
Jubel.
(Foto: picture alliance / Marco Wolf)
Zittern, Bangen, purer Wille, großer Rausch - und am Ende grenzenloser Jubel. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft reißt bei den Olympischen Spielen alle mit. Und zwar schon im Viertelfinale - weil ein verloren geglaubtes Spiel in völliger Ekstase endet.
Einfach hochwerfen, kurz unter die Hallendecke. Der Ball wäre unerreichbar gewesen für die deutsche Handball-Nationalmannschaft. Sechs Sekunden vor Ablauf der 60 Minuten Spielzeit war das Team von Bundestrainer Alfred Gislason faktisch am Boden. Es lag 28:29 hinten, Frankreichs Trainer Guillaume Gille nahm die letzte Auszeit. Das DHB-Team wäre im Viertelfinale der Olympischen Spiele ausgeschieden, Frankreich hätte in eigener Halle mit 27.000 Fans in Lille das Weiterkommen so frenetisch gefeiert, wie sie schon gemeinsam die Nationalhymne vor dem Anpfiff geschmettert hatten.
Doch nach der Auszeit, bei Anpfiff Minute 59:54, zögerte Superstar Dika Mem, bedrängt von Lukas Mertens und Renars Uscins zuckte er, war er nicht abgezockt genug und warf nicht hoch genug - stattdessen dem zwei Meter großen Julian Köster in die Hände. Bei Minute 59:57 passte dieser weiter zu Uscins - und der Spieler des Spiels schloss ab. Vorbei an Mem, der noch versuchte, ihm den Wurf zu erschweren, vorbei an Torhüter Vincent Gerard, der das DHB-Team zeitweise mit seiner Quote von 42 Prozent über die gesamte Spielzeit zur Verzweiflung getrieben hatte. Vorbei auch die regulären 60 Minuten, mit dem Einschlag des Balles im Tornetz ertönte die Sirene. Verlängerung. Gerade noch so erreicht. Das Sechs-Sekunden-Wunder geht in die Historie ein.
Diese sechs Sekunden, sie hätten das Ende des Spiels sein sollen. Stattdessen waren sie der Anfang des Siegs der Deutschen. Der Anfang auf dem Weg ins Finale gegen Dänemark. Denn nach dem Gewinn des Viertelfinales besiegten die Deutschen knapp mit 25:24 im Halbfinale Spanien und bahnten sich so ihren Weg ins Finale. Gegen Dänemark blieb das Wunder aus, die Nordeuropäer, amtierende Weltmeister und EM-Zweite, überrollten das DHB-Team, lagen schon zur Halbzeit mit neun Toren in Front. Am Ende unterlag Deutschland mit 26:39 - die Silbermedaille, die die Spieler bei der Siegerehrung um den Hals gehängt bekamen, tröstete spontan nur wenige.
"Habe alles um mich herum vergessen"
So nah liegen Freude und Trauer beieinander - vier Tage zuvor waren die Deutschen noch voller Glücksgefühle aus dem Viertelfinale gegangen. "Dass er mir den Ball perfekt in die Hände geworfen hat, ist schon ein bisschen glücklich", sagte Köster über Mems großen Patzer. Deutschland hatte zwischenzeitig mit sechs Toren zurückgelegen, gab aber nie auf, kämpfte sich ran, Uscins erzielte die Siebenmeter zum 27:28 und 28:29 - obwohl er nie zuvor Siebenmeter geworfen hatte. Aber in diesem Spiel ging einfach alles.
Weil Uscins nach seinem kurzen Jubel-Ausbruch nach seinem Ausgleich einfach mit dem Torewerfen weitermachte, weil Deutschland angezündet war und Frankreich geschockt, gewann das DHB-Team mit 35:34. Uscins warf satte 14 Tore. Natürlich war es auch er es, der das 35:34 erzielte, vier Sekunden vor Ablauf der Verlängerung. Vier Sekunden, bevor Torhüter David Spät kurz vor Ertönen der Schlusssirene den letzten Tempogegenstoß von Valentin Porte spektakulär hielt.
Uscins selbst konnte sich das alles anschließend nicht erklären. "Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte, dass ich in so einen Flow gerate auf einmal. Ich habe alles um mich herum vergessen. Ich habe vergessen, wie wichtig die Würfe sind." Mem wird es nie wieder vergessen.
Quelle: ntv.de