Größtes Titel-Trauma im US-Sport Chicagos Ziegen-Fluch, er könnte brechen
15.10.2016, 09:10 Uhr
Sam Sianis versuchte 1984, den von seinem Onkel verhängten Fluch der Ziege aufzuheben. Doch sein Besuch im Wrigley Field half nichts.
(Foto: AP)
Seit 1908 warten die Chicago Cubs auf den Titel in der Baseball-Profiliga. Das ist eine Ewigkeit und einmalig im US-Sport. Grund dafür ist angeblich der Fluch der Ziege - den die "liebenswerten Loser" in diesem Jahr tatsächlich durchbrechen könnten.
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte Billy Sianis am 6. Oktober 1945 seine Ziege zu Hause gelassen. So aber störten sich die Sitznachbarn im Wrigley Field von Chicago am Geruch des Tieres, und Sianis wurde während des vierten Spiels der World Series zwischen den Cubs und den Detroit Tigers aus dem Stadion geworfen. Das sollte sich rächen. "Die Cubs werden nie mehr gewinnen", rief Sianis, der Besitzer der Kneipe "Billy Goat Tavern", erbost.
Und so geschah es. Seit dem 6. Oktober 1945 leben und leiden die Cubs unter "The Curse of the Billy Goat", dem Fluch von Billys Ziege. Die "jungen Bären" verloren damals das vierte Spiel und schließlich mit 3:4 auch die Serie "Best of Seven" um den Titel in der Major League Baseball (MLB). Sie haben seitdem die World Series nie mehr erreicht. Seit 1908 sind sie deshalb ohne Titel. Länger ist keine Profimannschaft in Nordamerika erfolglos geblieben.
Die "lovable losers" drehen auf
Nun aber geschehen erstaunliche Dinge. Wie im Vorjahr, als sie freilich in vier Spielen von den New York Mets abgekocht wurden, stehen die Cubs im Halbfinale der Playoffs. Die jahrelang als "lovable losers", die liebenswerten Verlierer, belächelten "Cubbies" waren als großer Favorit auf die World Series in diese Spielzeit gestartet, sie waren die beste Mannschaft während der 162 regulären Saisonspiele, im Viertelfinale räumten sie die San Francisco Giants eindrucksvoll aus dem Weg.
Seit jenen denkwürdigen Tagen im Oktober 1945 haben die Cubs nicht mehr in den Endspielen gestanden. Aber, oh Wunder, selbst der Fluch der Ziege oder die Erinnerung an Steve Bartman, einen Fan, der 2003 das entscheidenden Spiel zum Einzug in die World Series sabotierte, weil er einem Cubs-Spieler einfach den Ball wegfing, nein, all diese Ausreden und Missgeschicke sind kein Thema mehr. Stattdessen trägt die Mannschaft T-Shirts mit dem Aufdruck: "Made for October", gemacht für Oktober.
In Chicago sind die Cubs Gesprächsthema Nummer eins. Die Stadt, vor allem der "Wrigleyville" genannte Stadtteil, in dessen Mitte der altehrwürdige Ballpark liegt, vibriert. Wenn es in diesem Jahr nicht klappt, wann dann? Bislang ist die junge Mannschaft beängstigend gut mit dem Erwartungsdruck umgegangen, es ist ihr gelungen, sich davon beflügeln zu lassen. "Yeah", versichert Coach Joe Maddon, "wir lieben es!".
Epstein bringt die Wende zum Guten
Die Kehrtwende bei den Cubs hatte 2012 begonnen. Besitzer Tom Ricketts warb General Manager Theo Epstein von den Boston Red Sox ab - und der krempelte den Klub um. Epstein gab alte und teure Stars ab und füllte zunächst die Farmteams mit Talenten auf. Die Cubs nahmen einen Absturz in Kauf, um in der Zukunft Erfolg haben zu können. In der vergangenen Saison begannen sie, die Jungen konsequent einzusetzen. Dazu wurde die Mannschaft punktuell verstärkt, vor allem durch erfahrene Werfer.
Die Cubs haben mittlerweile so viele gute junge Spieler wie die herausragenden Schlagmänner Kris Bryant oder Anthony Rizzo, dass sie beim All-Star-Game praktisch die komplette Auswahl des Teams der National League stellten. Und sie geben nie auf. Gegen die Giants, Champions von 2010, 2012 und 2014, holten sie im letzten Spielabschnitt des schließlich entscheidenden Spiels drei Punkte Rückstand auf. "Das gefährlichste Team ist noch mal ein bisschen gefährlicher geworden", staunte "Sports Illustrated".
Im Halbfinale spielen die Cubs gegen die Los Angeles Dodgers, eindeutig im Schatten dieses Aufeinandertreffens steht das Duell zwischen den Toronto Blue Jays und den Cleveland Indians. Nicht mal der Fluch der Ziege soll sie aufhalten. Den hatte Sianis schon 1969 für beendet erklärt. Sein Neffe Sam, Eigentümer der noch immer existierenden Kneipe, bestätigte dies 1984 - nachdem er mit einer Ziege ins Wrigley Field gedurft hatte, um die bösen Geister zu vertreiben. Aber geholfen hat es nichts. Bis heute. Vielleicht auch, weil Sam Sianis behauptet: Erst, wenn Ziegen grundsätzlich im Wrigley Field erlaubt werden, könne der Bann gebrochen werden.
Quelle: ntv.de, Thomas Häberlein, sid