Die Uhr tickt für die 49ers Das "gute Problem" des rätselhaften Spitzenreiters
13.10.2024, 08:58 Uhr
Er ist wohl das größte Schnäppchen des Sports: Brock Purdy.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Sie habe eine tolle Truppe zusammen, die San Francisco 49ers. Doch sie spielen nicht wie ein Spitzenteam. Dabei muss es nun endlich klappen mit dem Titel. Allzu viel Zeit bleibt diesem Team nicht mehr. Denn der Zahltag für Quarterback Brock Purdy rückt näher.
Es ist wieder soweit. Halloween rückt näher. Überall in den USA werden derzeit Wohnungen, Häuser, ja mitunter ganze Straßenzüge verkleidet und dekoriert. Skelette, Angst einflößende Kostüme, abgetrennte Gliedmaßen und Blut, wohin man nur schaut. Es gruselt und schaudert von New York bis Los Angeles.
Nur vor den San Francisco 49ers fürchtet sich niemand. Warum auch? Obwohl die Offensivkraft des Vizemeisters der eines ausgewachsenen Blutsaugers entspricht, erinnerten die ersten sechs Auftritte eher an Rüdiger, den kleinen Vampir. Die Goldhosen glänzten nicht, sondern sahen blechern aus. Nichts Herausragendes. Nichts mit Wow-Effekt.
Drei Siege, drei Niederlagen. Ja, sie sind mit, oder vielleicht sollte es besser lauten, trotz dieser Bilanz Spitzenreiter der NFC West, diese 49ers. Aber sie sind vor allem eins: ein rätselhafter Spitzenreiter. Einer, von dem man nach 35,29 Prozent seiner absolvierten Vorrundenspiele immer noch nicht weiß, ob San Francisco diesmal ein echter Titelanwärter sein wird? Einer, der womöglich sogar die Kansas City Chiefs nach zwei Niederlagen endlich mal im Super Bowl besiegen kann - oder einer, für den es eventuell nicht mal für die Playoffs reicht.
Siege gegen die New York Jets, die New England Patriots und am Donnerstag bei den Seattle Seahawks - schwer vorstellbar, dass es den Chiefs da auch nur ein ganz kleines bisschen schaudert. Dafür aber Niederlagen bei Erzrivale Los Angeles Rams (24:27) und gegen die Arizona Cardinals (23:24). Es komme auf Details an, betonte Trainer Kyle Shanahan. Und diesbezüglich sei die Niederlage gegen Arizona schlimmer gewesen als die gegen die Rams.
Klar geführt, dennoch verloren
In beiden Partien hatte San Francisco klare Führungen noch verspielt. Bei den Rams lagen sie 19 Minuten vor Schluss 21:7 vorn, gegen Arizona zur Pause 23:10. "Wir müssen diese Führungen bis zum Ende halten und diese Spiele gewinnen", meinte Nick Bosa. Der Star-Verteidiger sprach von einem "holprigen Start", betonte aber zugleich, dass man schon durch einige "schwere Phasen" gegangen sei und jetzt einfach "zusammenhalten" müsse.
Vor dem Auswärtsspiel am Donnerstag in Seattle war aufgrund der 2:3-Bilanz im Online-Portal "The Athletic" bereits von einem Spiel die Rede gewesen, dass die Saison gerettet werden müsse. Letztlich gewann San Francisco 36:24 - doch das Match war weitaus weniger deutlich, als es das Ergebnis aussagt.
Erneut hatte San Francisco klar geführt, 23:3 im dritten Viertel. Erneut wurde es zum Ende hin unruhig. Seattle kam bis auf 24:29 heran, ehe Runningback Isaac Guerendo den Football in der vorletzten Spielminute mit seinem Lauf über 76 Yards bis kurz vor den Seahawks-Endzone brachte - und Fullback Kyle Juszczyk mit einem Tochdown alle Eventualitäten endgültig ausschloss.
Nun wäre es ein Leichtes, bei den 49ers auf die Verletztenliste zu deuten. Christian McCaffrey, der im Vorjahr als "bester Offensivspieler der Saison" ausgezeichnete Runningback, quält sich seit der Vorbereitung mit Achilles- und Wadenproblemen herum, konnte deshalb bislang noch kein Spiel absolvieren. Auch Stützen wie George Kittle oder Deebo Samuel haben bereits gefehlt.
Es fehlen "Fokus" und "Spirit"
Doch Verletzungen gehören nun einmal zum American Football dazu wie Touchdowns oder Tackles. Und Kansas City stehen auch einige Spieler verletzungsbedingt nicht zur Verfügung. Doch Kansas City hat seine fünf Spiele gewonnen. Es handele sich bei den 49ers nicht um ein Mangel an Talent, schreibt "The Athletic", sondern es fehle ihnen an "Fokus" und "Spirit". Die Verteidigung hat Probleme, das gegnerische Laufspiel entscheidend einzudämmen. Die top besetzte Offensive wird immer ungefährlicher, je näher sie der Endzone kommt.
Was das alles für die weitere Saison bedeutet? Die Antwort darauf ist so schwer wie auf die Frage, an wie vielen Tagen im Jahr die Golden Gate Bridge in San Francisco wohl komplett von Wolken verhüllt ist. 2020 waren die 49ers ebenfalls mit einer Bilanz von 2:3 gestartet - und hatten anschließend (Gesamtbilanz 6:10) die Playoffs verpasst. 2021 hingegen wurde aus einem 2:3 Anfang Oktober ein 10:7 Anfang Januar - und die 49ers konnten erst im Playoff-Halbfinale vom späteren Champion, Los Angeles Rams gestoppt werden (17:20).
"Wir müssen in dieser Saison unsere eigene Story schreiben. Und die hat nichts mit den Vorjahren zu tun", betont Shanahan. Allerdings ist ihm und den anderen Verantwortlichen klar, dass sie mit diesem Team nur noch diese Saison Zeit haben, Meister zu werden. Denn im Sommer wird sich der Kader verändern - er wird sich verändern müssen. Denn im Sommer wird Brock Purdy seinen großen Zahltag bekommen.
"Das größte Schnäppchen des Sports"
Der Quarterback war beim Draft 2022 als 262. und somit letzter Spieler verpflichtet worden. Doch aus dem "Mr Irrelevant", wie jene Spieler bezeichnet werden, die als Letzte einen Verein finden, ist längst eine Art "Mr. Unverzichtbar" geworden. Der 24-Jährige hat bewiesen, dass er die Antwort auf die mittlerweile langjährige Frage ist, wer der nächste überragende Playmaker des Vereins sein könnte.
In der Vorsaison warf er Pässe für einen Raumgewinn von 4280 Yards - und stellte somit einem Klubrekord auf, was in San Francisco immer etwas Besonderes ist, schließlich haben hier Quarterback-Legenden wie Joe Montana und Steve Young gespielt. Purdy führte die Liga in Passer-Rating und erzielten Yards pro Versuch an, wurde in den Pro Bowl gewählt und kam im Ranking des "wertvollsten Spielers der Saison" (MVP) auf Platz vier.
Und er hatte großen Anteil daran, dass die 49ers im Super Bowl waren. Und das alles für ein Gehalt von, Achtung: 898.252 US-Dollar. Denn Purdy spielt im dritten Jahr seines 2022 unterschrieben Vier-Jahres-Vertrages, der ein Gesamtvolumen von 3,7 Millionen Dollar hat. In dieser Saison steht er mit 1.004.252 Dollar auf der Gehaltsliste, ist somit im finanziellen Ranking die Nummer 39 im Team. Bei ESPN.com wurde er als "größtes Schnäppchen des Sports" bezeichnet. Man könnte auch sagen, er ist längst ein skandalös unterbezahlter Über-Performer.
Der Verein hat längst zu erkennen gegeben, dass man Purdy behalten möchte und dementsprechend bezahlen werde. "Der Quarterback ist die wichtigste Position - nicht nur im American Football, sondern im gesamten Sport. Und diese Spieler sollten viel Geld bekommen", sagte 49ers-Geschäftsführer Jed York bereits im Frühjahr. Und wenn ein Quarterback einer der bestbezahlten Athleten der Liga ist, dann sei dies "ein gutes Problem", so York weiter.
Doch um Purdy die kolportierte Summe von bis zu 60 Millionen Dollar pro Saison zahlen zu können, wird Manager John Lynch kreativ werden müssen. Seine Mannschaft hat mit Left Tackle Trent Williams (21,8 Millionen Dollar Jahresgehalt), Cornerback Charvarius Ward (18,4), Defensive End Nick Bosa (14,67), Linebacker Fred Warner (12,56), Wide Receiver Deebo Samuel (12,21) und Tight End George Kittle (12,2) bereits sechs Profis mit zweistelligen Millionen-Summen an Jahresgehältern.
Der Vertrag von Ward endet nach dieser Saison. Es stehen also schwere Gespräche, Umstrukturierungen von Kontrakten und harte Personal-Entscheidungen an. Wer soll bleiben, wer muss gehen? Wo auf keinen Fall sparen und wo ergibt Subtraktion letztlich womöglich eine Addition? Es gibt natürlich auch ein Szenario, das all dies viel leichter machen würde: ein Titelgewinn.
Quelle: ntv.de