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Frank Goosen im Abstiegskampf Aberglaube und Fußball? Tinnef!

Der Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga ist spannend wie selten zuvor. Lustig ist das nicht, vor allem nicht für die Anhänger der Mannschaften, die mittendrin stecken. Frank Goosen weiß das. Er ist Autor, Kabarettist – und Fan des VfL Bochum.

Im Interview mit n-tv.de spricht er über Trotzreaktionen, seine Abneigung gegen bunte Fußballschuhe, darüber, dass Aberglaube im Fußball auch nicht weiterhilft und dass die Fans die einzige Konstante in einem Verein sind.

n-tv.de: Guten Tag, Herr Goosen. Wenn Sie jemand anruft und mit Ihnen über den VfL Bochum sprechen will: Ist Ihnen das lieb oder wollen Sie am liebsten gar nicht über den Abstiegskampf sprechen?

Frank Goosen: Ich bin schon eher einer, der die Sachen rauslassen muss. Ich bestehe nur darauf, solche Gespräche erst ab zwölf Uhr zu führen, weil ich dann vorher noch arbeiten kann. Ich habe von neun bis eins meine Bürozeit. Da bemühe ich mich zu schreiben oder halt die Sachen zu machen, mit denen ich sonst mein Geld verdiene. Und wenn wir jetzt um zehn Uhr telefoniert hätten, hätte ich den ganzen Vormittag in die Tonne kloppen können, dann ist die Konzentration weg. Aber so lasse ich das gerne mal raus.

Nervös?

Ja sicher. Das wird eine unglaubliche Nervenschlacht. Auf bestimmte Art und Weise bin ich froh, dass es so oder so in zwei Wochen vorbei ist.

Wie konnte es so weit kommen?

Knackpunkt ist die beschissene Hinrunde. So, wie die Spiele in der Rückrunde laufen, ist es halbwegs normal. Aber nach der Hinrunde hätten wir sieben, acht Punkte mehr haben müssen, Minimum. Dann würden wir hier gar nicht über Abstiegskampf reden.

Das heiß: Der Grund allen Übels liegt länger zurück?

Vielleicht, weil ich Romanautor bin, sehe ich gerne das große Ganze. Ich kann das nicht leiden: Blitztabelle oder Live-Tabelle – das ist alles Bullshit. Oder jetzt sind sie Deutscher Meister oder jetzt sind sie abgestiegen. Ne! Wenn es vorbei ist, dann muss man das alles zusammennehmen.

Was heißt das für den VfL Bochum?

Die Situation, die wir jetzt haben, fing bei der Niederlage im allerersten Spiel der Saison in Karlsruhe an. Da sind die Spieler mit der Haltung reingegangen: Eigentlich kann uns ja gar nichts passieren. Und damit hatten sie schon die ersten paar Spiele versaut. Die haben dieses Jahr geglaubt, sie hätten mit dem Abstiegskampf nichts zu tun.

Hm, haben sie aber doch.

Ja, und sie sind nicht in der Lage, die Rückrunde so konsequent durchzuspielen wie in den beiden Jahren zuvor. Das ist jetzt das dritte Mal, dass die Hinrunde schlecht läuft und die Mannschaft das in der Rückrunde ausbügeln muss. Was jedes Mal beweist: Sie können es eigentlich. Aber wir stehen immer erst einmal mit dem Rücken zur Wand.

Und nun folgt eine Niederlage in Hamburg?

Was nun überhaupt gar nicht geht, ist, dass wir – auch hier in Bochum – alle davon ausgehen, dass das Spiel in Hamburg schon gelaufen ist. Was ist das denn für eine Haltung? Natürlich, wenn man so spielt wie beim 0:2 in Berlin hat man in Hamburg nichts zu bestellen. Aber der HSV ist auch am Boden. Die Frage ist: Wie reagieren die? Gibt’s da ne Trotzreaktion und stampfen die uns in den Boden? Oder gehen die mental durch die Demütigung gegen Bremen so auf dem Zahnfleisch, das wir da eine Chance haben.

Ihre Gefühlslage ist eher optimistisch als depressiv?

Ich gebe einfach nicht auf. Und ich glaube nicht an vorher gefertigte Gewissheiten. Ich will nicht zu sehr auf Optimismus machen. Aber man kann es noch hinbiegen. Ich bin mir des Ernstes der Lage total bewusst, aber es ist immer noch nicht vorbei. Und so lange noch irgendetwas möglich ist, hat man sich als Mannschaft, als Fan und als Verein den Arsch aufzureißen. Ich bin eher von einer Trotzhaltung beseelt. Ich bin nicht extrem zuversichtlich, so nach dem Motto: Schaffen wir auf jeden Fall. Aber wir haben immer noch die Chance.

Na ja, bei der Niederlage in Berlin hat die Mannschaft nicht den Eindruck gemacht, als glaube sie an ihre Chance. Nach dem 0:2 kam keine Reaktion.

Nach dem 0:1 ja schon nicht. Das ist ja immer so. Wenn irgendwie ein Tor fällt, ist das für den VfL immer schlecht, ob es für uns fällt oder gegen uns. Wir sind die einzige Mannschaft Deutschlands, für die es keinen beruhigenden Vorsprung gibt. Wir sind ja die einzigen, die ein 4:0 gegen die Bayern noch verloren haben, mit 5:6 am 18. September 1976.

Die Lage ist ernst, aber nicht neu. Nicht für einen Fan des VfL. Gibt es irgendwelche Strategien im Abstiegskampf? Was ist mit Aberglauben?

Ich bin Aufklärer. Wenn der Erfolg deiner Mannschaft davon abhängt, welchen Pullover du anhast oder welches Bier du trinkst, ob du Bier trinkst oder ob du vorher dreimal pinkeln warst – dann hast du schon verloren. Das ist alles Schwachsinn. Auch mein Gefühl vorher, ob ich nun ein gutes oder ein schlechtes habe, sagt nichts aus. Ich bin schon ins Stadion gegangen und dachte: Heute gibt’s richtig auf die Schnauze – und dann haben wir gewonnen. Und umgekehrt war das genau so. Aberglaube und Fußball – das sollte sich ausschließen.

Und letztlich auch der "richtige" Glaube. Ich finde das unerträglich, wie Spieler ihre Religiosität im Stadion zur Schau stellen. Ich bin der altmodisch liberalen Ansicht, dass Religion Privatsache ist. Ich will nicht ständig sehen, wie die sich bekreuzigen und sich die Klamotten vom Leib reißen, um darunter ihren jeweiligen Gottheiten zu huldigen. Es geht mich auch nichts an, ob einer Vater geworden ist. Das ist alles Tinnef.

Auch die Spieler haben so ihre Marotten.

Man soll den Spielern das nicht einreden. Das sind ja alles keine Raketenforscher. Die glauben ja an so einen Quatsch. Die glauben, dass es was bringt, grüne Schuhe zu tragen oder sich eine schwarze Schleife um den Schlappen zu binden. Da ist Hopfen und Malz verloren. Die Spieler müssen erwachsen werden. Das muss man denen zur Not geradezu einprügeln. Und dazu gehört eben auch, dass es egal ist, welche Farbe die Schuhe haben. Ich will von jedem schwarze Schuhe sehen. Weiße, blaue oder rote kann man sich nur leisten, wenn man auch entsprechend einen raushauen kann. Wer in pinkfarbenen Schuhen scheiße spielt, der macht sich total lächerlich.

Zumal es das Phänomen der bunten Schuhe auch in der Kreisliga gibt.

Schon bei den Mini-Kickern! Mein Sohn hat auch blaue Schuhe, weil er die von seinem Cousin in Nürnberg geerbt hat. Wir bekommen die Sachen immer von meiner Schwägerin. Und ich krieg das dann nicht durchgesetzt, dass wir für teures Geld neue Schuhe kaufen, wenn wir doch welche haben, die ihm passen. Aber die Ausrede kann ja wohl beim Bundesligaspieler nicht gelten. Das finde ich gut bei einem wie Hermann Gerland, der den Spielern bei der zweiten Mannschaft von Bayern München genau solche Sachen versucht beizubringen. Die sollen sich anständige schwarze Schuhe kaufen, dann geht das auch.

Zurück zum Abstiegskampf. Wirklich unbeliebt ist der VfL ja nicht. Die meisten sagen: Der VfL kann ruhig in der Bundesliga bleiben. Wie kommt das?

Manchmal wäre eine gesunde Ablehnung vielleicht auch nicht schlecht. Dieses Grundgefühl rührt auch daher, dass man nicht weiß, was man gegen uns haben soll. Das heißt auch, dass man vielleicht nicht genau weiß, was man für uns haben soll. Wofür steht der VfL? Die Schalker kultivieren das Arbeiterimage, das ist natürlich alles heutzutage Marketing. Die Dortmunder geben sich eher als westfälischen Geschäftsleute. Und dazwischen sind wir, das kleine gallische Dorf. Und ich denke, da hat der VfL auch noch Luft nach oben, um sich da eindeutiger zu positionieren.

Wie soll das gehen?

Ich sag ja immer: Der Dorfverein ist nicht Hoffenheim, der Dorfverein sind wir. Bochum ist ein Dorf. Die Anstrengungen, den VfL in der ersten Liga zu halten, sind hier ganz deutlich eine innerstädtische Angelegenheit. Die Fans von Schalke und Dortmund sind im Sauerland, im Emsland und in ganz Deutschland verteilt. Die VfL-Fans sind zum allergrößten Teil Bochumer. Und dass die Stadtwerke hier den Stadionnamen letztlich kaufen mussten - das haben die auch nicht freiwillig gemacht –, kann man als mafiös beschimpfen. Es ist aber so, dass hier die ganze Stadt – ähnlich wie bei Opel – an einem Strang zieht, um den VfL zu unterstützen. Jetzt kann man berechtigterweise sagen, das eine ist ein millionenschweres Unterhaltungsunternehmen, bei Opel geht’s um Arbeitsplätze und die Sicherung von Existenzen. Das würde ich sofort unterschreiben. Aber für das Selbstverständnis, für den Überbau hier in Bochum und letztlich auch für die Frage, kennt man diese Stadt überhaupt außerhalb des Ruhrgebiets oder außerhalb von Deutschland, ist der VfL Bochum nicht zu unterschätzen. Dieses Gefühl könnte man noch stärker rüberbringen. Der VfL ist Angelegenheit des ganzen Dorfes.

Und was ist, wenn sie jetzt wirklich absteigen?

Die Stimmung ist deshalb so schlecht, weil wir die Angst haben, dass wir beim nächsten Abstieg nicht wieder hochkommen. Es ist ja kein Naturgesetz, dass wir sofort wieder aufsteigen. Das ist uns fünfmal gelungen. Ob uns das ein sechstes Mal gelingt, dass ist eben die große Frage. Da haben wir richtig Angst vor: dass wir unter den Bedingungen, wie Fußball mittlerweile funktioniert, extrem vom Geld abhängig, extrem vom Image, davon, welche Sponsoren man bekommt, bald kein Platz mehr für uns ist zwischen Dortmund und Schalke, und dass wir in der Zweiten Liga versauern oder in die Dritte Liga abgehen. Das ist die Sorge, die hier viele haben, und das macht eben auch die Verzweiflung so existenziell.

Berechtigterweise?

Die Sorgen sind mir nicht fremd. Weil es immer schwieriger wird. Und da denke ich auch in Richtung Sponsoren. Da muss sich der VfL ein verschärftes Profil geben, weil es immer wichtiger wird, sich gut zu positionieren, damit man interessant ist für Leute, die sich vielleicht zurzeit noch nicht so unbedingt für den Verein interessieren. Der VfL hat viel zu bieten in punkto Emotion. Auch wir haben einen Grundstock an Mythen, der nur nicht so richtig nach außen getragen wird. Unsere Kuzorras leben noch, die heißen Lameck, Tenhagen und Woelk und Walitza und Leifeld - die ehemals Unabsteigbaren.

Haben Sie das Restprogramm schon durchgerechnet?

Was heißt durchgerechnet? Neun Punkte dürften reichen.

Guter Plan.

Ja sicher. Ich kann nicht rechnen. Es kommt manchmal so, wie ich sage, manchmal nicht. So lange was möglich ist, muss man alles versuchen.

Und wenn der Plan nicht aufgeht – was bedeutet das für die Fans?

Wir Fans haben immer die längerfristige Perspektive. Wir sind noch da, wenn die, die jetzt da sind, alle wieder weg sind. Egal, ob Trainer oder Spieler. Unter den Fans sind Leute, die sind seit 40 Jahren dabei. Und die sagen: So scheiße wie diesmal war es noch nie. Das kann man immer sagen, aus dem Frust heraus. Aber man muss sich mal klar machen, dass viele Fans genau diese Perspektive haben. Wir sind in jedem Verein die Konstante. Gerade in Vereinen, wo man froh ist, wenn man gute Spieler zwei, drei Jahre halten kann. Wir glauben aber, dass man den Verein nicht wechseln kann. Als Fan.

Zur Person: Frank Goosen

Der Bochumer Kabarettist und Autor Frank Goosen tritt seit 1992 regelmäßig auf deutschen Bühnen, u.a. als Mitglied des mehrmals preisgekrönten Duos "Tesenlesen," auf. Zu seinem Repertoire gehören aktuell die Soloprogramme "A 40 - Geschichten von hier" und "Echtes Leder - Geschichten aus der Tiefe des Raumes". Er schrieb mehrere Romane, sein Bestseller "Liegen lernen" wurde 2003 verfilmt. Daneben schreibt der leidenschaftliche Fußballfan Kurzgeschichten und Kolumnen, u.a. "Goosens Spielzeit" für die Bochumer Stadionzeitung "Mein VfL" und für den "Kicker".

Der Titel seines aktuellen Buches lautet "Weil Samstag ist - Fußballgeschichten". Frank Goosen arbeitet derzeit an einem neuen Erzählband.

Quelle: ntv.de, Mit Frank Goosen sprach Stefan Giannakoulis

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