Todesurteil für die Serengeti? Straße soll Nationalpark zerteilen
17.09.2010, 15:07 UhrDie Einwohner armer Städte im Norden Tansanias hoffen auf eine Fernstraße, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Straße aber soll von 2015 an mitten durch eines der berühmtesten Naturschutzgebiete der Welt führen: die Serengeti. Widerstand formiert sich.

Eins der letzten großen Naturspektakel ist durch den geplanten Straßenbau gefährdet: ...
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Die Serengeti darf nicht sterben! Unter diesem Slogan erreichten Michael und Bernhard Grzimek vor 50 Jahren nicht nur Millionen Menschen, sondern trugen mit ihrer Arbeit auch wesentlich dazu bei, dass ein afrikanisches Naturparadies unter Schutz gestellt wurde. Jetzt fürchten Umweltschützer erneut um dieses Stück Weltnaturerbe. Ursache ist ein Straßenbauprojekt, das inzwischen weltweit für Aufregung sorgt: Tansanias Regierung möchte eine Handelsstraße quer durch die Serengeti bauen. Ihr geht es um die Entwicklung strukturschwacher Gebiete, um die Einlösung von Wahlversprechen und um eine Verbesserung der Transportwege vom Hafen Daressalam auch in die Nachbarstaaten wie Burundi und Kongo.
Die Tourismusindustrie in Tansania und in Kenia fürchtet dagegen Wirtschaftseinbußen, Umweltschützer warnen vor dem Ende der weltberühmten Wanderung der Gnus und Zebras in einem der letzten weitgehend umberührten Savannengebiete Ostafrikas und damit vor dem Tod der Serengeti. "Nicht umsonst ist sie der Inbegriff der afrikanischen Savanne", sagt Markus Borner, Direktor des Afrika-Programms der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft und Grzimeks Nachfolger.
Im britischen Fachjournal "Nature" melden sich nun Wissenschaftler wie Borner, Andrew Dobson von der Princeton-Universität und Anthony Sinclair von der Universität Vancouver zu Wort. Die Fernstraße, die auf einer Strecke von 50 Kilometern quer durch die Serengeti führen soll, werde das Ökosystem ruinieren, warnen sie zusammen mit 24 Forscherkollegen. Eine ökologische Katastrophe drohe. "Beispiele aus anderen Ökosystemen zeigen, dass die Zahl wandernder Tierarten stark zu fallen droht und zu einem Zusammenbruch des Ökosystems Serengeti führt" begründen sie ihren Protest gegen das Straßenbauprojekt, das vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen Ende Oktober in dem ostafrikanischen Land neue Dynamik erhält. Von 2012 an sollen die Bulldozer in die Serengeti rollen, drei Jahre sollen die Bauarbeiten dauern.
Zwei Millionen Gnus, Zebras und Antilopen
Fast zwei Millionen Gnus, Zebras und Antilopen sind in der Serengeti und der Massai Mara heimisch. Die Straße durch den Nationalpark würde die Wanderwege der Herden unterbrechen. Besonders betroffen wären die Gnus, die jedes Jahr in Herden von mehreren tausend Tieren von der Serengeti in die kenianische Massai Mara wandern, den Regenfällen folgend, die für frisches Gras in der Savanne sorgen. "Fast überall auf der Welt haben wir Menschen dieses gigantische Schauspiel zerstört, hier gibt’s das noch", mahnt Borner.
Die fast zwei Millionen Gnus, Zebras und Antilopen, die in Serengeti und Mara heimisch sind, bilden auch eine wichtige Nahrungsgrundlage für die Raubtiere. Ohne die Wanderung der Tiere droht auch Löwen, Geparden, Hyänen und Krokodilen Hunger und Tod.
Fast 500.000 Kälber werden jedes Frühjahr in der Serengeti geboren, in der allein 1,3 Millionen Gnus leben. Angesichts der riesigen Zahl wandernder Tiere könnten auch Tunnel oder Brücken, die als Wanderkorridore dienen sollen, den Andrang nicht bewältigen, fürchten die Wissenschaftler. Besonders alarmiert sind sie über die geplante Einrichtung eines Streifens von 50 Metern jenseits der Fahrbahn, der nicht mehr Gelände des Nationalparks sein soll. Die Folgen könnten dramatisch sein. Denn innerhalb der tansanischen Nationalparks gelten strenge Regeln – Nachtfahrten sind verboten, die Höchstgeschwindigkeit darf 50 Kilometer in der Stunde nicht überschreiten.
Wenn diese Regeln für die Fernstraße nicht gelten, könnten Lastwagen Tag und Nacht mit hoher Geschwindigkeit durch die Savanne rasen. Wildunfälle sind auf afrikanischen Straßen nicht selten. Gerade in der Dämmerung oder nachts können Autofahrer nicht immer rechtzeitig bremsen, wenn ein Zebra oder Gnu über die Straße galoppiert. Der Schaden für Mensch und Tier während der Wanderperioden dürfte erheblich zunehmen, wenn eine Straße das Gebiet wandernder Herden durchschneidet, warnen Naturschützer.
Berechnungen zufolge könnte eine Zerschneidung der traditionellen Wanderrouten zu einem massiven Rückgang der Gnus auf nur noch 300.000 Tiere führen. Die Artenvielfalt, aber auch die ökologische Qualität der Serengeti und der Massai Mara würden nach Ansicht der Kritiker des Straßenbauprojekts massiv leiden.
Rückendeckung durch den Präsidenten
Pläne für eine Straße durch die Serengeti seien früher bereits wiederholt wegen ökologischer Bedenken verworfen worden, betont das Journal "Nature" in einem Editorial. In den 1980ern habe die Weltbank die Finanzierung eines solchen Projekts versagt. Und in den 1990ern sei eine unabhängige Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass der anzunehmende Schaden ein zu hoher Preis für die Transportvorteile sei.

Der Traum eines Afrika-Touristen - das Schauspiel aus der Luft zu betrachten: Heißluftballon über einer Herde von Streifengnus ...
(Foto: REUTERS)
Die tansanischen Regierungsvertreter versichern dagegen, das 380-Millionen-Euro-Projekt solle die Interessen von Wirtschaft und Naturschutz vereinen. Der Straßenbau sei ein wichtiger Teil der Versprechen an die Bevölkerung in der Region am Viktoriasee, bekräftigt Naturschutzministerin Shamsa Mwangunga. "Das Projekt wird sich nicht auf das Ökosystem Serengeti und die Tierwanderung auswirken", versprach sie kürzlich.
Präsident Jakaya Kikwete, der sich Ende Oktober um eine Wiederwahl bemüht, hat vor wenigen Wochen dem Straßenbauprojekt Rückendeckung gegeben. "Ich werde nicht zulassen, dass etwas gebaut wird, was dem Umweltsystem schadet", versicherte er in einer Fernsehansprache. Der durch die Serengeti führende Straßenabschnitt werde nicht asphaltiert sein, sondern eine Schotterstraße. Es gehe aber auch um die Entwicklung des Landes. "Unsere Landsleute, die außerhalb des Nationalparks leben, haben ebenso ein Recht auf Entwicklung wie alle anderen in Tansania. Wir müssen die Interessen beider Seiten berücksichtigen", betonte er und merkte an, dass die meisten Proteste aus dem Ausland kämen.
Vor allem ausländischer Protest
In der Tat sind zahlreiche internationale Reiseanbieter unter denjenigen, die gegen das Straßenprojekt protestieren, ebenso wie Ostafrika-Fans, die in sozialen Netzwerken im Internet von der Schönheit der Serengeti und traumhaften Naturschauspielen während ihres Urlaubs schwärmen. Die Gnuwanderung bringt alljährlich tausende Touristen ins Land – und mit ihnen Geld, von dem allein in Tansania 600.000 Menschen abhängig sind.
In diesen Protesten und Online-Kommentaren ist meist von den Menschen in den Dörfern rund um die Serengeti oder in den Regionen am Viktoriasee, in die die Touristen ohnehin nie einen Fuß gesetzt haben, keine Rede. Die Tatsache, dass die schnell wachsende Bevölkerung in Tansania wie in vielen anderen afrikanischen Ländern Weide- und Ackerland braucht, Zugang zu Märkten, wird in der Diskussion aus dem Ausland in der Regel ausgeblendet.

... bei ihrer Wanderung durch das Naturschutzgebiet Masai Mara. Von September bis November ziehen Herden aus der Serengeti durch Masai Mara.
(Foto: REUTERS)
Auch "Nature" warnt in seinem Editorial die Kritiker, den Fall nicht übertrieben darzustellen. Die Regierung habe gegenwärtig lediglich eine Schotterstraße versprochen. Die düstersten Vorhersagen der Kritiker gingen dagegen von einer durch Zäune geschützten Asphaltstraße aus. Allerdings sei diese als nächster Schritt nach dem Bau einer Schotterstraße zu erwarten. Dennoch dürfe Kritik den Straßenbau nicht nur ablehnen, sondern müsse auch mit Alternativen aufwarten.
So räumte der bekannte kenianische Naturschützer Richard Leakey kürzlich in einem Interview mit der Naturschutzorganisation Wildlife direct ein, dass eine Fernstraße für die Orte am Viktoriasee lebensnotwendig sei. "Es sollte nicht die Frage wirtschaftliche Entwicklung oder Tiere sein", sagte er. "Die Tiere sollten Teil der wirtschaftlichen Entwicklung sein." So könnte die Straße mit leicht erhöhten Kosten südlich der Serengeti gebaut werden – einen solchen Alternativentwurf hat auch die Afrikanische Wildlife Foundation (AWF) bereits vorgestellt. Nach Ansicht der Wissenschaftler um Dobson und Borner wäre dieser sogar der wirtschaftlich lohnendere Weg: "Er würde etwa 2,3 Millionen Menschen den wertvollen Zugang zu landwirtschaftlichen Märkten ermöglichen, die nördliche Route dagegen nur 431.000", betonen sie.
Welterbetitel in Gefahr
Andernfalls könne die Strecke durch die Serengeti auch als Hochstraße auf Pfeilern gebaut werden. "Das ist sehr teuer, aber nicht unmöglich", sagte Leakey. Vor allem müsse über die bis 2015 gebaute Straße hinaus gedacht werden. Noch haben die Städte Mwanza und Musoma am Viktoriasee nur jeweils 500.000 Einwohner. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung würden bis zum Jahr 2050 aber jeweils 3 bis 4 Millionen Menschen dort leben. "Dann wird es nicht mehr um eine schmale Straße gehen, sondern um eine sechsspurige Straße mit einer Eisenbahnstrecke daneben", prognostizierte Leakey, der als Mitglied der berühmten Archäologendynastie das Denken in großen Zeiträumen gewöhnt ist.
Die Bevölkerung in der Region um die Serengeti jedenfalls ist zunehmend ungeduldig. "Uns wurde eine Straße versprochen und wir warten noch immer", klagt Lengumo Parmiria, ein Stammesältester in Ngorongoro. Da die Vieh züchtenden Nomaden der Region wegen der schlechten Straßen keinen Zugang zu den Märkten hätten, trieben sie ihre Rinder und Ziegen bis nach Kenia, um sie verkaufen zu können.
Die Weltkulturorganisation UNESCO sieht das Projekt skeptisch. Die Serengeti ist Teil des Weltnaturerbes. Sollte das Ökosystem Schaden nehmen, droht Tansania eine Aberkennung dieses Titels. Nachbarland Kenia ist ebenfalls besorgt, auch mit Blick auf die Einnahmen durch Tourismus in der Massai Mara. Die Koalition für Erhalt der Wildtiere, in der sich 31 Organisationen zusammengeschlossen haben, appellierte an die kenianische Regierung, bei den tansanischen Amtskollegen Einspruch gegen das Projekt zu erheben. Josphat Ngonyo vom Afrikanischen Netzwerk für Tierschutz befürchtete nicht nur, dass die Fernstraße zur Todesfalle für wandernde Tiere wird, sondern auch eine Zunahme der Wilderei: "Wilderer werden leichten Zugang zum Park haben und eine schwere Gefahr für Tierarten darstellen, die bereits bedroht sind."
Quelle: ntv.de, Eva Krafczyk, dpa