
Das DHB-Team hat seinen Job erfüllt!
(Foto: picture alliance / Marco Wolf)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft übersteht das gigantische Schicksalsspiel, das die Veranstalter der Heim-EM direkt an den Beginn des Turniers gesetzt haben, glanzvoll. Der Auftrag "Sieg plus Euphorie" ist gegen die Schweiz klar erfüllt.
Was ist da im Fußballstadion von Düsseldorf eigentlich passiert?
Da fehlten sogar dem redeerprobten Bundespräsidenten die Worte: Vielleicht angesichts der Weltrekordkulisse, vielleicht schlicht etwas unkonzentriert, musste Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der ersten Handball-Europameisterschaft auf deutschem Boden etwas kämpfen: Auf Englisch begrüßte der Politiker die 53.586 Zuschauer in der Düsseldorfer Fußball-Arena, Spieler und Offizielle zur "Europameisterschaft in Europa 2022", es raunte im Stadion, Steinmeier brachte seine Rede dann unfallfrei zu Ende.
Vielleicht war Steinmeier ergriffen von der Größe des Moments, denn immerhin hatten sie dieses Spiel zum größten gemacht, das der Handball nach seinem Umzug in die Hallen der Welt je erlebt hat. Nie sahen mehr Menschen ein Hallen-Handballspiel - und sportlich war das Spiel des DHB-Teams gegen die Schweiz gleich ein echtes Schicksalsspiel. Es musste nicht nur ein Sieg her, nein, man braucht auch noch Euphorie, um bei diesem Turnier wirklich etwas reißen zu können. "Etwas reißen", das bedeutet: eine Medaille, nicht weniger.
Das "alles entscheidende Spiel" sei der Auftakt, sagte Handball-Legende Stefan Kretzschmar. "Wir hoffen, dass wir von der Euphorie, die wir hier entfachen, die gesamte EM bis zum 28. Januar getragen werden", hieß es vom DHB. Eine Nummer kleiner ging es auch wirklich nicht, angesichts des Rahmens und der Konstellation. Die Medaille, Sie erinnern sich. Euphorie braucht das DHB-Team, dem nominell die Qualität für eine Top-Platzierung fehlt. Sie braucht den X-Faktor, jene geheime Kraft, die Sportler größer macht, als sie sind.
Und dann wurde das große Versprechen dieses gigantischen Schicksalsspiels tatsächlich eingelöst: Nach einem nervösen Start überrollte die deutsche Mannschaft die Schweiz um den einstigen Weltklasse-Spielmacher Andy Schmid einfach. Andreas Wolff hatte nach 20 Minuten doppelt so viele Würfe gehalten, wie kassiert. Es war bei Weitem nicht alles brillant, es gibt Dinge, über die zu reden sein wird. Aber es war intensiv. Und erfolgreich. Der klare Sieg des Gastgebers lässt keinen der großen Favoriten zittern, aber der Geist, der das DHB-Team bis ins Halbfinale und weiter tragen soll, scheint erfolgreich beschworen.
Die Szene des Spiels:
35 Minuten waren gespielt, als der überragende Andreas Wolff, wenige Sekunden zuvor selbst von Zehntausenden für eine spektakuläre Parade gefeiert, seinen Vorderleuten applaudierte: "Deutschland, Deutschland" rief die stehende Masse, Abwehr, Unterzahl. Aber sie erkämpften sich den Ball, wie schon mehrmals zuvor. Es war keine entscheidende Szene, dafür war das Spiel zu einseitig, aber sie war ein Symbol: Über die gemeinsame Arbeit kommt der Glanz. Die Abwehr arbeitete hart, Wolff hielt und gemeinsam machte man vergessen, dass der Angriff zu ineffizient war. Und irgendwann überrollten sie die Schweiz einfach.
Wie war es in der Halle?
Sie hatten nichts dem Zufall überlassen. Vor dem Anpfiff instruierte Hallensprecher Kevin Gerwin die Weltrekordmasse: "Deutschland, Deutschland" war zu rufen, wenn das DHB-Team zu verteidigen hatte, in Unterzahl hatte sich das Publikum zu erheben. Gebraucht hätte es all das nicht, denn im Idealfall ist es eben das Spiel, das die Stimmung macht. Und so fühlte es sich auch schnell natürlich an, ein Handballspiel in einem Fußballstadion vor Rekordkulisse zu erleben: Chefanimateur Wolff sorgte mit zahlreichen Paraden früh für die passende Stimmung, nach offensiv nervösen zehn Minuten drehten dann auch seine Vorderleute am Euphorieregler.
"Für die Interaktion zwischen Mannschaft und Zuschauern müssen die Spieler in Vorleistung gehen. Der Funke muss vom Parkett auf die Tribüne überspringen", hatte Bundestrainer Alfred Gislason halb gefordert, halb versprochen. Man muss den Menschen nur erlauben, sich zu begeistern, dann tun sie das ja auch. Als Wolff nach 50 Minuten zur Bank ging, standen 50.000 Menschen auf - dabei war die deutsche Mannschaft gar nicht in Unterzahl.
Wird Deutschland jetzt Europameister?
"Bei allem Respekt vor der Schweiz, aber egal, ob vor einem oder einer Million Zuschauern: Dieser Job muss einfach erledigt werden", hatte der langjährige DHB-Vize Bob Hanning im Gespräch mit ntv.de gefordert. Und sie haben den Job erledigt. Und sie taten das so souverän, dass es zum schon rechnerisch so wichtigen Auftaktsieg und der geforderten Euphorie auch noch einen für den weiteren Turnierverlauf enorm wichtigen Bonus gab: Bundestrainer Gislason konnte früh seine Schlüsselspieler durchschnaufen lassen. Spielmacher Juri Knorr, der im Mittelblock und am gegnerischen Kreis schwerstbeschäftigte Johannes Golla und Julian Köster konnten die zweite Halbzeit größtenteils von der Bank aus genießen - und damit wichtige Energie sparen.
Sie haben getan, was getan werden musste. "Mit Millionen deutschen Fans im Rücken ist vieles möglich. Ziel ist, ganz klar Europameister zu werden", sagte Torwart-Held Wolff, der die Schweiz dann später einfach auffraß, vor dem Spiel. Mehr als 60 Prozent der Bälle, die die Schweiz auf sein Tor brachte, hielt der 32-Jährige. Eine unfassbare Quote.
Die Stimmen:
Bundestrainer Alfred Gislason: "Erstmal genießen wir das, was wir heute erreicht haben. Und dann müssen wir ab morgen nach der Ankunft in Berlin uns voll auf Nordmazedonien fokussieren. Es war ein phänomenales Rückzugverhalten der Mannschaft, das hat uns extrem geholfen. Wir haben gefühlte acht Bälle zurückgeholt, die verlorengegangen sind. Also Riesenkompliment an die Einstellung der Jungs."
Julian Köster (beide im ZDF): "Es war wirklich beeindruckend: Schon als wir das erste Mal zum Aufwärmen reingekommen sind, wurde es extrem laut und das ganze Spiel über war eine richtig coole Stimmung. Ich glaube, wir sind sehr gut ins Spiel gestartet und konnten uns relativ schnell einen Vorsprung erarbeiten. Von daher lässt sich das ganze Spiel etwas leichter gestalten und runterspielen. Es ist ganz schwierig zu sagen, (wie weit es gehen kann). Erst mal das erste Spiel gewonnen, das war sehr wichtig. Jetzt gucken wir, dass wir schnell regenerieren und das zweite Spiel gut gestalten können."
Quelle: ntv.de