Dopinglogik aus dem Sandkasten Armstrong und das böse System
18.01.2013, 11:59 Uhr
Zahlte wirklich jeden Preis: Lance Armstrong.
(Foto: AP)
Lance Armstrong macht, was er machen muss: Er gesteht öffentlich, seine Erfolge als Radprofi nur erreicht zu haben, weil er gedopt hat. Getrieben von der unbändigen Gier nach Siegen. Doping sei wie "Reifen aufpumpen" gewesen. Also völlig normal. Die anderen hätten es schließlich auch getan.
Lance Armstrong wirkt nervös, aber gefasst. Und keineswegs zerknirscht. Aber was heißt das schon? Zuzugeben, ein Betrüger zu sein, ist kein Spaß - und soll es auch nicht sein. Erst recht nicht für Lance Armstrong, 41 Jahre alt, den ehemaligen Profi, der jahrelang alle Vorwürfe geleugnet und aggressiv gekontert hat. Der, wie die FAZ schrieb, ein "Hochleistungs-Hochstapler" war. "Ich war daran gewöhnt, alles in meinem Leben zu kontrollieren." In der Welt des Radsports war er so etwas wie ein Held. Nun sitzt er in einem gediegenen Hotelzimmer im texanischen Austin, blaue Jeans, hellblaues Hemd, die obersten zwei Knöpfe offen, dunkelblaues Jacket. Im braunen Ledersessel gegenüber die US-amerikanische Talkmasterin Oprah Winfrey, die Fernsehkameras laufen, die Beichte kann beginnen.
Oprah Winfrey stellt klar: Es gibt keine Absprachen, keine Fragen, die sie nicht stellen da rf. Aber worum soll es schon gehen? Das Gespräch war am vergangenen Montag aufgezeichnet worden. Was zuvor durchgesickert war, ist nun bestätigt: Er gibt zu, was eh schon alle wussten, weil die amerikanische Antidopingagentur Usada es nachgewiesen hatte. Er gesteht, jahrelang gedopt zu haben. Was blieb ihm auch anderes übrig? Zu Beginn des Interviews macht Oprah Winfrey es ihm leicht. Zunächst muss er nur mit Ja oder Nein antworten. "Yes or no?" Ob er je verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung genommen habe? "Ja." Ob Epo eine war? "Ja." Auch Eigenblutdoping oder Bluttransfusion? "Ja." Und andere verbotene Substanzen wie Testosteron, Kortison oder Wachstumshormone? "Ja." Bei allen sieben Tour-de-France-Siegen? "Ja." Ob es überhaupt möglich sei, die Tour siebenmal hintereinander ohne Doping zu gewinnen? "Ich glaube nicht."
Später dann bittet er seine Fans um Verzeihung. "Die Leute haben jedes Recht, sich von mir betrogen zu fühlen. Ich werde mein Leben lang darum kämpfen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen." Er sei rücksichtslos gewesen, ein "arroganter Sack", habe andere Menschen schikaniert. Aber, das ist ihm wichtig, niemals Teamkollegen zum Doping gezwungen. Beichte abgelegt, alles gut? Mitnichten. Dafür bleiben zu viele Fragen offen. Wer war noch beteiligt? Wer besorgte ihm die Dopingmittel? Was haben die Funktionäre des Radsport-Weltverbandes gewusst? Vor allem aber ist seine Argumentation mehr als fragwürdig.
"In diesem bösen, giftigen System"
Die Frage ist nicht, ob er ernsthaft bereut. Und wie kalkuliert seine Beichte ist. Wer soll das beurteilen können? Immerhin gibt er zu, sein Leben sei "eine große Lüge" gewesen. Als Grund aber, warum er gedopt hat, gibt Lance Armstrong an, er habe den "perfekten Mythos" des Superhelden wahren wollen. Getrieben von dem "unbändigen Wunsch zu siegen, um jeden Preis". Dieser Preis war, die gleichen Methoden anzuwenden wie die Konkurrenz "in diesem bösen, giftigen System". Illegale Methoden. Einem solchen Geständnis liegt eine Sandkastenlogik zugrunde: Die anderen hatten es vor mir gemacht, also durfte ich auch. Trotzdem bekennt sich Lance Armstrong öffentlich schuldig, da das für Beichtmutter Oprah und das Weltpublikum wohl sein muss. Also sagt der gefallene Ex-Radstar, er sei "arrogant" gewesen. "Ich habe die Kultur nicht erfunden und ich habe nicht versucht, die Kultur zu stoppen." Dopen sei für ihn so selbstverständlich gewesen wie "Reifen aufpumpen".
Angesichts dieser Aussichten - ohne Doping keine Titel - wird ein weiteres Problem offenbar: Woher soll ein junger Fahrer die Motivation nehmen, sich auf legaler Ebene an die Weltspitze zu kämpfen? Gut möglich, dass das nicht zu schaffen ist. Doping freizugeben, wie von Zeit zu Zeit gefordert wird, wäre ein fatales Signal. Dadurch könne es kontrolliert geschehen, die Chancengleichheit sei auf legalem Wege wiederhergestellt, so das Argument. Doch Doping bleibt gesundheitsgefährdend, sogar lebensgefährlich. Und wie soll minderjährigen Sportlern vermittelt werden, kein Epo, Eigenblut oder Wachstumshormone zu verwenden, wenn doch die Vorbilder ihre Leistung damit steigern dürfen?
Antworten auf diese Fragen hat Lance Armstrong nicht gegeben. Aber es gibt ja noch einen zweiten Teil dieses Interviews, das aus dramaturgischen Gründen erst in der Nacht zum Samstag deutscher Zeit ausgestrahlt wird. Dann sitzt er dann wieder im Hotelzimmer - nervös, aber keineswegs zerknirscht. Wohlgefühlt hat er sich im ersten Teil wohl nicht. Und versuchte es mit einem kleinen Scherz: "Wann kommen denn die einfachen Fragen?" Darauf kann er vermutlich lange warten.
Quelle: ntv.de