Reise

Wintermärchen oder Nerverei? Ostseeinseln ziehen Bilanz

Ein Wintermärchen aus Schnee und Eis oder nervige Geduldsprobe? Die Ostseeinseln trotzen weiter dem Winter - die Bilanzen unterscheiden sich.

Rügen: Tourismus profitiert nicht von Winter

Die Insel Rügen versinkt im Schnee, Eisberge wie von Caspar David Friedrich gemalt türmen sich vor Thiessow - doch die Tourismusbranche konnte einer ersten Umfrage zufolge von dem Wintermärchen auf Deutschlands größter Insel nicht profitieren. Offenbar haben die Meldungen über Verkehrsbehinderungen und zugeschneite Straßen potenzielle Urlauber abgeschreckt, sagt Jeannette Brussig von der Tourismuszentrale. Der Umfrage zufolge beurteilten 13 von 21 befragten Rüganer Tourismusbetrieben die Buchungssituation zu den Winterferien schlechter als im Vorjahr. Exakte Statistiken liegen noch nicht vor.

Der Eisbrecher "Arkona" des Stralsunder Wasser- und Schifffahrtsamtes vor der Stralsunder Volkswerft. In einigen Teilen der Ostsee vor Mecklenburg-Vorpommern hat sich bis zu 50 Zentimeter dickes Eis gebildet.

Der Eisbrecher "Arkona" des Stralsunder Wasser- und Schifffahrtsamtes vor der Stralsunder Volkswerft. In einigen Teilen der Ostsee vor Mecklenburg-Vorpommern hat sich bis zu 50 Zentimeter dickes Eis gebildet.

(Foto: dpa)

Noch immer liegen am Kap Arkona mehr als 50 Zentimeter Schnee. "Die Urlauber, die hier sind, finden es toll", sagt Ernst Heinemamnn, Bürgermeister der Kapgemeinde Putgarten. Doch auch er geht davon aus, dass weniger Winterurlauber als sonst am Kap unterwegs waren. Sein Wunsch: ein besser abgestimmtes touristisches Winterprogramm. "Pferdeschlitten am Kap wären toll", sagt er. In Sellin hat die Kurverwaltung Loipen durch die Granitz ziehen lassen - doch bisher gibt es auf der Insel keinen Skiverleih.

Hiddensee: Genervt von der Reederei

Das Fährschiff "Vitte" fährt von Hiddensee kommend durch die vereiste Ostsee nahe Schaprode. Die durch starkes Eis beschädigte Fähre hat nach ihrer Reparatur den Verkehr zwischen Rügen und Hiddensee wieder aufgenommen.

Das Fährschiff "Vitte" fährt von Hiddensee kommend durch die vereiste Ostsee nahe Schaprode. Die durch starkes Eis beschädigte Fähre hat nach ihrer Reparatur den Verkehr zwischen Rügen und Hiddensee wieder aufgenommen.

(Foto: APN)

Im Supermarkt von Horst Sachse in Vitte auf der Insel Hiddensee sind die Regale wieder gefüllt. "Es geht vorwärts", übt sich der Ladenbesitzer in Zweckoptimismus. Obwohl seit Montag die Fähre zur Nachbarinsel Rügen wieder verkehrt, ist die Insel von der gewohnten Normalität noch meilenweit entfernt. "Wir wissen nicht, wann die Fähre nach Rügen wieder ausfällt. Morgen? Übermorgen?", fragt sich Sachse. Die Hiddenseer sind inzwischen genervt von der Reederei Hiddensee, die am Wochenende auch noch Fahrpreiserhöhungen für die kommende Saison angekündigt hatte. "Das ist ein Schlag ins Gesicht", sagt Sachse. Drei Wochen war die Insel abgeschnitten. Die Versorgung übernahmen Hubschrauber sowie ein Eisbrecher.

Noch immer schwimmen bis zu 35 Zentimeter dicke Schollen im gebrochenen Fahrwasser nach Rügen. Die Hiddensee besannen sich in dieser Zeit auch auf Traditionen: "Es wurde verstärkt Hefe gekauft. Kunden haben ihre Backautomaten entstaubt", berichtet Sachse. Am Montag hieß es erstmals durchatmen. Nach mehreren Wochen wurden wieder die Biotonnen auf der Insel geleert.

Fehmarn: Es reicht mit Schnee und Eis

Die Menschen auf Fehmarn haben genug von Schnee und Eis. "Unsere Tochter fand das Wetter klasse, weil sie Schlitten fahren konnte ohne Ende. Aber mir reicht es jetzt wirklich", sagt Thomas Nyfeler aus Strukkamp im Süden der Insel. An manchen Tagen kamen der Krankenpfleger und Fotograf und seine Nachbarn nur zur Arbeit, wenn sie im Konvoi einem Bauunternehmer aus dem Dorf gefolgt sind, der mit schwerem Gerät die Straße freigeräumt hat.

Fehmarns Tourismusdirektorin Imke Grotelüschen dagegen, die im Nachbarort Avendorf wohnt, hatte solche Schwierigkeiten nicht. "Echte Probleme hatte ich nur an einem Tag, als eine große Schneewehe in Neue Tiefe den Weg versperrt hat. Die Straßenverhältnisse sind hier wirklich von Dorf zu Dorf unterschiedlich, je nachdem, woher der Wind weht", sagt sie. Versorgungsengpässe gab es auf Fehmarn nicht. "Die meisten Menschen hier auf der Insel decken sich ohnehin immer mit Vorräten für eine Woche ein, und der Nachschub vom Festland hat ja immer geklappt", sagt Nyfeler.

Ruden: Noch vier Wochen im Eis

Kein Meeresrauschen übertönt die Alltagsgeräusche auf der Ostseeinsel Ruden. Ein dicker Eispanzer umklammert seit Wochen die Insel. Die beiden einzigen Ruden-Bewohner, Ursula Todt und Conrad Marlow, sitzen seit Weihnachten auf dem Eiland zwischen Rügen und Usedom fest. "In den nächsten vier Wochen werden wir hier keinen Besuch bekommen", schätzt Ursula Todt. Bis zu 1,50 Meter türmt sich der Schnee auf der Insel. Winterdienst? Fehlanzeige!

Conrad Marlow und Ursula Todt auf der kleinen Ostsee-Insel Ruden.

Conrad Marlow und Ursula Todt auf der kleinen Ostsee-Insel Ruden.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Ich bin hier der Schneesklave", scherzt Conrad Marlow. Mehr als eine Woche konnte das Paar sein Haus nicht verlassen, weil meterhohe Wehen das Gebäude umschlossen. Die Toilettenspülung fror ein. Nach und nach begann Conrad Marlow das Gehöft freizuschippen. Erst den Hof, dann den 60 Meter langen Weg zum Hafen. "Einen Inselkoller haben wir noch immer nicht", sagt die 61-jährige Ulla Todt. Diesel, Trinkwasser und Vorräte reichen für die kommenden Wochen. Für die Toilettenspülung wird inzwischen Schmelzwasser gesammelt, das vom Dach ihres Hauses tropft.

Greifswalder Oie: Keine Sehnsucht nach dem Festland

"Ich sehne mich nicht nach dem Festland", berichtet Vogelkundler Mathias Mähler per Telefon von der Greifswalder Oie. Mit manchmal nur null Grad in den Schlafräumen erlebte der Stationsleiter einer der größten Vogelberingungsstationen Europas den Eiswinter pur. Die Greifswalder Oie ist die nordöstlichste Insel Deutschlands - eine Drehscheibe für Zugvögel, ein Eldorado für Wasservögel und Seeadler. Wer dort lebt, muss die Einsamkeit mögen: Es gibt keinen Supermarkt, nur einen automatisch betriebenen Leuchtturm und ein altes Bauerngehöft, in dem die Beringungsstation des Vereins "Jordsand" seit 1993 beheimatet ist.

Seit 29. Dezember hat der Vogelkundler die Insel nicht verlassen. Das Eis, das sich zeitweise ganz um die Insel schloss, bietet ihm und einem Zivi in diesem Jahr ungewöhnliche Beobachtungsbedingungen. "Bis zu 20.000 Enten konzentrierten sich um die Insel." Mähler hat Spuren eines Fuchses beobachtet, der es offenbar die vielen Kilometer vom Festland über das Eis geschafft hat - ein Grund zur Sorge, weil der Räuber die Gelege von Brutvögeln bedroht. Langeweile kennt der Vogelkundler nicht: Nach der Vogelzählung geht es im einzigen beheizbaren Raum der Beringungsstation ans Netzeflicken oder zu Schreibarbeiten an den Computer. Ein Kohleofen sorgt für mollige Wärme.

Quelle: ntv.de, dpa

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