Reise

Vorbild für Kinskis Fitzcarraldo Opernklang im "Paris der Tropen"

Das Innere des Opernhauses in Manaus: verschwenderischer Prunk, goldüberladen.

Das Innere des Opernhauses in Manaus: verschwenderischer Prunk, goldüberladen.

(Foto: dpa)

Manaus galt lange als "Paris der Tropen". Der Kautschukboom ließ die Amazonas-Hauptstadt Ende des 19. Jahrhunderts erblühen. Das Teatro Amazonas ist mit seinem Opernfestival bis heute das Juwel der Metropole. Ein Sachse ist dort Hornist. Und Schlingensief hat hier Wagner inszeniert.

Wolfgang Ebert wollte eigentlich nur ein Jahr in Manaus bleiben. Der junge Waldhornist aus Sachsen hatte ein Urlaubssemester eingelegt und das Studium in Leipzig noch nicht beendet. Das war 2005. Doch hat ihn die brasilianische Amazonas-Hauptstadt seitdem nicht mehr losgelassen. So erging es vielen. Dabei ist die 1,8-Millionen-Einwohner-Stadt chaotisch. Nervtötende Staus, die unerträgliche Hitze der Äquatorsonne, dann tagelang, wochenlang dichter tropischer Regen, extrem hohe Luftfeuchtigkeit - eine unwirtliche Gegend für Nordeuropäer. Doch wer Musiker ist, findet in Manaus eine Oase der Hochkultur: das Teatro Amazonas, eines der besten Opernhäuser der Welt.

In klassischer Architektur präsentiert sich die Fassade des Opernhauses.

In klassischer Architektur präsentiert sich die Fassade des Opernhauses.

(Foto: dpa)

Majestätisch liegt das am Silvesterabend 1896 eröffnete Theater an der Praça de São Sebastião. Das Wahrzeichen ist die Kuppel in den grün-blau-gelben Nationalfarben Brasiliens, für die 36.000 Keramikkacheln aus dem Elsass herangeschafft wurden. Heute strömen täglich Touristen aus aller Herren Länder in das rosafarbene Gebäude. "In Spitzenzeiten sind es 500, manchmal sogar 1000 Besucher am Tag", erzählt Marcela Carvalho, die im Teatro Amazonas für Veranstaltungen und Tourismus zuständig ist. Seitdem am Hafen von Manaus große Kreuzfahrtschiffe anlegen, darunter auch die Aida aus Deutschland, ist der Besucherstrom extrem gewachsen. Viele kommen wegen des jährlichen Opernfestivals. Die 16. Auflage beginnt in diesem Jahr am 20. April und dauert bis 17. Mai. 130 Karten sind schon für deutsche Touristen reserviert.

Schlingensief inszenierte Wagner

Erstmals wurde das Festival 1997 veranstaltet. 2007 inszenierte der Regisseur Christoph Schlingensief (1960-2010) am Teatro Amazonas die Wagner-Oper "Der fliegende Holländer" und fand damit viel Beachtung. "Er war schon ein wenig verrückt. Aber die Zusammenarbeit mit ihm war fantastisch und sehr interessant", erinnert sich der Festival-Chef und Leiter des "Orquestra Amazonas Filarmônica", Luiz Fernando Malheiro. Er zählt zu den renommiertesten Dirigenten Brasiliens, und auch er arbeitet jetzt schon über ein Jahrzehnt in Manaus. 1999 wurde er erstmals eingeladen, das Festival zu leiten. 2000 kam er nochmal. Dann ist er geblieben.

Christoph Schlingensief bei einer Probe zu "Der Fliegende Holländer" mit Samba-Tänzerinnen in Manaus. (April 2007)

Christoph Schlingensief bei einer Probe zu "Der Fliegende Holländer" mit Samba-Tänzerinnen in Manaus. (April 2007)

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das "Festival Amazonas de Ópera" festigte den internationalen Ruf von Manaus als Opernmetropole. "Heute ist es das bekannteste und wichtigste Festival seiner Art in Brasilien, das viel Beachtung in der Fachwelt und im Ausland findet", sagt Malheiro. In diesem Jahr werden drei Opern mit je drei Aufführungen geboten: "Lulu" des österreichischen Komponisten Alban Berg, "I puritani" ("Die Puritaner") von Vincenzo Bellini und "Die Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart. Zudem gibt zwei konzertante Aufführungen von Giacomo Puccinis "Tosca". "Lulu wird erstmals in Brasilien in deutscher Sprache aufgeführt", betont Malheiro.

Erschwingliche Eintrittskarten

Die Aufführungen sind während des Festivals ausverkauft, doch gibt oft zwei Wochen vor Beginn noch Karten. Die sind anders als in europäischen Opernhäusern zu sehr erschwinglichen Preisen zwischen fünf Reais (zwei Euro) und 80 Reais (35 Euro) zu haben. Das Teatro Amazonas hat 701 Plätze, davon 266 im Parkett und insgesamt 425 in den auf drei Etagen verteilten Logen sowie auf den Rängen. In den Gründerjahren waren die Preise für "Normalsterbliche" unerschwinglich. "Dabei ging es weniger um die Oper, sondern mehr um das Gesehenwerden", erzählt Gabriel Cavalheiro Leal, der eine der vielen Touristen-Gruppen durch die Prunksäle des Theaters führt.

Der Kautschukboom ließ das kleine Dorf Manaus zur Metropole anwachsen.

Der Kautschukboom ließ das kleine Dorf Manaus zur Metropole anwachsen.

(Foto: dpa)

Vor dem "Salão Nobre" müssen die Besucher in große Filzlatschen steigen, um die wertvollen Holzintarsien am Boden nicht zu beschädigen. Der "Edel-Salon" mit Barock-Elementen und Rosé-Marmor, Büsten und opulenten Deckengemälden war seinerzeit nur der Haute Volée von Manaus vorbehalten. Dort traf man sich in den Pausen der Aufführung. Die Sitten waren streng. Verliebte kamen sich nicht wirklich näher. Sie nahmen im "Namoradeira" Platz, einer Bank, wo die Dame am linken und der Verehrer am rechten Ende saß. Dazwischen wachten die Eltern argwöhnisch über das schickliche Verhalten ihrer turtelnden Sprösslinge.

Boom durch Kautschuk

Die Idee zum Bau des Theaters hatte 1881 der Abgeordnete A. J. Fernandes Júnior. Damals war Manaus eine der Boomstädte der Welt. Möglich machte es der Kautschuk, der Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Rohstoffe der Industrialisierung wurde. Das flüssige Gold wurde den Kautschukbäumen im Amazonas abgezapft und in die USA und nach Europa transportiert. Es war die Zeit, in der sich die Gummi-Barone ihre Zigarren mit Geldscheinen anzündeten und ihre Hemden zum Ausbessern und Bügeln nach Europa verschifften. Der Geldsegen des Kautschukbooms ließ das kleine Dorf Manaus im tiefsten Amazonas-Regenwald zur Metropole wachsen. Die Bohème eroberte die Stadt im Amazonas-Regenwald.

Von dieser Zeit erzählt auch der Film "Fitzcarraldo" (1982) von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Kinski spielt dabei den exzentrischen Opernliebhaber Brian Sweeney Fitzgerald, der nach dem Vorbild des Teatro Amazonas ein Opernhaus im peruanischen Dschungel errichten will. Anders als in Manaus scheitert das Projekt durch ein abenteuerliches Finanzierungsvorhaben, bei dem Fitzcarraldo zum Kautschuk-Transport ein ganzes Schiff über einen Urwaldhügel ziehen lässt. Sein Traum geht in dem Film nicht in Erfüllung und auch im wirklichen Leben endete die Blütezeit von Manaus jäh, als der englische Forscher Henry Wickham 70.000 Samen des Kautschukbaumes aus Brasilien herausschmuggelte. Das Monopol war gebrochen und Brasiliens goldenes Gummi-Zeitalter zu Ende.

Öffentlich finanziert

Das Teatro Amazonas blieb. Es war immer öffentlich finanziert. Allein das Opernfestival kostet jährlich um die vier Millionen Reais (1,7 Millionen Euro), und es ist nicht das einzige Festival. "Im Juni gibt es ein Jazz-Festival, im September folgt die Musica Popular, dann ein Theater-Festival im Oktober und im Dezember das Filmfestival", erzählt Theatermanagerin Marcela Carvalho.

Der Waldhornist Wolfgang Ebert aus Sachsen bei Proben in Manaus.

Der Waldhornist Wolfgang Ebert aus Sachsen bei Proben in Manaus.

(Foto: dpa)

Es ist diese Vielfalt, die den sächsischen Musiker Wolfgang Ebert an der Stadt im Amazonas fasziniert. Der 33-Jährige spielte schon vor Prinz Charles, traf Václav Havel und den Sohn Frank Sinatras. Alle kamen nach Manaus.

Dabei stieß Ebert mit seiner Entscheidung für die Amazonas-Stadt am Anfang auf wenig Verständnis zu Hause in Plauen, als er nach einem Jahr Aufenthalt seine Eltern anrief und ihnen verkündete: "Ich komme nicht mehr zurück." Er erzählt: "Das wurde zum Skandal in der Familie. Meine Mutter sagte: Du bist verrückt. Du wirfst deine Zukunft weg. Du musst zurückkommen", erinnert sich der Hornist.

Er ging tatsächlich noch mal für einige Monate zurück und machte an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig sein Diplom. Er bestand mit der zweitbesten Note. Die Eltern waren etwas beruhigt und er kehrte zurück. Seit zweieinhalb Jahren ist er glücklich in Manaus verheiratet, hat einen zweijährigen Sohn, spricht fließend portugiesisch.

Es war die Liebe, die ihn dorthin zog - aber es waren auch die musikalischen Chancen. So spielte er mit 29 Jahren schon den unter Solohornisten so begehrten wie gefürchteten "Siegfriedruf" aus dem zweiten Akt der Wagner-Oper "Siegfried". "Ich habe hier Chancen, die ich in Deutschland nicht hätte", sagt Ebert, der in Manaus zu Hause ist. "Mir geht es hier gut."

Quelle: ntv.de, Helmut Reuter, dpa

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