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Last-Minute-Erlösung im CL-Millionenspiel Bayer entgeht K.o., Kießling der Löw-Falle

Jens Hegeler bejubelt seinen Treffer zum 2:1 mit Roberto Hilbert und Stefan Kießling.

Jens Hegeler bejubelt seinen Treffer zum 2:1 mit Roberto Hilbert und Stefan Kießling.

(Foto: imago sportfotodienst)

Fußball verrückt in Leverkusen: Nicht der vom Bundestrainer beobachtete Torjäger Stefan Kießling schießt die Werkself zum Champions-League-Heimsieg gegen San Sebastian, sondern Debütant Jens Hegeler. Doch ein gutes Zeichen für das Liga-Topspiel gegen den FC Bayern war dieser Abend nicht.

Die Abendgestaltung von Bundestrainer Joachim Löw ist abseits von Länderspielen eher mäßig interessant für Fußballdeutschland. Selbst öffentliche Stadionbesuche sind ja per se nichts sonderlich Beachtenswertes. Es sei denn, der Bundestrainer sitzt dabei in der Falle. Die hatte das Fachblatt "Kicker" vor dem Champions-League-Heimauftakt von Bayer Leverkusen gegen San Sebastian ausgemacht, weil Löw in Leverkusen einen Spieler beobachtete, der mal Nationalstürmer war, nach jahrelanger Missachtung nun aber gar nicht mehr Nationalstürmer sein möchte unter Löw und jetzt doch wieder Nationalstürmer auf Zeit werden könnte. Einen wie Stefan Kießling, den das seltene Prädikat ziert: Im Klub unersetzlich, im Nationalteam unerwünscht.

Löw guckte genau hin.

Löw guckte genau hin.

(Foto: dpa)

Ob es dabei bleibt, darüber brachten die 94 Fußballminuten in Leverkusen wenig Aufschluss. Erst warteten die Bayer-Fans vergeblich darauf, dass die "Kießling-Falle" in Form eines Bewerbungstores zuschnappte. Dann wartete die Presse ebenso erfolglos auf bedeutungsschwere Aussagen der Protagonisten zur Sachlage. Jetzt warten alle zusammen auf die Nominierung des DFB-Kaders am Freitag. Zurück blieben zunächst drei Erkenntnisse. Erstens, dass sich Löw für eine fußballerisch durchaus unterhaltsame Abendgestaltung entschieden hatte. Zweitens, dass die bei Manchester City mit 3:1 siegreichen Super-Bayern trotzdem nicht zittern müssen vor dem Ligagipfel am Samstag in Leverkusen. Und drittens, dass Jens Hegeler ab sofort zu den glücklichsten Debütanten der jüngeren Champions-League-Geschichte gehört.

Sieben Minuten brauchte der Mittelfeldspieler, um Bayer Leverkusen noch zwei verloren geglaubte Punkte zu retten und die Chancen auf das Erreichen der lukrativen K.o.-Runde ebenso wie seinen Bekanntheitsgrad dramatisch zu erhöhen. "Mit einem Unentschieden wäre es schwer geworden", stellte Sportdirektor Rudi Völler fest, "nun haben wir alle Möglichkeiten." Dank Joker Hegeler. In der 85. Minute eingewechselt, bereitete er mit seinem ersten Ballkontakt direkt eine Großchance durch Robbie Kruse vor. Der Australier vertändelte zwar, aber die starke Bayer-Schlussoffensive war damit eingeläutet. Gekrönt wurde sie in der 92. Minute, als Hegeler einen 25-Meter-Freistoß per Kunstschlenzer zum 2:1-Siegtreffer versenkte - und anschließend staunte: "Das ist ein Riesengefühl, einfach unbeschreiblich."

"Ein schweres Stück Arbeit"

Ganz nebenbei schrieb der 25-Jährige damit Fußballgeschichte, denn durch Bayers Last-Minute-Triumph gab es erstmals vier deutsche Siege an einem Champions-League-Spieltag. Der Leverkusener Erfolg war dabei der glücklichste und nicht recht geeignet, um die Brust vor dem Bayern-Gastspiel am Samstag entscheidend zu verbreitern. Der Forderung ihres Trainers Sami Hyypiä, die Mannschaft solle sich nicht kleinmachen, kam sein Team gegen San Sebastian damit nach, dass es sich mit zwei Toren in den Nachspielzeiten beider Hälften letztlich größer machte, als es im Spielverlauf tatsächlich war.

Claudio Bravo konnte Hegelers Ball nicht halten.

Claudio Bravo konnte Hegelers Ball nicht halten.

(Foto: AP)

"Ein schweres Stück Arbeit" nannte Kapitän Simon Rolfes den Sieg folgerichtig, der nach seinem späten Führungstor (45.+1) in der ersten Halbzeit eine routinierte Angelegenheit zu werden schien. Doch nach dem schnellen Ausgleich der Basken durch einen im Nachschuss verwandelten Foulelfmeter von Carlos Vela (51.) habe Bayer bis zu Hegelers Einwechslung komplett den Faden verloren, räumte Rolfes selbstkritisch ein. Nur warum das nach der ansehnlichen ersten Halbzeit so war, konnte er nicht erklären.

Die mit persönlichem Startrekord in die Bundesligasaison gestürmten Leverkusener hatten sich vorab erst gar nicht bemüht, den in der heimischen Liga schwächelnden Gegner starkzureden. Die Zielsetzung war so eindeutig wie die Spielrichtung in der Anfangsphase und über weite Strecken der ersten Halbzeit: Der siebte Heimsieg in der CL-Gruppenphase in Folge sollte her und deshalb übernahm Bayer sofort die Initiative. Doch Heung-Min Son (3., 36.), Rolfes (21.) und Kießling (22., 42.) scheiterten mit besten Chancen, während San Sebastian nur durch Antoine Griezman (24.) per Freistoß gefährlich wurde.

Kein Tor ist auch (k)eine Lösung?

Kießling wusste im Bayer-Sturm als Vollstrecker, Antreiber und Kämpfer durchaus zu gefallen und eroberte einmal sogar den Ball an der eigenen Torauslinie. Dennoch drängte sich bei seinen glücklosen Abschlüssen die Frage auf, ob er vor Joachim Löw vielleicht manchmal zu viel zeigen wollte – und er deshalb nichts Zählbares zustande brachte. Ohnehin stellt sich die Frage, ob die vermeintliche "Kießling-Falle für Löw" nicht vielmehr eine "Löw-Falle für Kießling" ist. Der künftige Frust darüber, nach der Genesung von Miro Klose und Mario Gomez wieder in der DFB-Versenkung zu verschwinden, könnte die aktuelle Lust auf Länderspiele gegen Irland und Schweden dämpfen. Kein Tor war womöglich gerade richtig für das Kießling'sche Seelenheil.

In den Fokus des Bundestrainers spielte sich nach der Pause ohnehin Nationalkeeper Bernd Leno, der Bayer im zweiten Durchgang mit mehrere Glanzparaden im Spiel halten musste. Zwischendurch streute er noch eine Catcher-Einlage ein ("ein bisschen zu rustikal"), hinterher fand er: "Es war irgendwie komisch." Sein Fazit fiel dennoch positiv aus: "Wir haben nicht unser bestes Spiel gezeigt, aber kämpferisch alles gegeben und das wurde am Ende auch belohnt." Als der Ball zum zweiten Mal im Tor lag und endlich abgepfiffen war, sei die Erleichterung "schon riesengroß" gewesen.

In die forschen Gesänge des Bayer-Anhangs, die nach Spielende lautstark die Lederhosen der Bayern forderten, mochte Leno nicht einstimmen. Die Münchner seien "momentan wahrscheinlich die beste Mannschaft der Welt". Allerdings habe er "manchmal schon das Gefühl, dass viele vergessen, dass wir super Fußball spielen und vorne dabei sind" - und, das sagt die Statistik, auch die letzte Mannschaft sind, die den FC Bayern in der Liga schlagen konnte. Was Joachim Löw wohl am Samstagabend macht?

Quelle: ntv.de

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