Pläne für Villa am Genfer See Multimediales Denkmal für Chaplin
08.06.2010, 11:48 UhrIn der Villa "Manoir de Ban" in Corsier-sur-Vevey nahe des Genfer Sees hat Charlie Chaplin rund 25 Jahre verbracht. Hier soll "Chaplin's World, The Modern Times Museum" entstehen.
Dem legendären Filmkomiker Charlie Chaplin (1889-1977) soll in seinem Haus oberhalb des Genfer Sees ein multimediales Denkmal gesetzt werden. In Corsier-sur-Vevey in der Schweiz hatte er rund 25 zumeist glückliche Jahre seines Lebens verbracht. Die Villa "Manoir de Ban" aus dem 19. Jahrhundert soll den großen Filmzauberer sozusagen wiederbeleben und damit unsterblich machen - so hoffen es die Investoren und Sponsoren, die immerhin 60 Millionen Schweizer Franken (42,5 Millionen Euro) in das Projekt stecken. Jetzt traf nach zehn Jahren Planung die Baubewilligung durch die Gemeinde ein. In zwei Jahren soll das Haus fürs Publikum öffnen.
"Wir alle hier, die gesamte Region will dieses Projekt, es wird für die Wirtschaft und den Tourismus sehr wichtig werden", sagt Gérald Jaquet, der Sprecher des Bürgermeisters des 3200-Seelen Dorfes. Immerhin lebte die Familie Chaplin dort auch noch nach dessen Tod, insgesamt fast ein halbes Jahrhundert.
Erlebniswelt auf 2000 Quadratmetern
Yves Durand, ein Museumsdesigner aus Quebec, und einer der Initiatoren will mit dem "Chaplin's World, The Modern Times Museum" eine ganze Chaplin-Welt entstehen lassen. Nein, kein Disneyland soll es werden. Und schon gar kein Abklatsch des von vielen als etwas kitschig empfundenen Heims Graceland von Elvis Presley in Memphis. Geplant ist eine Erlebniswelt auf 2000 Quadratmetern, die es dem Besucher erlauben soll, Chaplin so zu sehen, wie er war: Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Moderne, einer der reichsten und bekanntesten Künstler der Welt.

Die Terrasse vor Chaplins Schlafzimmer.
(Foto: dpa)
Chaplin sei ein wunderbarer Mensch gewesen, meint Durand immer wieder überschwänglich. Nun gehe es darum, "die Persönlichkeit, sein ganzes Wirken, Sprache, Film und Musik unvergänglich zu machen". Ein internationales Projekt für einen internationalen Menschen, der sich zufälligerweise in der Schweiz niederließ, als er nach einem Auslandsaufenthalt 1953 wegen angeblicher kommunistischer Sympathien nicht mehr in die USA zurückkehren durfte.
Weiter Blick auf See und Alpen
Heute sieht es noch reichlich trostlos aus im Manoir de Ban. Seit über zwei Jahren steht das Anwesen leer, von dem Chaplin einst schwärmte, es sei das schönste Haus, das es gebe. Hinter dem schmiedeeisernen Tor öffnet sich ein Park mit weitem Blick zum See und zu den Alpen. Chaplin und seine vierte Frau Oona O'Neill, mit der er acht Kinder hatte, saßen häufig auf dieser Terrasse und Charlie empfand es als höchstes Glück, dort den Sonnenuntergang genießen zu dürfen. Auch wenn man heute wegen des brausenden Verkehrs inzwischen gebauter Autobahnen in der Nähe nur noch angestrengt dem Zwitschern der Vögel lauschen kann, so sieht man den zierlichen und bald weißhaarigen Familienvater doch förmlich vor sich, wie er sich den wechselnden Farben in Park und Zeiten hingegeben haben mag.

Der zweiseitig zugängige Schreibtisch Chaplins in der Bibliothek, an dem er viele seiner Filme entwickelt hat
(Foto: dpa)
Der Zahn der Zeit hat gnadenlos herunter genagt, was seit Jahren nicht mehr gepflegt wurde. Betritt man das Erdgeschoss vom Garten her, so steht dort der braune Steinway-Flügel, an dem Chaplin viele seiner Filmmusikstücke komponierte und um den sich seine Gäste - das Who is Who der ganzen Welt - versammelt hatten. Auch sein zweiseitig zugänglicher Schreibtisch, an dem der Künstler in der Bibliothek seine Ideen entwarf, zieht den Blick auf sich und man glaubt seinen Geist zu spüren. Schlafzimmern und Bädern mit dem Charme der 50er Jahre wirken heruntergekommenen.
Es ist etwa wie bei einer Hausbesichtigung, wenn die Eigentümer schon lange ausgezogen sind und der Makler das Gebäude nicht los wird. Alles wirkt derzeit verlassen, leicht verkommen und nur schwer vorstellbar, welcher Glanz hier geherrscht haben soll. Bis vor rund drei Jahren lebten Teile der Familie Chaplin noch dort. Der Rundgang führt durch die Gesinderäume des "Herrenhauses" (Manoir) in den Keller, wo hinter einer Stahltüre noch alte Filmrollen in Regalen lagern. Chaplin bewahrte sie bei sich gut gesichert auf, da sie entflammbar waren.
Chaplin wusste zu leben
Auch die Dimension seines Weinkellers, heute natürlich (fast) leer, lässt ahnen, dass man zu leben verstand. Überall liegen noch Zeichnungen der Kinder oder andere Gebrauchsgegenstände herum. Aber sie haben laut Durand für das Gesamtprojekt keinen Wert mehr. Am Telefon sind Nummern an die Wand gekritzelt. Der riesige, jetzt rostige Herd in der Mitte der Küchenräume, sieht nach starkem Gebrauch für Feinschmecker aus.

Alte Filmrollen von Chaplin lagern in einem durch Stahltüren verschlossenen Keller. Da die Rollen selbstentzündlich sind, mussten sie in einen eigenen Keller.
(Foto: dpa)
Die Wiederbelebung von Haus - allein dort sollen 15 Millionen Franken (10,6 Millionen Euro) investiert werden - und Areal mit Parkplätzen, Rundgängen, Cafeterien und Restaurants dürfte bald einem großen Spektakel gleichen. Mehr als 250.000 Menschen sollen im Jahr durch Gebäude und Gelände geschleust werden, sind erst einmal die Millionen ausgegeben. Sonst rechne sich das Projekt nicht, weiß Durand. Er verweist auf das Olympia Museum im nahen Lausanne, das seit Jahren konstant ähnliche Besucherzahlen aufweise.
Unschlagbares Produkt
Unermüdlich öffnet Durand seit Monaten immer wieder Interessenten riesige Türen und Flügelfenster, versteckte Räume und führt sie über Stiegen durch verwinkelte Gänge. Er redet schnell, fast wie ein Verkäufer, für den es keinen Zweifel gibt, dass sein Produkt unschlagbar ist. Bedenken, ob sich spätere Generationen an den Stummfilmpionier vielleicht nicht mehr erinnern wollen und deshalb die Besucher ausbleiben könnten, lässt er nicht aufkommen. "Chaplin war so einmalig - man wird sich immer an ihn erinnern wollen", ist Durand überzeugt.
Der Aufbau dafür ist ein mühsames Geschäft. Denn seit rund zehn Jahren wird das Projekt nicht nur geplant, sondern so lange auch darum gestritten. Einerseits mahlen Schweizer Mühlen - bedingt durch die direkte Demokratie - langsamer als etwa in den USA oder Kanada, wie Durand müde feststellt. "Wenn ich nicht daran glaubte, wäre ich nicht mehr Teil des Projektes." Und vieles wurde bereits aus dem Weg geräumt. Andererseits gaben Nachbarn mit Einsprüchen immer noch nicht auf zu verhindern, dass in ihrer Nähe in den kommenden zwei Jahren dauerhafte Festivalatmosphäre herrschen soll und damit ihre Grundstücke entwertet werden.
Für die in aller Welt verstreute Familie Chaplins erfüllt sich dagegen mit dem Umbau wohl aber auch ein Traum und nimmt ihnen eine Bürde. Die Belastungen für das bisher ungenutzte Haus und Grundstück sind immens hoch. Die Familie hat keine Angst, dass mit dem Museum der Charakter von Chaplins Werk verfälscht wird. Ihr Elternhaus sei etwas vernachlässigt, meinte etwa Sohn Eugene Chaplin untertreibend. Er sei glücklich, "dass ihm wieder Leben eingehaucht wird".
Ambitionierte Pläne
Mit Hauchen ist es aber wohl nicht getan. Die Pläne der Investoren und Sponsoren - darunter der größte Nahrungsmittelkonzern Nestlé, der im nahen Vevey seinen Stammsitz hat - sind ambitioniert. Denn es soll gezeigt werden, was Chaplin als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Komponist in einem halben Jahrhundert hinterlassen hat. 80 Filme drehte Chaplin, darunter "Goldrausch", "Lichter der Großstadt", "Moderne Zeiten" und "Der große Diktator".
Gedacht ist an ein "kinematografisches Universum" mit einer Zeitreise von den bescheidenen Anfängen Chaplins im London des späten 19. Jahrhunderts bis zu den glänzenden Zeiten in Hollywood und der Schweiz. Es wird ein Theater mit 200 Sitzen für Multimedia-Spektakel mit 3D- und HD-Bildern, mit Surround-Akustik, Lichtkonzepten, animierten Kulissen und Spezialeffekt-Techniken geben. Der Besucher soll auch einen Bildschirm durchschreiten und mitten in für Chaplin typische Filmkulissen eintauchen. Es sollen multimediale Räume entstehen, die den Besucher die ganze Skala an Emotionen durchleben lassen, die dem Leben Chaplins innewohnten - so die Visionen.
Durand hofft, bald im großen Garten einen Baum pflanzen zu können. Dies wäre dann symbolisch der "Spatenstich" und Baubeginn. Bis auf die Fassade des Herrenhauses, die behutsame Restaurierung der Haupträume mit von der Familie bereitgestellten Möbeln und Utensilien, dürfte nicht viel wiederzuerkennen sein. Was genau ausgestellt wird - neben den Originalmöbeln - steht noch nicht fest. Immerhin können die Museumsgestalter aus einem bei Montreux lagernden Archiv aus rund 600.000 Stücken - darunter Fotos, Bücher, Bilder und Briefe - auswählen.
So werden auch die Garagen, in denen zwei Bentleys von Chaplin standen, völlig umgebaut. Über ihnen gab es ein Appartement für Gäste, in dem unter anderem Michael Jackson übernachtete. Er, der 2009 so früh gestorbene "King of Pop", wäre gerne einer der großen Sponsoren geworden, heißt es. Ansonsten werden Restaurants, Kartenverkaufsstellen, Terrassenplätze und Ruhezonen im Park zum Verweilen errichtet.
Familie steht hinter Projekt
Die Familie Chaplins steht nach eigener Aussage voll hinter dem Projekt. Geraldine, Chaplins älteste Tochter, lebt ab und an in der Region. Die Angehörigen tragen kräftig dazu bei, dass fast alles mit Bezug zu Chaplin aus aller Welt nach Corsier zurückgebracht wird. Es soll einst zeigen, was sie alle umgab, als Sir Charles Spencer Chaplin mit seiner Ehefrau Oona O'Neill, der Tochter des US- Dramatikers Eugene O'Neill, hier so glücklich war. Bis er an Weihnachten 1977 im Alter von 88 Jahren starb.

"Chapiln's World" soll kein Disneyland werden.
(Foto: dpa)
Charlie und Oona sind in Corsier-sur-Vevey begraben. Jaquet weiß, dass zumindest die virtuelle Rückkehr seines Schaffens für die Region vorteilhaft sein wird. Er weiß aber auch, dass manche das in dem Gebiet, das an die Region Lavaux, dem Weltkulturerbe der UNESCO, grenzt, kritisch sehen. Welterbe und Massentourismus ist hier nicht jedermanns Sache. Andererseits steht an der Uferpromenade von Vevey die vielbesuchte Charlie-Chaplin-Statue, und jedes Jahr findet das Festival International du Film de Comédie de Vevey statt. "Chaplin ist Teil der Riviera", sagt Jaquet unter Hinweis darauf, wie diese Region sich selber nennt.
Aber wie Chaplin, der sein Wirken immer an die Zeiten angepasst hat, könnte auch dieses Projekt in die Zukunft weisen. Etwa wie man eine Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts den Menschen des digitalen 21. Jahrhunderts so nahe bringt, dass sie einander bestens verstehen. Oder wie Sohn Michael Chaplin es formulierte: "Der Rückgriff auf die Techniken des Multimedialen und der Virtual Reality scheint uns passend, denn unseres Erachtens werden diese die Begegnung mit dem Werk aus Schatten und Licht, das für unseren Vater charakteristisch ist, für die Kinder von heute magischer und zeitgemäßer machen."
Quelle: ntv.de, Heinz-Peter Dietrich, dpa