 Euro fördert, einen seriösen Dialog zwischen Verbrauchern und Wirtschaft zu schaffen. Das Portal solle zeigen, wo Verbraucher der Schuh drücke und Regeln möglicherweise angepasst werden müssten, sagte Aigner der dpa. Offiziell hat auch die Lebensmittelbranche nichts gegen Informationen und Diskussionsforen einzuwenden. Nicht tragbar seien jedoch produktbezogene Angaben, "bei denen Marke sowie Hersteller- und Händlernamen genannt werden", so Matthias Horst von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.

Weil Ross und Reiter genannt werden, befürchten die Lebensmittellobby und deren Vertreter im Bundestag einen modernen Pranger. "Niemand darf durch eine öffentliche Zurschaustellung bestraft werden, wenn er sich an Recht und Gesetz hält", kritisiert Jürgen Abraham. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), hält es für nicht akzeptabel, "wenn eine andere, nicht legitimierte Instanz als Behörden und Gerichte darüber entscheidet, ob ein Produkt quasi mit amtlichem Anstrich öffentlich abgewertet wird." Dies könne die Existenz von Unternehmen und Arbeitsplätze bedrohen.

Die Arbeitsmarktkeule schwingt der Vorsitzende des Agrarausschusses, Michael Goldmann (FDP) zwar nicht, doch auch seine Argumentation wirkt wenig überzeugend: Die "Neue Osnabrücker Zeitung" zitiert ihn mit den Worten: "Frau Aigner transportiert mit dem Portal die Ängste der Verbraucher vor Lebensmitteln."

Grauzonen werden deutlich

Das scheint reichlich überzogen angesichts dessen, was tatsächlich auf Lebensmittelklarheit.de zu finden ist. Verbraucher können sich derzeit unter anderem über "Schafskäse" aus Kuhmilch informieren und darüber, wie man Zutatenlisten auf Produkten richtig liest. Außerdem listet die Redaktion zum Start der Seite einige Beispielprodukte auf, wobei auch der Graubereich deutlich gemacht wird, in dem sich die Hersteller bewegen. Eine verbotene Täuschung ist beispielsweise Iglos "Country Chicken", das laut Verpackung "100% marinierte Hähnchenbrust" enthält. Die Zutatenliste offenbart jedoch, dass es sich um ein Formfleisch-Produkt handelt, das lediglich 76 Prozent Hähnchen enthält. Die Stellungnahme von Iglo ist auch zu lesen: Das Produkt soll vom Markt genommen werden.

Manche Kennzeichnungen sind zwar lebensmittelrechtlich legal, aber dennoch aus Verbrauchersicht nicht unbedingt korrekt. Das gilt etwa für die Kalbswiener, die nur zu 15 Prozent Kalbsfleisch enthält. Solche Fälle werden auf "Lebensmittelklarheit.de" nur anonymisiert dargestellt. Eine vorschnelle Aburteilung müssen die Lebensmittelfirmen also nicht befürchten. Mit verstärkter Aufmerksamkeit ihrer Kunden sollten sie aber rechnen. Dass das Interesse der Verbraucher enorm ist, beweist der Ansturm auf das neu eröffnete Portal: Die waren am ersten Tag so stark überlastet, dass die Server zusammenbrachen. Bis zu 20.000 Zugriffe verzeichnet das Portal - pro Sekunde.

 

Quelle: ntv.de, mit dpa

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