Boulevard im Berliner Westen Ku'damm macht auf mondän
04.05.2011, 10:02 UhrIm Westen was Neues? Nach 20 Jahren Halligalli in den Ostberliner Szenevierteln sehen Berlin-Vermarkter eine Rückbesinnung auf den Kurfürstendamm. Ab dem 5. Mai feiert der Boulevard sein 125-jähriges Jubiläum. Vom Nachtleben fehlt weiter jede Spur.
Im Schaufenster der Juweliere glitzern Diamanten, das Handtäschchen nebenan kostet 1500 Euro und die Namen der Kanzleien sind in edles Metall gestanzt. So präsentiert sich der neue Berliner Westen, gebündelt am nördlichen Kurfürstendamm zwischen Knesebeck- und Giesebrechtstraße. 125 Jahre Kurfürstendamm feiert Berlin ab dem 5. Mai. In seinen gläsernen Vitrinen inszeniert der Boulevard bis Oktober seine Geschichte. Tourismusexperten glauben an seine Renaissance. Stadtforscher zweifeln aber, dass dieser Kiez, der zu Mauerzeiten das künstliche Herz Westberlins war, dem alten Zentrum Unter den Linden Paroli bieten kann.
Man spricht russisch
Stöckelschuhe klackern auf dem oberen Kurfürstendamm, die Röckchen sind kurz und Hochsteckfrisuren aus gefärbtem Blondhaar beliebt. Man spricht russisch, die Limousine wartet. Weiter östlich, in Richtung Gedächtniskirche, ist der Ku'damm für alle da, die Kettenläden der Mode- und Schuhhäuser locken die Massen. Hier ist der Boulevard eine normale und umsatzstarke Großstadt-Einkaufsstraße - wären da nicht der klangvolle Name und die wechselvolle Geschichte.
Sie reicht von den mondänen Anfangszeiten als protziges Großbürger-Quartier bis in die blühenden, wilden 20er Jahre mit Promi-Cafés, Theatern und Amüsement bis zum Morgengrauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Ku'damm im geteilten Berlin zum Schaufenster des Westens, 20 Jahre später zur Bühne der Studentenrebellion. In den 80er Jahren stürzte er als Billig-Boulevard ab. Dann fiel die Mauer und alle Blicke gingen nach Osten.
"Das Pendel schlägt zurück"
Aus diesem Tief hat sich der Kurfürstendamm langsam aufgerappelt. "Es strömt wieder Geld in den Westen", sagt Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Tourismusorganisation Visit Berlin. Der Boulevard könne neben Friedrichstraße und Gendarmenmarkt existieren. "Beides lebt", betont Kieker. Der Berliner Osten sei nun fast fertig saniert und der Blick wende sich wieder gen Westen. "Das Pendel schlägt zurück", ist Kieker überzeugt.
Investoren haben den alten Westen schon wiederentdeckt. Direkt neben dem Bahnhof Zoo zieht die Hilton-Luxusmarke Waldorf-Astoria bald in ein neues Hochhaus-Hotel. Ob das die direkte Nachbarschaft mit Erotik-Museum und vielspurigen Straßen hebt, bleibt abzuwarten. Doch es tut sich mehr. Das nahe "Bikini-Haus", zuletzt Berlinkitsch-Meile, wird für viele Millionen Euro geliftet, die Gedächtniskirche saniert.
Chipperfield soll Ku'damm Karree umgestalten
Die Gebäude des Ku'damm Karrees weiter westlich soll kein geringerer als Architekt David Chipperfield umgestalten, der im Osten das Neue Museum wieder zum Leben erweckte. Und im ehrwürdigen Haus Cumberland, vor 100 Jahren erbaut, entstehen Eigentumswohnungen mit Quadratmeterpreisen bis zu 7500 Euro. Für Berlin ist das teuer.
Stadtsoziologe Hartmut Häussermann misst dieser Entwicklung noch keine große Bedeutung bei. "Der Kurfürstendamm ist kaum mehr als hochkreativer Konsum", urteilt der emeritierte Professor der Humboldt-Universität. Die City West zu einer Art zweitem Stadtzentrum zu erklären, das sei "lächerlich". Tourismus sei sicher ein Faktor, doch der Westen werde niemals ein Publikum haben wie das Hotel Adlon am Brandenburger Tor. So locker sieht Adlon-Chef Oliver Eller die neue Konkurrenz im Westen nicht. Die wird sehr genau beobachtet.
Nachts ist allerdings nicht viel los. Und das Cafe Kranzler ist auch nicht mehr das, was es mal war.
(Foto: dpa)
Es ist auch gar nicht der Ku'damm selbst, der heute glänzt. Nachts ist hier tote Hose. Bei Ladenmieten um 200 Euro pro Quadratmeter fehlen auch tagsüber Cafés und Restaurants, um die breiten Bürgersteige wirklich leben zu lassen. Wie ein trauriges Symbol dafür ist das berühmte Café Kranzler ist zu einer Rotunde auf einem Bekleidungshaus geschrumpft.
Seitenstraßen ziehen mehr an
Anziehend sind heute eher die Seitenstraßen des Ku'damms. Die Galerien, Buchhandlungen oder Modelädchen sind attraktiv für Berliner und Touristen. Allerdings locken sie ein anderes Publikum an als die neue Mitte. Die Flaneure sind älter, und sie haben dickere Brieftaschen. Ein Abendessen hier kann teuer werden.
Was dem Kurfürstendamm auch noch fehlt, sind die berühmten Gäste, die dem Boulevard zu seinen besten Zeiten ein Flair des Sehen-und-Gesehen-Werdens verliehen. Es gibt schon lange kein "Romanisches Café" mehr, in dem sich Künstler und Intellektuelle treffen. Die einstigen Star-Gäste des Kempinski-Hotels Bristol sind fast alle tot. Berlinale-Prominenz tummelt sich heute am Potsdamer Platz. Politische Kundgebungen gibt es im Westen selten. Der Ku'damm dient eher als Autokorso- und Jubelmeile nach wichtigen Sportereignissen.
Angestaubt nennen die Jüngeren die Atmosphäre am Kurfürstendamm. Im besten Sinne konservativ, sagen die Älteren. Berlins dienstältester Playboy Rolf Eden, 81, bringt die Sache für sich auf den Punkt: "So schön wie der Kurfürstendamm ist nichts." Der Kiez gibt sich gesetzt, nicht gehetzt, gern auch wieder mondän. In einem Punkt sind sich die Hauptstadt-Experten einig: Die Stadt verträgt dieses Wechselbad der Berlin-Gefühle. Sie ist groß genug.
Quelle: ntv.de, Ulrike von Leszczynski, dpa