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Das Auto voller Epo-Ampullen Als Festina den Radsport zum Beben brachte

Die Festina-Autos erlangten traurige Bekanntheit.

Die Festina-Autos erlangten traurige Bekanntheit.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Bei der Tour de France 1998 überschattet ein riesiger Doping-Skandal die Rundfahrt. Mitarbeiter des Rennstalls Festina werden mit 400 Ampullen Epo im Auto erwischt, die Dopingsünder werden gestellt und ausgeschlossen. Die große Tour steht kurz vor dem Abbruch.

Ein bizarres Schauspiel vollzieht sich in den französischen Alpen. Es ist ein grotesker Akt der Selbstverteidigung, der Versuch, aus Schuldigen Opfer zu machen. Rennräder liegen auf einer Landstraße, der spätere Sieger Marco Pantani und andere Fahrer hocken gedankenversunken im Schneidersitz auf dem Asphalt. Streik.

Festina-Fahrer Richard Virenque weint.

Festina-Fahrer Richard Virenque weint.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Vor 20 Jahren erreichte der Festina-Skandal auf der 17. Etappe der Tour de France einen Höhepunkt. Die Frankreich-Rundfahrt steht vor dem Abbruch, im Peloton macht sich Panik breit. Die große Doping-Lüge, die den Radsport im Jahr nach Jan Ullrichs Tour-Sieg durchsetzt, bricht zusammen.

Es beginnt mit Willy Voet. Der Belgier ist Masseur beim Festina-Team, das in Richard Virenque einen der Favoriten auf den Gesamtsieg stellt. Voet sitzt am Steuer eines Festina-Fahrzeugs mit offizieller Tour-Beschriftung, als er wenige Tage vor dem Tour-Start an der belgisch-französischen Grenze auf einer Nebenstraße bei Neuville in eine Zollkontrolle gerät. Voets brisante Fracht: Unter anderem 400 Ampullen Epo sowie Anabolika. Voet wird festgenommen, der Skandal nimmt seinen Lauf. "Erst mal war da das Gefühl von Hektik. Was passiert jetzt? Es gab viele Gerüchte", sagte Rolf Aldag der ARD am Rande der Tour 2018. Aldag, inzwischen Sportlicher Leiter beim Team Dimension Data, ist vor 20 Jahren Ullrichs Teamkollege beim Team Telekom - und Teil des dunklen Dopingsystems. 2007 gesteht Aldag Epo-Missbrauch. Neun Jahre zuvor regierte die Omerta, das Gebot des Schweigens.

Mit den Epo-Ladungen zum Tourstart

20 Jahre Festina-Skandal

Bei der 17. Etappe (wie heute) der Tour de France 1998 kommt es zu einem Sitzstreik einiger Fahrer, die gegen die durchgeführten Dopingtests beim Team TVM demonstrieren. Danach verbummeln die Fahrer das Rennen absichtlich und überlassen den Sieg dem TVM Team. Auch der spätere Tour-Sieger Marco Pantani beteiligt sich an dem Streik.

Abstreiten, leugnen, zum Gegenangriff ausholen: Die Mechanismen greifen, die Fassade muss aufrechterhalten bleiben. In Dublin, wo die Tour 1998 startet, reagiert Festina-Teamchef Bruno Roussel auf die Nachricht der Festnahme Voets gereizt. Mit Nachdruck distanziert er sich. Doch als bekannt wird, dass der Doping-Express auf dem Weg zur Kanalfähre nach Calais und damit Richtung Irland war, eskaliert die Lage.

Festina-Firmenchef Miguel Rodriguez schaltet einen Anwalt ein, "damit das Team sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren kann". Doch die Lawine ist nicht mehr zu stoppen. Beim Verhör in Lille sagt Voet am 14. Juli aus, auf Anweisung von Festina-Offiziellen gehandelt zu haben - und das nicht zum ersten Mal. Virenque, der Berg-König der Tour 1997, geht in die Offensive und droht mit einer Klage wegen Diffamierung. Kurz darauf verlässt der Franzose, der anders als seine Teamkollegen Doping leugnet, das Rennen unter Tränen. Tour-Chef Jean-Marie Leblanc hatte Festina nach einem Geständnis des Teamchefs von der Rundfahrt ausgeschlossen.

Es folgen endlose Vernehmungen der Festina-Fahrer und weitere Geständnisse, aber auch die Verwicklung weiterer Teams in die Affäre. Das niederländische TVM-Team gerät zuerst ins Visier der Dopingfahnder. Deren rigorose Verhörmethoden sorgen für Empörung im Feld, die Fahrer treten in den Streik und reißen sich die Startnummern ab. Der Sieg auf der 17. Etappe wird symbolisch TVM gewidmet.

Die Tour endet im Chaos. Von 189 gestarteten Radprofis werden nach dem Rückzug diverser Teams ganze 96 in Paris klassiert. Die Folgen für den Radsport sind verheerend, noch immer wirken sie nach. Als im Jahr 1999 alles besser werden soll, beginnt die Doping-Ära des Lance Armstrong. Auswüchse wie damals gibt es inzwischen sicher nicht mehr. Dass dennoch ein Generalverdacht verbreitet ist, verdankt der Radsport auch dem Festina-Skandal.

Quelle: ntv.de, Emanuel Reinke und Christoph Leuchtenberg, sid

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