Auf mystischer Kahnfahrt Spreewaldkanäle bezaubern auch im Winter
03.02.2018, 15:43 Uhr
Wenn es mal schneit, sind Kahnfahrten im Winter besonders romantisch.
(Foto: imago/Rainer Weisflog)
Auch im Winter lädt Fährmann Conrad zu einer Kahnfahrt durch die vielen Wasserkanäle des Spreewalds. Decke, Wärmflasche und Glühwein sind dann mit an Bord. Conrad pflegt eine Tradition, die auch in der kalten Jahreszeit Gäste erfreut.
Ob es richtigen Winter geben wird, weiß auch der Fährmann vorher nie. Nur etwa alle zehn Jahre, sagt Hagen Conrad, erstarren die Wasserarme unterm Frost. Selbst bei Temperaturen so knapp um null Grad, wenn die Ufer nur hier und da mit etwas Schnee überzuckert sind oder sich mit einer kleinen Eiskante schmücken, stakt er mit dem Holzkahn los. Zu dieser Jahreszeit verirren sich nur wenige Besucher in den kleinen Ort Burg und auf "Hagens Insel". Und die, die kommen, suchen Ruhe in der Natur.
Somit trifft man unterwegs auf dem Wasser kaum eine andere Kahngesellschaft. Kein Gegenverkehr, kein lautes Hallo. Rehe und Vögel verharren regungslos. Zwei Nutrias recken die Köpfchen. Ab und an klatscht eine Welle an den Bug, hier und da schreckt eine Ente auf. "Im Winter", sagt Hagen, "kann man Tiere besonders gut beobachten. Es ist still, Bäume und Sträucher sind unbelaubt, da kann man weit sehen." Über dem Spreewald hängt eine große Melancholie.
Der Teufel und seine Ochsen

Hagen Conrad ist Fährmann im Spreewald - und auch im Winter für die Gäste da.
(Foto: Steffi Schweizer)
Der Spreewald im Südosten des Bundeslandes Brandenburg wurde von den Gletschern der Eiszeit geformt und von der Unesco als Biosphärenreservat anerkannt. Das verzweigte Gewässernetz mit den vielen Kanälen besteht aus mehr als 300 Fließen. Eine Autostunde südlich von Berlin existiert ein verwunschenes Binnendelta. Die Menschen suchten einst Erklärungen für die Besonderheit ihrer Landschaft und fanden sie auch: Es war der Teufel höchstpersönlich, der zwei Ochsen vor seinen gewaltigen Pflug gespannt und die störrischen Tiere mit lautem Peitschengeknall angetrieben haben soll. Doch die zerrten den Höllenpflug hierhin und dorthin und gingen schließlich durch. Auf ihrer Jagd durch das Spreebett hinterließen sie tiefe Furchen, die sich sogleich mit schwarzem Wasser füllten. In diesem sumpfigen Gebiet lebten nur wenige Menschen. Die ersten Siedler waren Fischer. Ihren Fang brachten sie in kleinen Eimern aus Buchenborke zum Markt. Wenn sie kamen, hieß es, jetzt kommen wieder die Borkigen. So soll der Ortsname Burg entstanden sein.
Das Kleinod mit seinen etwa 550 Spreewaldhöfen und einer Wellnesstherme ist noch immer ein Geheimtipp. Natürlich wohnt hier keiner mehr, wie noch vor 60 Jahren, in einer Lehmkate, aber man pflegt die Traditionen. Stampfkartoffeln mit Fischsoße oder Pellkartoffeln mit Leinöl, früher typische Arme-Leute-Gerichte, stehen heute sogar auf der Speisekarte der gehobenen Hotellerie. An nahezu allen Dachgiebeln erheben sich zwei gekreuzte Schlangenköpfe. Sie stehen für die Sage vom Schlangenkönig, der die Bewohner des Hauses beschützen soll. Auch das Anwesen auf "Hagens Insel", abgeschieden auf einem Erdhügel liegend, wird auf diese Art vom Schlangenkönig bewacht. Zuverlässig weist das Navigationsgerät den Weg dorthin.
Von der Chaussee biegt man in den Weidenweg ein, parkt das Auto und betritt nach wenigen Schritten den urigen Hof von Hagen und Ramona Conrad. Früher kam hier sogar die Post mit dem Kahn. Der Kahn war einst das einzige Verkehrs- und Fortbewegungsmittel und ist für Alteingesessene noch immer ein Stück ihres Lebens. Gern hätte Hagen seinem hochbetagten Nachbarn Fritz zu dessen Lebzeiten den Holzkahn abgekauft. Doch der entgegnete auf seine Bitten: Junge, als du hierherkamst, kamst du mit dem Auto in unsere Nachbarschaft. Als wir in den 1950er-Jahren kamen, ging ohne Kahn gar nichts. Das ist mein letzter und so lange ich lebe, bleibt der mein Eigentum. "Da begriff ich," sagt der 50-Jährige, "der Kahn ist einfach ein Lebensgefühl."
Die eigene kleine "Insel-Flotte"
Hagen Conrad war studierter Agraringenieur und 22 Jahre jung, als er das Land seines Großvaters übernahm. Er begann als angestellter Fährmann und machte sich schließlich selbständig. Mittlerweile gehören acht Kähne zu seiner kleinen "Insel-Flotte". Vom lauschigen Spreewaldhof nimmt er die Gäste mit auf rund anderthalbstündige, ganz individuelle Touren abseits der großen Routen: manchmal eine gemischte Gruppe, manchmal eine Familie mit Kindern und Großeltern, mal kommen Freunde und Kollegen gemeinsam, mal auch nur ein Pärchen, das allein sein will. Bei den winterlichen Abendfahrten erhellen Fackeln an Bord die Szenerie, so dass Schnee- und Eiskristalle funkeln. Holunderglühwein und Tee wärmen von innen, Wärmflasche und Decke von außen. Und für die Seele rezitiert der Fährmann ab und an mit ruhiger Stimme ein Gedicht.
Seine Worte zaubern ein Gefühl für das, was das Auge sieht: wechselvolle Landschaftsbilder mit beeindruckenden Urwaldbäumen, weiten Wiesen, Sümpfen und Schilf, bizarren Luft- und Wasserspiegelungen, mit Nebel und Abendrot, Vogel- und Fischschwärmen. Und immer wieder wunderschönen Holzbalkenhäusern, die zum Schutz vor dem Wasser auf kleinen Erhebungen, den sogenannten Kaupen stehen. "Kupa sagt der Sorbe, bei den Wenden heißt es Kupska", erklärt der Fährmann. "Und das bedeutet Insel."
Beim Rezitieren, Staken und Erklären in der frischen Winterluft bekommen seine Wangen langsam eine rötliche Farbe. Fast so wie sein Pullover. "Den hat mir Mutter gestrickt, als ich im Konfirmationsalter war", sagt er und lächelt fast entschuldigend. "Die Ärmel sind schon etwas kurz und am Bauch wird die Wolle dünn, aber das ist Mutters Pullover. Da bin ich altmodisch, vielleicht sogar ein wenig hinterwäldlerisch." Der Kahn des selbst ernannten "Hinterwäldlers" ist aus Holz (und nicht etwa aus Aluminium wie die neueren, leichten Kähne). Und Hagen Conrads Schlittschuhe gleichen jenen, die er trug, als er als Kind übers Eis flitzte. Wenn denn der Spreewald tatsächlich einmal zugefroren war. Alle zehn Jahre, meinen die Alteingesessenen. Es wäre mal wieder an der Zeit.
Quelle: ntv.de