Sport

Volksdroge Marathon Das Glück steckt in den Laufschuhen

Happy Finisher Franziska Klaren. Nach dem Marathon gibt es ein Riesen-Picknick vor dem Reichstag.

Happy Finisher Franziska Klaren. Nach dem Marathon gibt es ein Riesen-Picknick vor dem Reichstag.

(Foto: Privat.)

40.000 Läufer gehen beim Marathon in Berlin an den Start - nur um sich stundenlang durch die Hauptstadt zu quälen. Warum tun die sich das an? Ein schmerzhafter Selbstversuch unter Sportfanatikern und Spaßvögeln.

Ich bin verwirrt, wo geht es jetzt hin? Erst mal die Medaille, dann etwas trinken, am liebsten ein kaltes alkoholfreies Weizen. Doch der Weg ist zu weit. Nach 42 Kilometern ist alles zu weit. Ich laufe wie der Roboter R2D2 aus Star Wars, abgehackt, meine Beine biegen sich nicht mehr. Und trotzdem - ich bin vollends entspannt und einfach nur glücklich. So wie mir geht es 29.000, die es auch geschafft haben. Sie haben sich so wie ich 42 Kilometer durch die Hauptstadt gequält. Glücklich trotz Schmerzen - wie geht das?

Flüssigkeit ist wichtig. Der Marathon ist auch ein Ernährungswettkampf.

Flüssigkeit ist wichtig. Der Marathon ist auch ein Ernährungswettkampf.

(Foto: dpa)

Um herauszufinden, was die Faszination Marathon ausmacht, kann man sich auf die Erfahrungen anderer verlassen - oder es einfach selbst machen. Hört sich grob unvernünftig an, ist es aber in meinem Falle nicht. Als erfahrene Triathletin bin ich nicht ganz neu im Ausdauer-Business. Erst vor zwei Wochen habe ich an einem sechsstündigen Wettkampf teilgenommen. Trotzdem bleibt die Kurzfrist-Meldung zum Hauptstadt-Marathon auch für mich ein großes Experiment.

Mit Kippe am Start

Am Start wird mir aber schnell klar: Ich bin nicht die Einzige, die sich nicht generalstabsmäßig vorbereitet hat. Da steht der bierbäuchige Läufer, der vor dem Start noch an der Fluppe zieht. Oder der verrückte Spaßstarter, mit Kostüm, aber ohne Ausdauer. Mit denen kann ich locker mithalten. Es gibt aber auch die Amateure, die kaum vom Profi zu unterscheiden sind. Ausgestattet mit teurem Equipment von Kopf bis Fuß, eigenem Trainingsplan vom Ex-Profi - und das Lauf-Trainingslager am Anfang der Saison darf natürlich auch nicht fehlen. Gibt es alles. Selbst Höhen-Training wird in Berlin angeboten und gut besucht. Mit denen will ich gar nicht mithalten. Mein Ziel ist das Ziel. Weil ich als Rookie an den Start gehe und Laufen meine schwächste Disziplin ist. So schwirrt auch mir als Ausdauer-Sportlerin nur eine Frage durch den Kopf: „Pack' ich's oder pack' ich's nicht?“

Als mein Startschuss ertönt, sind schon zehntausende Läufer auf der Strecke. Bei 14 Grad, strahlendem Sonnenschein und keiner Wolke am Himmel. "Ihr seid mein Lieblingsblock", sagt der Moderator. Er meint uns "H-Blocker", die Läufer im letzten von drei Startblöcken. Jetzt, wo die anderen schon los sind, kann er es ja behaupten.

Noch habe ich "gute Beine" und freue mich einfach nur, bei diesem Spektakel dabei zu sein. So fliegen die ersten Kilometer förmlich davon. Und wir Läufer vorbei am Kanzleramt, Reichstag und geradezu auf den Friedrichstadtpalast. Hier kriege ich zum ersten Mal ein Bild davon, was es heißt, wenn 40.000 Läufer an den Start gehen: die abschüssige Reinhardtstraße ist komplett übersät mit einer bunten Meute, die sich gleichförmig bewegt und mit Spaß bei der Sache ist.

"Hurra, hurra, die Saarländer sind da!", tönt es auf der Strecke rechts neben mir. Eine Laufgruppe versprüht gute Laune und übertüncht fast noch die musikalischen Einlagen der Bands am Streckenrand. Dazu kommen die Zurufe der Zuschauer. Auch sie sind bei diesem Wetter gut drauf und feuern uns lauthals an. Wie sollte es in Berlin auch anders sein, natürlich nicht selten mit einem frechen Spruch auf den Lippen - oder auf einem Plakat: "Wenn du denkst, du kannst nicht mehr, kommt irgendwo ein Arschtritt her", lese ich. Berlin eben.

Ab Kilometer 22 tut's weh

Der Körper leidet - ein Marathon-Läufer hat einen Krampf.

Der Körper leidet - ein Marathon-Läufer hat einen Krampf.

(Foto: imago/Leber)

Mein Rennen läuft seit 1,5 Stunden, da lässt uns ein Streckenmoderator wissen: "Der Weltrekord ist wieder geknackt", der Kenianer Dennis Kimetto ist tatsächlich unter 2:03 Stunden geblieben. Warum auch immer, aber selbst das motiviert mich. Ich muss mich immer wieder zügeln, nicht schneller zu laufen. Bisher fühlt sich noch alles gut an, aber ich weiß: hinten raus werde ich die Körner brauchen. "Du bist schneller geworden", ruft ein Kollege, der mit einer Flasche Wasser am Streckenrand steht. "Fast zwanzig Kilometer und es tut noch nichts weh!", rufe ich zurück.

Doch schon auf halber Strecke merke ich ein leichtes Zwicken, erst im linken und bald auch im rechten Oberschenkel. Eigentlich fängt mein Rennen erst jetzt richtig an, jetzt ist der Wille gefordert. Ich hangele mich in Fünf-Kilometer-Etappen weiter. Nehme so wie bisher an jeder Verpflegungsstelle Wasser oder ein Iso-Getränk auf und futtere alle 30 Minuten ein Gel. So bleibt der Kohlenhydrat-Speicher aufgefüllt und mir geht nicht der Dampf aus.

"Fünf geht immer"

Doch die Schmerzen in den Beinen werden schlimmer. Ich denke an den Tipp von meinem Mann: "Wenn die Beine weh tun, konzentriere dich auf die Arme". Ablenken ist die Devise, die Gedanken an den Schmerz verdrängen. Zum Glück kommt bei Kilometer 28 wieder ein Stimmungsnest - der Platz am Wilden Eber, wo sich tausende Zuschauer tummeln. Das bringt mich einigermaßen den Berg hinauf. Es ist natürlich kein Berg, aber es fühlt sich so an. Hieß es nicht, die Strecke sei so flach?

Ich nehme nicht mehr viel wahr. Aber wenn die Zuschauer nicht helfen können, dann vielleicht die alte Läuferweisheit "Fünf geht immer". Heißt wiederum: Ab Kilometer 37 hab ich's geschafft. Ich laufe und laufe - und auf einmal steht die 38 da. Scheinbar hab ich das 37-Kilometer-Schild verpasst. Das pusht, wieder ein großes Stück näher am Ziel. Stimmungsmäßig ist alles gut, ich werde es packen. Jeder Schritt kostet Überwindung, aber ich will nicht gehen, dann wird es noch schwieriger.

Nach dem Ziel ist vor dem Ziel

Der Moment, als ich Unter den Linden einbiege: Gänsehaut-Feeling. Was für eine Kulisse! Durch das Brandenburger Tor hindurch, dann sind es noch 400 Meter. Vor Glück, es geschafft zu haben, kämpfe ich mit den Tränen, grinse übers ganze Gesicht, das gleichzeitig vor Schmerzen verzerrt ist. Vermutlich eine grässliche Grimasse, aber das Gefühl ist wunderbar. Mit 4:47 Stunden bin ich im Ziel. Es geht also doch. Und ich laufe wie R2D2.

Die Wartung übernimmt Thom Adam, mein 22-jähriger Physio-Therapeut. Er hat heute locker 160 Beine massiert, freiwillig und unentgeltlich. Thom hat in unseren Gesichtern dieses Gefühl der vollständigen Glückseligkeit erkannt. Egal, welcher Läufer-Typ, der Fun-Läufer, der "Easy-Pacer" wie ich oder die Amateur-Profis - alle sind jetzt happy, die Schmerzen egal. Auf die Frage, ob er wieder komme, sagt er: "Na klar, gerne als Physio, aber irgendwann will ich hier selbst starten. Das ist auf jeden Fall mein Ziel." Der nächste Infizierte.

Quelle: ntv.de

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