Für einen Tag wieder zu Hause Bradys Tränen waren alle schon geweint
04.10.2021, 10:59 Uhr
Tom Brady im Regen von Foxborough.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Tom Brady ist 20 Jahre lang der personifizierte Patriot. Mit New England gewinnt er sechsmal den Super Bowl. Nun kam er erstmals zurück - mit Tampa, seinem neuen Team. Der größte Footballspieler aller Zeiten überzeugt nicht, aber erlebt dennoch ein besonderes Spiel.
Als alles vorbei ist, steht er im strömenden Regen, ist durchnässt und seine Mimik lässt nicht erahnen, ob die Rückkehr für ihn an seine alte Wirkungsstätte erfolgreich gewesen ist oder nicht. Tom Bradys Gesicht ist beinahe regungslos, als er mit dem rechten Arm Richtung derjenigen Fans winkt, die auch fast eine Stunde nach dem 19:17-Sieg seiner Tampa Bay Buccaneers bei den New England Patriots lautstark im fast leeren Gillette Stadium noch ausharren und seinen Namen rufen. Dann schickt der 44-Jährige eine Kusshand hinterher, ehe er Richtung Katakomben läuft.
Es ist eine emotionale Woche für ihn gewesen. Aber nicht nur für ihn. Auch die Patriots-Fans erleben eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ihr Tom ist erstmals seit dem Abschied im März 2020 nach Foxborough zurückgekehrt. Er trägt zwar immer noch die Rückennummer 12, aber eben nicht mehr das Patriots-Trikot, sondern das der Buccaneers, mit denen er gleich in seiner ersten Saison den Super Bowl gewonnen hatte. Er ist jetzt ein Gegner - so unglaublich das auch klingen mag.
Als Namenloser gekommen, als Weltstar gegangen
Thomas Edward Patrick Brady ist zwar in Kalifornien geboren, doch für viele Patriots-Fans trotzdem "New Englands Lieblings-Sohn". Als Namenloser war er 2000 zu den Patriots gekommen, als Weltstar und erfolgreichster Spieler der NFL-Geschichte hatte er sie 20 Jahre später Richtung Florida verlassen. Der Quarterback hatte Foxborough, diese Kleinstadt irgendwo im Nirgendwo von Massachusetts, zur am meisten gefürchteten Adresse der Liga gemacht.
Hier hatten die von Brady angeführten und vom Trainer-Fuchs Bill Belichick gecoachten Patriots an so vielen eisigen Januartagen die Super-Bowl-Träume der Konkurrenten zerstört. Und hier wehen mittlerweile die sechs Meisterschafts-Banner, die die Patriots zwischen 2002 und 2019 gewonnen haben. "Das war 20 Jahre lang mein zu Hause. Ich habe die besten Erinnerungen, meine Kinder sind hier geboren. Es ist einfach eine großartige Gegend. Ich liebe es hier oben, habe viele Freunde", sagt Brady nach dem Spiel bei "NBC".
"Das hier ist sein Haus"
In seiner ersten Patriots-Saison hat es in Foxborough, knapp 40 Kilometer südwestlich von Boston, lediglich ein völlig überaltertes Stadion und tausende Parkplätze gegeben. Mittlerweile sind neben einer neuen Arena auch Krankenhaus, Hotels, Restaurants, Shopping Mall und die Patriots Hall of Fame hinzugekommen. Der 1 Patriot Place, wie die offizielle Adresse lautet, ist nicht mehr nur alle zwei Wochen Sonntags geöffnet, wenn die Patriots ein Heimspiel haben, sondern längst zu einer Attraktion die ganze Woche über geworden. Errichtet worden ist zwar alles mit Steuergeldern und den Millionen von Vereins-Besitzer Robert Kraft - aber es ist vor allem auf den Erfolgen von Brady und Belichick gebaut.
"Das hier ist sein Haus", betont Nick Stevens, ein äußerst bekannter Patriots-Fan, in einem Vorbericht des NFL-Network während er auf das Stadion hinter sich zeigt. "Und Tom Brady kommt zurück im Trikot eines anderen Vereins - das ist mein größter Albtraum." Ähnlich ergeht es Mike McDevitt. Er spricht von "einem Privileg" seit 20 Jahren Dauerkarten-Inhaber zu sein. "Ich habe in dieser Zeit Tom Brady gesehen, den besten Quarterback, den es je gab", sagt McDevitt.
Herausragende Vereins-Rekorde
Stories wie seine hat es die ganze Woche über in den Bostoner Medien gegeben. Alle haben die Klaviatur der Gefühle und Emotionen rauf und runter gespielt. Als der Tag des Wiedersehens endlich gekommen ist, regnet es. Für viele Patriots-Fans ein Zeichen, dass selbst der Himmel weine. Tausende der insgesamt 66.000 Zuschauer kommen, wie immer, im Brady-Trikot zum Spiel. Es hat fast den Anschein, als gäbe der verlorene Sohn sein Comeback für New England.
Das Vorprogramm beim Radiosender "98,5 - The Sportshub", der die Patriots-Partien überträgt, ist diesmal mit sechs Stunden doppelt so lang wie sonst. Um 17:10 Uhr, knapp drei Stunden vor Spielbeginn, ist Brady da. Es gibt reichlich hand shakes, viele freundliche "Hello" und mit Patriots-Besitzer Robert Kraft in den Katakomben eine herzliche Umarmung. Es sei für beide emotional gewesen, beide hätten mit den Tränen gekämpft, sagt Kraft anschließend. Brady, so Kraft, sei für ihn "wie ein Sohn."
Als Brady knapp 50 Minuten vor dem Kickoff auf's Feld kommt, wird es laut. Er joggt, wie zu Patriots-Zeiten, einmal die Seitenlinie entlang und beendet den Lauf mit seinem bekannten, lauten "Let's go!". Auf der riesigen Stadion-Leinwand gibt es ein Video "Best of Brady". Die Fans starren andächtig, saugen die Sequenzen regelrecht auf. Der übertragende TV-Sender "NBC" blendet eine Liste mit einigen von Bradys Patriots-Vereinsrekorden ein. Sie sind so herausragend, dass mitunter die Zweitplatzierten nicht einmal auf die Hälfte der Werte kommen.
So hat Brady zum Beispiel 541 Touchdown-Pässe geworfen - gefolgt von Steve Grogan (182). Seine Pässe für einen Raumgewinn von 74.571 Yards lassen die 29.657 Yards von "Verfolger" Drew Bledsoe beinahe lächerlich erscheinen. Und fast schon kindisch wird es bei den Playoff-Touchdown-Pässen. Brady hat 73, der nächste im Ranking heißt Tony Eason und kommt auf sieben.
Lauter Jubel, aber auch Buhrufe
Als Brady die Buccaneers auf's Spielfeld führt, ist die Arena endgültig ein Epizentrum der Emotionen. Allerdings gibt es nicht nur Jubel, sondern auch unüberhörbare Unmuts-Äußerungen. In der dritten Minute kommt Brady zum ersten Angriff-Spielzug auf den Platz - und wird gnadenlos ausgebuht. Das Vorgeplänkel ist für die Fans endgültig vorbei. Nun geht's darum, dieses Heimspiel zu gewinnen. Brady ist zu einem gewöhnlichen Gäste-Quarterback geworden. Die vergangenen 20 Jahre sind - zumindest bis zum Spielende - Geschichte.
Trotz eines nervösen Beginns mit einigen ungenauen Pässen, stellt Brady im ersten Viertel einen neuen NFL-Rekord für geworfene Yards Raumgewinn auf - doch das ist an diesem Abend eher eine Randnotiz. Tampa ist Favorit, aber Tampa hat Probleme. Das liegt auch an der guten Patriots-Defensive. Trainer Belichick kennt natürlich Bradys Tricks - doch der weiß selbstverständlich auch, wie Belichick tickt.
New England führt zur Pause 7:6 und liegt zwei Minuten vor dem Ende 17:16 vorn. Bradys Patriots-Nachfolger, der 23-jährige Mac Jones, spielt in seiner vierten NFL-Partie stark. Doch nun hat Brady sein Team bis tief in die gegnerische Hälfte gebracht. Mit einem Field Goal geht Tampa 19:17 in Führung. Aber die Patriots haben noch einen Angriff und somit die Chance, das Spiel zu drehen.
55 Sekunden vor dem Ende tritt Kicker Nick Folk zum Field-Goal-Versuch an. 56 Yards sind die beiden gelben Torstangen entfernt, durch die er den Football schießen muss, um die Patriots mit 20:19 nach vorne zu bringen. Das Ganze im strömenden Regen. Alle im Stadion verfolgen die Flugbahn des Balles, der gegen die linke Stange knallt und von dort nach außen abprallt. Belichick guckt wie versteinert, während Brady die rechte Faust ballt. Seine Rückkehr endet mit einem glücklichen 19:17-Sieg. "Was für ein großartiges Spiel. Wir mussten uns den Sieg hart erarbeiten", resümiert Brady bei "NBC".
Brady und Belichick reden privat
Er spricht von "einem besonderen Abend" und betont, nicht anzufangen, zu weinen. Das habe er schon hinter sich. Belichick wirkt, wie üblich nach Niederlagen, knurrig und schmallippig. Er eilt auf den Platz, um Brady zu gratulieren. Eine kurze Umarmung, ein paar Worte - dann ist er auch schon wieder weg. Nach der Pressekonferenz geht er jedoch in die Tampa-Kabine, um ausgiebig und ohne Beisein der Medien, mit Brady zu sprechen. Erst 23 Minuten später kommt er wieder raus.
Seine Patriots haben nach der Niederlage eine Bilanz von 1:3. So schlecht waren sie zuletzt 2001 gestartet - in Tom Bradys erster Saison als Stammspieler. Weniger Monate später hatte New England damals erstmals den Super Bowl gewonnen. Daran glaubt diesmal niemand. Die Patriots sind derzeit maximal Mittelmaß. Für sie könnte Bradys Rückkehr bereits das Highlight der Saison gewesen sein. Die Buccaneers hingegen zählen zu den Top-Favoriten. Gut möglich, dass Tom Brady, New Englands Lieblingssohn, im Februar seinen zweiten Titel in zwei Jahren mit Tampa holt.
Quelle: ntv.de