Kein Doping, die Gene sollen's sein Ärzte: Pechstein unschuldig
15.03.2010, 17:20 UhrEine vererbte Blut-Anomalie soll für die erhöhten Retikulozyten-Werte der gesperrten Eisschnellläuferin Claudia Pechstein verantwortlich sein. Das wollen Ärzte herausgefunden haben. Ihr Fazit: Kein Doping, die Gene sind's. Doch es gibt auch Experten, die darauf hinweisen, dass beides möglich ist - Krankheit und Doping.
Was ist normal? Die Blutwerte der gesperrten Eisschnellläuferin Claudia Pechstein sind es nicht. Die Frage ist nur: Woran liegt das? Der Internationale Sportgerichtshof Cas und der Eislauf-Weltverband Isu glauben, dass Pechstein gedopt hat – und haben sie deshalb für zwei Jahre gesperrt. Die andere Möglichkeit ist, dass Claudia Pechstein an einer angeborenen Blutanomalie leidet. Das sagen Spezialisten – und begründen das ausführlich auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Nur über die dritte Möglichkeit sagen sie nichts: Doping und Krankheit - auch das ist nicht ausgeschlossen.
Gewicht bekommt das Wort der Ärzte allerdings dadurch, dass es sich hierbei nicht um irgendwelche selbsternannten Experten, sondern um renommierte deutsche Hämatologen handelt. Und diese Fachleute in Sachen Blut haben nun der Eisschnellläuferin eine genetisch bedingte Blutanomalie bescheinigt. Die Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) sagen, dass die hohen Retikulozyten-Werte bei Claudia Pechstein auf eine erblich bedingte Störung (Sphärozytose) und nicht auf Doping zurückzuführen seien. Dies hätten neue Testverfahren ergeben.
"Zweifel sind ausgeräumt"
Der Schluss, den der Vorsitzende der DGHO, Gerhard Ehninger, daraus zieht, scheint aber nicht unumstritten. Ehninger behauptet, dass nach seinen Erkenntnissen Pechsteins zweijährige Sperre aus medizinischer Sicht haltlos sei. Der Internationale Sportgerichtshof hatte die Sperre des Eislauf-Weltverbandes bestätigt. Ehninger hält das für falsch. Vor dem Cas seien Gutachten in ihr Gegenteil verkehrt oder verfälscht dargestellt worden. "Ich vollziehe keine Rolle rückwärts. Wir wissen jetzt, was die Ursachen der erhöhten Retikulozyten sind, Zweifel sind ausgeräumt", bekräftigte Ehninger, der sich im vergangenen Sommer zunächst kritisch zu den erhöhten Werten von Pechstein geäußert hatte.
Knapp 800.000 Menschen in Deutschland würden Merkmale dieser Anomalie tragen, die auch Sphärozytose genannt wird. Untersuchungen hätten zudem ergeben, dass auch Pechsteins Vater unter dieser Anomalie leidet und die Athletin die Sphärozytose möglicherweise von ihm geerbt hat, erklärte Oberarzt Andreas Weimann von der Charite in Berlin. Ist die Sportlerin also unschuldig? Pechstein jedenfalls hofft, mit diesen Erkenntnissen erfolgreich gegen ihre zweijährige Sperre wegen erhöhter Blutwerte vorgehen zu können.
Ansonsten freute sie sich über das, was die Ärzte herausgefunden haben wollen. "Aber ich weiß auch: Das ist nur ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt sollten sich alle Zweifler meinen Fall noch einmal durch den Kopf gehenlassen und ihre Meinung revidieren", sagte Pechstein. Sie freute sich, "dass ich eine Blutmacke habe und diese noch von meinem Vater geerbt habe". Also alles geklärt?
Sörgel: Pechstein nicht entlastet
Absolut nicht – sagt zum Beispiel der renommierte Pharmakologe Fritz Sörgel. "Ich glaube nicht, dass der Befund Frau Pechstein in irgendeiner Form entlastet, weil die hohen Retiklozyten-Werte dadurch nicht erklärt werden", sagte Sörgel. "Es kann gut sein, dass sie diese Anomalie hat, aber was ihren Dopingfall betrifft, ist dadurch überhaupt nichts geklärt."
Sörgel, Leiter des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Nürnberg, zeigte sich zudem verwundert über die klare Positionierung der DGHO. Es sei unerklärlich, dass die Kollegen "in ihrem Urteil so eindeutig und unumstößlich für eine ganze Gesellschaft sprechen", kritisierte er.
Franke: "Haben mich überhaupt nicht überzeugt"
"Die haben mich überhaupt nicht überzeugt", erklärte auch der Heidelberger Werner Franke der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Tut mir leid, dass ich nur noch satirisch antworten kann. Jetzt müsste man doch sagen: Donnerwetter, sie haben eine ansteckende Form einer leistungsmindernden Blut-Anomalie ausgerechnet bei Ausdauersportlerinnen entdeckt", sagte er.
Franke ist auch derjenige, der auf die dritte Möglichkeit hinweist: Doping und Krankheit. Schließlich sei lange bekannt, dass "niedrig dosierte Anabolika wie zum Beispiel Andriol auch zur Verbesserung der Blutbildung genommen werden können. Man schluckt sie abends – am nächsten Mittag sind sie schon nicht mehr nachweisbar."
Quelle: ntv.de, mit dpa