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DHB-Team lässt Traum platzen Es hätte desolat werden können, so gab es nur Entsetzen

m Ende mussten sie sich gegenseitig trösten.

m Ende mussten sie sich gegenseitig trösten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft verabschiedet sich mit einer Pleite aus der Heim-EM. Der Medaillentraum platzt in einer desolaten ersten Hälfte. Den schlechten Eindruck bekommen sie noch repariert, das Ergebnis nicht.

Was ist da in der Kölner Arena passiert?

Wie viel Luft drin ist, misst man in Bar. Die Einheit für "Luft raus" könnte ab sofort 1 DHB heißen. In ihrem letzten Spiel bei dieser Europameisterschaft lieferte die deutsche Handball-Nationalmannschaft in der ersten Hälfte ihre harmloseste Leistung ab und war kurz davor, eine unwürdige letzte Erinnerung an dieses Turnier mit vollen Hallen und großer Stimmung zu kreieren. Es wurde im Laufe der Begegnung viel besser, wirklich gut wurde es nicht mehr. Am Ende des herbeigesehnten Spiels um Platz drei bekamen die deutschen Spieler tröstende Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Schweden bekommen nach dem 34:31 die Medaillen.

Vom überragend intensiven Abwehrspiel aus dem Halbfinale gegen Dänemark war nun, da es gegen Schweden immerhin um Bronze ging, nur noch Fragmente zu erahnen. Im Angriff fehlte ohne Juri Knorr, der sich in den ersten Minuten selbst demontiert hatte, wieder die Durchschlagskraft. Und von den Chancen, die man sich doch erarbeitete, blieben zu viele ungenutzt. Tempospiel fand ganz grundsätzlich nicht statt.

Als Hallensprecher Kevin Gerwin zwanzig Sekunden vor der Halbzeit ins natürlich wieder prallgefüllte Rund der Lanxess-Arena brüllte "WIE IST DIE STIMMUNG BEI EUCH?" wollte man bitter lachen. Die Stimmung hatte sich längst dem Spiel angepasst. Wie so oft in den Tagen von Köln, wo der Funken fehlte, um sich wechselseitig in Brand zu stecken! Der Heimvorteil existierte für die Endphase der ersten Hälfte längst nur noch als Inszenierung. Nur Sekunden später traf Schweden zum 18:12-Pausenstand. Emotionen zeigten die deutschen Spieler, die so gut darin sind, sich im Verbund Energie einzupeitschen, schon früh keine mehr. Die Schweden dagegen, die ihr Halbfinale denkbar knapp nach Verlängerung gegen Frankreich verloren hatten, waren in der Regel zu schnell fürs deutsche Spiel. Und hatten in Andreas Palicka einen überragenden Torwart. Es waren traurige erste 30 Minuten, wenn man ein Freund des deutschen Handballs ist.

Dabei waren die Voraussetzungen doch prächtig, wenigstens emotional: Das letzte Spiel zu Hause, die Chance auf den größten Erfolg seit der Olympischen Bronzemedaille von 2016. Sie wollten sich doch stolz machen nach einer körperlich und emotional anstrengenden EM zwischen Krisenmodus und Euphorie. Aus dem großen Kampf, den sie den Dänen geliefert hatten, hatten sie doch zuvor Zuversicht gezogen. Die Schweden dagegen waren bei ihrer Niederlage gegen Frankreich emotional in die Hölle geschickt worden: Ein umstrittenes Wundertor nach der Schlusssirene hatte den Traum vom Endspiel zerstört.

In der zweiten Halbzeit boten sie den Schweden dann ein echtes Handballspiel an, die Halle war da und auch Juri Knorr. Es lief nicht alles brillant, aber es lief intensiv. Sie machten Tor um Tor gut, hatten ihre Emotionen, die Abwehr und einen Hauch von Tempospiel wieder entdeckt und waren irgendwann bis auf ein Tor dran. Ein "Riesenkompliment" machte Bundestrainer Alfred Gislason seiner Mannschaft für die zweite Hälfte. Es reichte nicht mehr, aber sie haben immerhin den desolaten letzten Eindruck ein bisschen repariert. "Ich bin stolz darauf, dass ich dieses Turnier erleben durfte", sagte ein völlig konsternierter Kapitän Johannes Golla am Hallenmikrofon. "Aber wir haben uns mit der ersten Halbzeit viel verbaut."

Mit dem Abpfiff entwich die Luft wieder aus den deutschen Spielern, völlig enttäuscht und entkräftet stützte Julian Köster die Hände auf die Knie und schaute ewig auf den Hallenboden. Jannik Kohlbacher, Golla, Andreas Wolff - alle hatten im Blick nur Leere. Das Feuer war längst erloschen.

Am Ende feierten die Fans die Mannschaft, die es sich selbst so schwer gemacht hatte. Ein kleiner Erfolg, über den sich niemand freuen konnte. "Heute überwiegt die Enttäuschung", sagte Golla. Den großen Erfolg, die Bronzemedaille, hatten sie schon in der ersten Hälfte weggeworfen.

Welche Reaktion hat Juri Knorr gezeigt?

Juri Knorr hatte sich nach dem verlorenen Halbfinale gegen Dänemark selbst zerlegt: Er habe "nicht alles auf der Platte gelassen"- Er habe sich "ein bisschen von der Angst vor der Größe des Moments lähmen lassen", sagte er. Und auch am Tag danach war da weder Trotz noch Aufbruchstimmung: "In meinem Kopf ist nur das Halbfinale, kein Spiel um Platz drei." Dabei hatte Knorr gegen die Dänen, immerhin das beste Team der Welt, zwar keine Leistung gezeigt, die das deutsche Team für ein sportliches Wunder gebraucht hätte. Aber die Selbstvernichtung des Regisseurs war auch unangemessen. "Ich habe ihm nicht viel vorzuwerfen", sagte Gislason.

Nun legte der deutsche Spielmacher los, als wolle er reparieren, was natürlich mit Verspätung nicht zu reparieren ist. Knorr überdrehte, er richtete in den ersten Minuten großen Schaden an. Im eigenen Spiel. Schon nach zwölf Minuten und zahlreichen, teils wilden Fehlwürfen, verschwand der Regisseur, der zuvor ins All-Star-Team des Turniers gewählt worden war, auf der Bank.

Zu Beginn der zweiten Hälfte versuchte es der 23-Jährige noch einmal, straffte sich wenigstens ein bisschen, auch wenn er weiter viele Fehler produzierte. Zu viele, um dieses Spiel zu gewinnen. Das Herz des deutschen Spiels schlägt im Takt, den Knorr vorgibt. Gerät der Spielmacher aus dem Rhythmus, wird es gefährlich. Dieses Mal gab er sich trotz einer verbesserten Leistung wirklich einen Grund, sich selbst schwer zu geißeln.

Gab es einen Lichtblick?

Die Problemstelle im rechten Rückraum wird bald behoben sein. Das ist die gute Nachricht, die diese EM gebracht hat. Die Fans hatten Renars Uscins schon nach dem Spiel gegen Dänemark für seinen beherzten Auftritt zum "Man of the Match" gemacht, nun trumpfte der U21-Weltmeister wieder auf. Achtmal traf der Linkshänder gegen Schwedens Weltklassetorhüter Palicka und Tobias Thulin, bei vier Fehlwürfen eine starke Quote. Auch wenn Uscins sich Fehler leistete, überzeugte er mit Tempo, Mut und einem gewaltigen Zug zum Tor.

Dinge, die dem in manchen Momenten zu statischen deutschen Rückraum in der Crunchtime gegen die großen Gegner zuletzt zu oft gefehlt hatten. 2027 findet die Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Bis dahin könnte Uscins auf seiner Position dauerhaft in die internationale Klasse aufsteigen. Es wäre ein gewaltiger Baustein, den der deutsche Handball dringend braucht, um demnächst auch wieder ganz oben mitmischen zu können.

Was bleibt vom Tage übrig?

Deutschland hat schon wieder ein K.-o.-Spiel, ein Alles-oder-Nichts-Duell verloren. Seit Olympia 2016 warten nun schon diverse DHB-Generation darauf, mal wieder dann zu liefern, wenn es um die ganz großen Ziele geht. So verabschiedet sich der Gastgeber mit nur vier Siegen aus neun Spielen (!) aus der Heim-EM, bei der sie doch endlich mal den nächsten Schritt gehen wollten. Bundestrainer Alfred Gislason versicherte, man sei in diesen Tagen näher an die Weltspitze ran gerückt. Trotzdem verabschiedet sich Team mit drei Niederlagen in Serie.

"Wir spielen gegen drei Topteams - Frankreich, Dänemark, Schweden - und alle müssen über 60 Minuten alles reinwerfen, um uns zu schlagen", sagte Rückraumstar Köster, dem gegen Ende des Turniers die Dinge wieder schwerer fielen. "Das ist schon mal ein erster Schritt."

Letztlich, auch das ist ein Teil der Wahrheit der gegen Frankreich und Dänemark teilweise begeisternden Auftritte, hatte die deutsche Mannschaft gegen die Topteams, die ihren Weg zwischen Düsseldorf zum Auftakt und Köln als Sehnsuchtsort gekreuzt hatten, in keinem Spiel eine realistische Siegchance. Auch, wenn sie sich mit großem Kampf an ihre Ziele klammerten.

Im Moment reicht es, die Großen des Handballs zu nerven, sie zu stressen. Wenn es darauf ankommt, hilft auch der Heimvorteil nicht. Noch nicht, das ist immerhin eine Erkenntnis aus diesem Turnier. Denn die Zeit spielt für die deutsche Mannschaft. Mit Uscins hat sich einer der Jungen in den Fokus gespielt, die Zeit des verdienten Kai Häfner als Stammkraft im rechten Rückraum dürfte sich ihrem Ende entgegen neigen.

Den anderen drei U21-Weltmeistern - David Späth, Justus Fischer und Nils Lichtlein - schenkte der Bundestrainer noch wenig Vertrauen. Doch auch ihre Zeit wird kommen. Torwart Späth hat bereits in der Bundesliga bewiesen, dass er ein ganz hohes Niveau erreichen kann. Und Spielmacher Lichtlein genießt international einen ausgezeichneten Ruf. Mit dem Linkshänder wächst die passende Alternative zu Juri Knorr heran. Was man bisweilen vergisst: Auch Knorr ist erst 23-Jahre alt, Kreisläufer Johannes Golla lieferte offensiv und im Mittelblock bisweilen begeisternd ab - und ist dabei erst 26 Jahre alt. Ab morgen spielt die Zeit wieder für Deutschland.

Wie wurden die Spitzenpolitiker empfangen?

Erinnern wir uns zwei Wochen zurück, an die Vorrunde der deutschen Handballer am Spielort Berlin: Fürchterliche Pfeifkonzerte hatten da nacheinander Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Minister Robert Habeck und Nancy Faeser über sich ergehen lassen müssen. "Erschreckend" fand das DHB-Kapitän Golla. Nun, zum Abschluss des Turniers, besuchten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst und der schleswig-holsteinische Landesvater Daniel Günther die Kölner Lanxess-Arena. Sie alle wurden mit einem warmen Applaus empfangen.

Quelle: ntv.de

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