DBB historisch und hungrig Bronze-Helden gieren auf Reise zur Weltspitze
19.09.2022, 08:47 Uhr
Erste Medaille seit 17 Jahren: Mit Deutschland wird bei Turnieren künftig zu rechnen sein.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die deutschen Basketballer gewinnen Bronze - und weit mehr als das. Bei der Heim-EM küssen sie das Land mit Spektakel und Drama wach. Nun will ein hungriges DBB-Team mehr, der Glaube an den großen Wurf lebt.
Dennis Schröder steht noch einmal konzentriert an der Freiwurflinie. Im Spiel um Platz drei bei der Basketball-EM kommt es in diesen letzten Sekunden aber nicht mehr auf die Punkte 25 und 26 des Point Guards an, als MVP-Rufe in der Berliner Halle laut werden. Denn der 82:69-Sieg über Polen ist perfekt. Die deutschen Spieler herzen sich auf der Bank, springen jubelnd aufs Parkett, Coach Herbert klatscht fair beim Gegner ab. Und Deutschland gewinnt Bronze.
Es ist die vierte Medaille eines DBB-Teams überhaupt. Die erste seit 17 Jahren. Doch die Nationalmannschaft hat noch so viel mehr gewonnen. "Holt euch Bronze", forderten Bundeskanzler Olaf Scholz und Dirk Nowitzki vor dem Spiel unisono auf Twitter. Aber bevor Daniel Theis mit seinen Kindern über das Spielfeld stolziert, bevor die EM-Helden strahlend mit Medaille um den Hals auf die Bühne steigen, müssen sie in einem fahrigen Spiel einen sehr langen Weg gehen.
Auch wenn die Mannschaft fast immer in Führung liegt, sind die Beine nach dem dramatischen Ausscheiden gegen Spanien im Halbfinale sehr müde. Doch daran erinnert sich später niemand mehr. Was zählt ist die Historie, denn an diesem Sonntagabend in Berlin "haben wir Geschichte geschrieben", jubelt Schröder. Und wenn es nach den DBB-Profis geht, soll dieses Kapitel nur das erste einer langen Reise sein.
Mit Deutschland ist in Zukunft zu rechnen
Zur Halbzeit hat Deutschland nur 36 Punkte erzielt, der Gegner sogar noch 13 weniger. Die Mannschaften unterbieten sich mit schlechten Wurfquoten und Verteidigungssequenzen. Dass das deutsche Team lange Zeit kaum Tempo im Spiel hat, dass die Körpersprache überhaupt nicht stimmt, dass Schröder sich viele Ballverluste leistet (acht Turnovers stehen am Ende sechs Assists gegenüber), dass es qualitativ gegen Polen alles andere eine Basketball-Gala ist? Geschenkt! Denn jeder Fan merkt an diesem Abend, dass hier eine Mannschaft zusammengewachsen ist, die in den kommenden Jahren noch viel Freude bereiten wird.
Die Medaille ist auch ein Zeichen, dass mit Deutschland in Zukunft bei großen Turnieren zu rechnen ist. Etwa bei der WM im kommenden Jahr oder den Olympischen Spielen 2024, wo die Truppe noch genauso zusammen spielen (NBA-Profis wie Maxi Kleber und Moritz Wagner sowie Isaac Bonga vom FC Bayern könnten noch hinzustoßen) und dann noch eingeschworener auftreten dürfte. "Für die Zukunft ist schon einiges möglich, wir haben hier beim Turnier einen guten Grundstein dafür gesetzt und haben für die kommenden Turniere einiges selber in der Hand", sagt Andreas Obst mit der Medaille um den Hals. "Wir haben das Talent und das Mannschaftsgefüge, um ganz oben mitzuspielen."
Johannes Thiemann fügt an: "Wir hatten schon vor dem Turnier den Anspruch, zu den besten Teams der Welt zu zählen. Aber dass wir jetzt die Medaille gewonnen haben, zeigt, dass es wirklich so ist." Auch Maodo Lo glaubt, dass "bei der WM alles möglich ist", denn das Team habe "noch Luft nach oben" und könne "noch besser spielen" als bei der EM. Die Basketballer haben nicht nur Bronze gewonnen, sondern sind auch an Erfahrung reicher. Das ist vielleicht fast genauso viel wert. Sie wissen nun, dass sie mit den ganz Großen mithalten können.
Hunger auf mehr
Natürlich spielen die USA in einer ganz eigenen Kategorie, aber danach kommt gleich ein Pool von Top-Mannschaften, in dem jetzt auch das DBB-Team mitschwimmt. "Das Talent und die Qualität sind da, das verdient einfach Aufmerksamkeit", bestätigt Niels Giffey, der zugibt, von der historischen Dimension der Medaille "nichts gewusst" zu haben. Besonders wichtig für die kommenden Jahre: Geschlossen erklären die Basketballer, sich für die nächsten Sommer "committed", also verpflichtet zu haben. "Die Kameradschaft mit war für mich am wichtigsten", resümiert etwa Franz Wagner. "Es wäre auch ohne Medaille ein richtig geiler Sommer gewesen."
Nun brennen sie alle darauf, in den nächsten Jahren mit den "Jungs" um Medaillen zu kämpfen. Dafür spricht auch die Enttäuschung, die bei den Profis in der Mixed Zone trotz der Medaille mitschwingt. Schon direkt nach dem Spiel ist der Hunger auf mehr da. Diese Jungs wollen gewinnen. Das nächste Mal etwas Goldenes. "Wir sind ein bisschen traurig, weil wir das Gefühl hatten, dass noch etwas mehr als Bronze drin war", sagt Jonas Wohlfarth-Bottermann. "Es ist ein bitterer Beigeschmack dabei, weil wir durchaus die Möglichkeit hatten, auf dem Podium noch weiter oben zu stehen", meint Obst.
Deutschland ein wenig wachgeküsst
Zurück zum Spiel. Nach dem mauen Start fallen in der zweiten Hälfte dann die Würfe, auch von draußen. Allerdings auf beiden Seiten. Deutschland muss auf einmal aufpassen, die Führung schmilzt auf sieben Punkte. Zum Ende des dritten Viertels sind es nur noch fünf. Auch gegen Spanien war man mit einer knappen Führung in den letzten Abschnitt gegangen. Siebeneinhalb Minuten vor dem Ende gelingt Polen plötzlich der Ausgleich zum 59:59, es knistert doch noch mal in der Halle.
Aber diesmal knickt das DBB-Team nicht ein, Leader Schröder und Spieler des Spiels, Johannes Voigtmann, (14 Punkte, 9 Rebounds, 4/5 Dreipunktewürfen, 6 Assists) übernehmen und führen ihre Mannschaft zu Edelmetall. Aber der deutsche Basketball hat an diesem Abend eben nicht nur Bronze gewonnen. Er hat sich im Land das Turnier über mehr und mehr eingenistet und letztendlich Deutschland ein wenig wachgeküsst. Als Außenseiter war das DBB-Team in die "Horror-Gruppe" gestartet, hat dann begeistert, vier grandiose Siege herausgespielt vor frenetischen Fans (besonders das Drama gegen Litauen mit zwei Verlängerungen sticht heraus), einen Showdown mit Megastar Luka Doncic knapp verloren und die Gala gegen Griechenland um Giannis Antetokounmpo dargeboten.
Es ist über zwei verrückte Wochen wohl der beste Basketball, den je eine deutsche Nationalmannschaft bei einem Turnier gespielt hat. "Ich hoffe, dass der deutsche Basketball größer wird, dass wir den deutschen Basketball attraktiver gemacht haben, sexier gemacht haben", sagt Schröder nach der Partie. "Hoffentlich haben wir richtig was ausgelöst im Land", fügt Lo hinzu. Ob das deutsche Herbstmärchen langfristig etwas im Land bewegen kann, muss sich zeigen. Aber nicht nur für die Mannschaft, auch für die Fans könnte die Heim-EM voller Spannung und Spektakel der Anfang einer spannenden Reise gewesen sein.
Quelle: ntv.de