Reise

Aufregender Pott Urlaub im Revier

Den Himmel über dem Ruhrgebiet stellen sich viele Menschen immer noch grau vor. Dabei rauchen die meisten Schlote längst nicht mehr. Dafür entdecken mehr und mehr Touristen den Pott.

Duisburg ist dafür ein Beispiel. Auf dem Gelände des früheren August-Thyssen-Werkes entstand der Landschaftspark Duisburg-Nord. In dem Werk wurde bis 1985 Roheisen produziert. Den stählernen Hochofen-Ungetümen drohte der schleichende Tod durch Rost und Verfall. Inzwischen werden sie instandgehalten. Und abends werden die Industriedenkmäler in Rot, Grün und Blau angestrahlt.

"Den besten Blick darauf hat man von der A 42, bloß kann man da nicht anhalten", sagt Ralf Winkels, Geschäftsführer der Landschaftspark Duisburg-Nord GmbH. Der Landschaftspark zählt jedes Jahr mehr als eine halbe Million Besucher, die an zahlreichen Führungen teilnehmen können. Er wirkt wie ein Abenteuerspielplatz voller Industrieruinen.
Auch der Deutsche Alpenverein hat dort eine Geschäftsstelle. Kletterer finden vor allem die Schrägwände der Bunker spannend, die früher als Lager für Erze und Kohle genutzt wurden. Und im ehemaligen Gasometer lässt sich sogar tauchen: "Es gibt hier keine Fische und Pflanzen", sagt Frank Jasinski, Geschäftsführer der TauchGasometer GmbH. Stattdessen suchen die rund 10 000 Taucher jährlich nach einer Cessna, zwei Auto-und einem Schiffswrack, die hier versenkt wurden.

In der Gießhalle des Hochofens 1 ist ein Open-Air-Kino mit 1000 Plätzen entstanden. Die benachbarte Gebläsehalle wird regelmäßig zur Theaterbühne. In der Pumpenhalle legen alle vier Wochen DJs auf. Die Kraftzentrale, "das Hauptschiff der Industriekathedrale", wird für Messen, Modenschauen, Konzerte oder Magie genutzt: "Lionel Ritchie war schon hier", sagt Ralf Winkels, "genau wie David Copperfield."

Wer nicht wegen der Veranstaltungen kommt, schlendert zwischen den Stahl-Giganten des ehemaligen Hüttenwerkes herum. Auf Hochofen 5, seit April 1986 außer Betrieb, können Besucher in die Höhe steigen und das rund 200 Hektar große Gelände überblicken. Aber nicht nur das: Aus 50 Metern Höhe lässt sich auch erkennen, dass der Himmel tatsächlich blau ist und wo der Gasometer von Oberhausen steht.

Der 117 Meter hohe Stahlkoloss in der Nachbarstadt wurde 1929 errichtet und ist inzwischen Oberhausens Wahrzeichen. Innen wirkt der graue Stahlzylinder wie ein Teil einer gigantischen Raumstation. Die Akustik gilt als einzigartig. Wer einmal hochspringt und auf den Metallboden federt, löst ein sieben- bis achtfaches Echo aus. Die surreale Atmosphäre wird für Installationen und Ausstellungen genutzt, die schon mehr als zwei Millionen Besucher angezogen haben.

Was der Gasometer in Oberhausen im Kleinen ist, ist Zeche Zollverein in Essen im Großen: ein Industriedenkmal, das Besucher anzieht. Seit 2001 gehört das Zollverein-Gelände zum Weltkulturerbe. Die Maschinen zur Kohleförderung können besichtigt werden, genauso wie die Kokerei. Durch einen "Fuchs" genannten Abgaskanal können Besucher auch in einen der sechs Schornsteine gucken. Der Blick nach oben zeigt dann in weiter Ferne eine kleine Scheibe Essener Himmel.

"Übernachten unterm Förderturm" in Essen

Natürlich gibt es in Essen Hotels, so wie überall. Aber es gibt auch eine ungewöhnliche Alternative, für alle, die keine Lust auf anonyme Einzelzimmer haben. Das erklärt Heike Sander von Zollverein Touristik.
"2002 haben wir das Projekt "Übernachten unterm Förderturm" gestartet. Wir haben in der Nähe des Zollverein-Geländes im Essener Norden Vermieter gesucht, die Zimmer anbieten." Erst waren nicht viele Feuer und Flamme. "Die haben gedacht, wer soll denn bei uns übernachten wollen?", erzählt Sander.

Seit das Zollverein-Gelände mit der ehemaligen Zeche und der Kokerei zum Weltkulturerbe gehört, ist Essens Bedeutung auf der touristischen Landkarte aber sprunghaft gewachsen. Und so mancher, der in die Stadt kommt, würde gerne privat übernachten. Zollverein Touristik hilft bei der Suche. Unter dem Motto "Auf jeden Pott passt ein Deckel" erhält der Gast die Unterkunft, die seinen Vorstellungen am nächsten kommt.

Mehr als 30 Vermieter sind inzwischen mit dabei. "Vergangenes Jahr hatten wir mehr als 1800 Übernachtungen", sagt Heike Sander. Zur Auswahl stehen Ferienwohnungen und Einzelzimmer, auch ein Hotel in unmittelbarer Nähe vom Zollverein-Gelände und sogar ein Vierspänner genanntes Bergmann-Haus aus dem Jahr 1899 -originalgetreu eingerichtet mit zwei Schlafzimmern.

Gerade wer ein Zimmer mit Frühstück bucht, bekommt mehr als einfach nur "Bed & Breakfast": Die Vermieter wohnen meist seit vielen Jahren im Essener Norden und können den Gästen auch viel über das Leben im Revier erzählen. Ilse Rautenberg gehört dazu. "Als mein Mann gestorben ist, ist mir die Decke auf den Kopf gefallen", sagt die 75-Jährige. Dann kam die Anfrage von Zollverein Touristik: "Höh' ma Ilse, hasse nich'n Zimmer?" Lange überlegt hat Ilse nicht.

Ein Doppelzimmer und ein Einzelzimmer vermietet sie inzwischen -mit Frühstück, und zwar einem, das sich sehen lassen kann. "Heute kommt noch ein Ehepaar aus Thüringen", erzählt die Vermieterin. "Ich hab' aber auch schon Gäste aus Holland, Spanien, Schweden und der Schweiz gehabt." Damit die Verständigung besser klappt, hat Zollverein Touristik extra einen Englisch-Kurs für die Vermieter -häufig ältere Damen, deren Schulzeit lange zurück liegt - organisiert.

Auch Ingegret Josefs hat daran teilgenommen. "Kaum war ich in dem Kurs, kam schon ein Ehepaar aus Wales", erzählt sie. "Das macht einfach Spaß." Die beiden älteren Damen kümmern sich stets höchstpersönlich um die Gäste - und das endet nicht beim Betten beziehen: "Wenn wir uns sympathisch sind, sitzen wir abends schon mal zusammen und quatschen bis um elf", sagt Ilse Rautenberg.

Informationen: Zollverein Touristik, Kokerei Zollverein, Arendahls Wiese, Tor 3, 45141 Essen (Tel.: 0201/860 59 40)

Quelle: ntv.de

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