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DHB-Team macht "großen Schritt" Ab sofort spielt die Zeit für Deutschland

Nils Lichtlein (rechts) und Renars Uscins werden in der Zukunft mehr Verantwortung im DHB-Team erhalten.

Nils Lichtlein (rechts) und Renars Uscins werden in der Zukunft mehr Verantwortung im DHB-Team erhalten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft schließt die Heim-EM mit einem Erfolg ab, der große Wurf ist jedoch nie in Reichweite. Auch der beschworene Heimvorteil hilft da nicht. Doch der Blick in die Zukunft macht Mut. Allerdings droht schnell eine große Drucksituation.

Als alles vorbei war, verließen sie die Handball-Europameisterschaft durch einen Nebenausgang: Renars Uscins und Nils Lichtlein hatten ihre Schuhe in der Hand und schlenderten aus der gigantischen Lanxess-Arena zu Fuß in Richtung Hotel. Zuvor hatten sie mit der deutschen Nationalmannschaft im Spiel um Platz drei die erträumte Medaille verpasst. Als nach dem Ende der Medaillenzeremonie ein Feuerwerk über der Halle gestartet wurde, das den Abschluss dieses einmaligen Turniers markierte, schauten sie sich noch einmal kurz um. Dann setzten sie unbehelligt ihren Weg fort. Das Feuerwerk war für die anderen. Der deutschen Mannschaft blieb am Ende Stolz über den Halbfinaleinzug, aber auch Enttäuschung, wie Platz vier letztlich zustande gekommen ist,

Beim nächsten Mal, wenn die Arena, das "Wembley des deutschen Handballs" ein großes Finalwochenende der besten Nationalteams der Welt beherbergt, wollen sie bis zum Schluss Teil des Spektakels sein. Mittendrin sein, wenn die Medaillen vergeben werden und nicht nur Zuschauer. 2027 ist Deutschland Gastgeber der Handball-WM, spätestens dann wird das Team den nächsten Anlauf nehmen, die Großen des Sports anzugreifen. All die Frankreichs, Dänemarks und Schwedens, die man diesmal nur stressen, aber nie wirklich ärgern konnte.

"Wir haben sehr viel Talent"

Die EHF EURO 2024 war, das muss man, jetzt, wo das Feuerwerk verglimmt ist, sagen, für die deutsche Mannschaft keine ganz große Erfolgsgeschichte. Ohne Frage, mit Platz vier hat sie ein großes Ziel erreicht. Sie hat mindestens kämpferisch überzeugt, gegen die übermächtigen Dänen sogar begeistert. Doch die Bilanz von vier Siegen aus neun Spielen ist alles andere als beeindruckend. Die letzten drei Spiele des Turniers gingen allesamt verloren. Als das Turnier in die entscheidende Phase ging, gingen der deutschen Mannschaft wieder die Energie und der Esprit verloren.

Der Abstand zu den Topnationen habe sich verringert, verkündeten sie im Team und im Verband unisono. Das ist wohl richtig, aber selbst mit dem Heimvorteil und knapp 20.000 Fans in Köln im Rücken, wurden die Verhältnisse im europäischen Handball 2024 nicht etwa aufgebrochen, sondern - im Gegenteil - noch zementiert.

Doch das - und diese Erkenntnis hat dieses Turnier eben auch gebracht - muss nicht auf ewig so bleiben. "Wir haben nicht die Erfahrung von Dänemark, Frankreich und Schweden, aber sehr viel Talent", sagte Bundestrainer Alfred Gislason nach dem finalen Halt der großen Reise seines Teams, die mit dem Weltrekordspektakel von Düsseldorf vor 53.000 Zuschauern begann und in Köln ein enttäuschendes Ende fand. Die Zeit spielt ab sofort für Deutschland. Und das hat viel mit Nils Lichtlein und Renars Uscins zu tun. "Durch neue Spieler im Kader haben wir neue Optionen bekommen, die in der Zukunft sehr wertvoll sein können. Das war ein Schritt nach vorn", lobte Kapitän Johannes Golla in seinem EM-Fazit.

Lichtlein als Alternative

So wird die Problemstelle im rechten Rückraum schon bald behoben sein, wo der verdienstvolle, aber auf dem höchsten Niveau zu oft abfallende Kai Häfner längst nicht mehr auf Turnierlänge großen Ansprüchen gerecht werden kann. Die Fans hatten Uscins schon nach dem Spiel gegen Dänemark für seinen beherzten Auftritt zum "Man of the Match" gemacht, gegen Schweden trumpfte der U21-Weltmeister wieder auf. Achtmal traf der Linkshänder gegen Schwedens Weltklassetorhüter Andreas Palicka und Tobias Thulin, bei vier Fehlwürfen eine starke Quote.

Auch wenn Uscins sich Fehler leistete, überzeugte er mit Tempo, Mut und einem gewaltigen Zug zum Tor. Dinge, die dem in vielen Momenten zu statischen deutschen Rückraum in der Crunchtime gegen die großen Gegner zuletzt zu oft gefehlt hatten. 2027 findet die Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Bis dahin könnte der Mann von der TSV Hannover-Burgdorf auf seiner Position dauerhaft in die internationale Klasse aufsteigen.

Nils Lichtlein besitzt international bereits einen ausgezeichneten Ruf. Gerade in Dänemark hatten sie sich nach dem Halbfinale gefragt, warum der Berliner, immerhin MVP der U21-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer, nicht schon bei diesem Heimturnier mehr Spielzeit bekommen hat. Gerade in den Spielen, in denen der etatmäßige Spielmacher Juri Knorr merklich mit sich selbst zu tun hatte und am Rande des Grenzbereichs drehte. Philipp Weber, den Gislason als Knorr-Vertreter Nummer eins auserkoren hatte, agierte zu oft unglücklich. Hält Lichtlein mit den großen Erwartungen an ihn halbwegs Schritt, wird die deutsche Mannschaft 2027 ein aufregendes Spielmacher-Duo zur WM schicken.

Der Druck bleibt hoch

Auch die übrigen Stützen des Teams haben noch viel Zukunft vor sich: Kapitän Johannes Golla, der die Aura eines Elder Statesman in der Gestalt eines Ein-Mann-Rollkommandos verströmt, ist erst 26 Jahre alt. Julian Köster und Knorr, auf die bei der zu Ende gegangenen EM eine Menge Erwartungen abgeladen wurden, die aber weiterhin mitten in ihrer Entwicklung stecken, sind sogar erst 23 Jahre alt. Dazu kommen die beiden anderen U21-Weltmeister David Späth und Justus Fischer, die im Turnier keine nennenswerten Akzente setzen konnten. Doch auch ihre Zeit wird kommen. Torwart Späth hat bereits in der Bundesliga für seine Rhein-Neckar Löwen bewiesen, dass er ein ganz hohes Niveau erreichen kann.

Der gnadenlose Terminkalender im Handball lässt nicht zu, dass sich Mannschaften in Ruhe entwickeln können. Entwicklung findet immer unter Hochdruck statt. Jedes Jahr gibt es unter strenger Beobachtung der Sportnation mindestens ein Großturnier, 2024 sind es sogar zwei. Im Idealfall. Durch die Niederlage im Spiel um Platz drei muss sich die deutsche Mannschaft noch über ein eigenes Qualifikationsturnier ihr Ticket für die Olympischen Spiele im Sommer verdienen. Die Gegner im März werden Österreich, Kroatien und Algerien sein, nur die ersten beiden der Vierergruppe fahren nach Paris. Eine erfolgreiche Qualifikation ist alternativlos, der Handball braucht im Ringen mit den anderen Sportarten im Schatten des Fußballs die Aufmerksamkeit.

Die EM 2024 mit all ihren Begleiterscheinungen - den gigantischen Dimensionen, dem großen Druck des Gastgebers, Spielen gegen drei der besten Teams der Welt und der Dramaturgie, sich während des Turniers noch einmal neu erfinden zu müssen - hat der deutschen Mannschaft viel geboten, das sie mitnehmen kann. Die Entwicklung muss weitergehen. Und sie haben selbst viel vor, Zufriedenheit macht sich jedenfalls nicht breit. Schon vor dem Spiel um Platz drei hatte das DHB-Team die Einladung der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reeker, sich für eine eventuelle Bronzemedaille im historischen Rathaus der Stadt feiern zu lassen, eine klare Absage erteilt: "Bronze wäre ein großartiger Abschluss, aber wir sind damit nicht am Ende unseres Weges. Deshalb gehören wir noch nicht auf einen solchen Empfang", verkündete Kapitän Golla für seine Mannschaft.

Es besteht Anlass zum Optimismus, dass das DHB-Team in den kommenden Jahren mal wieder ein großes Finalwochenende nicht mehr schon vor dem Feuerwerk durch den Nebenausgang verlassen muss.

Quelle: ntv.de

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