Sport

Mythos Mont Ventoux Der Schicksalsberg der Tour de France

Ein Denkmal für Tony Simpson steht als Mahnung am Straßenrand.

Ein Denkmal für Tony Simpson steht als Mahnung am Straßenrand.

(Foto: imago/Belga)

Zum ersten Mal seit fünf Jahren wagt sich die Tour de France wieder den Mont Ventoux hinauf. "Der Ventoux ist ein Gott der Bosheit", heißt es über den grässlichen grauen Berg, den die leidensfähigen Radprofis in diesem Jahr gleich zweimal bezwingen müssen.

Der Berg, der den Wind im Namen und den Wahnsinn in sich birgt, hat lange geruht. Seit 2016, als sich der Mont Ventoux mit fürchterlichen Böen erfolgreich dagegen gewehrt hatte, dass auch nur ein Profi seinen grässlich grauen Gipfel erreichte, hatte die Tour de France einen weiten Bogen um den kahlen Riesen der Provence gemacht. Dass irgendein wohl sehr gehässiger Mensch beschlossen hat, das Peloton bei der Rückkehr nach fünf Jahren gleich zweimal über die berüchtigte Kuppe zu jagen, eröffnet eine neue Dimension im alten Kampf zwischen Mensch und Naturgewalt.

"Der Ventoux ist voller Überraschungen, ein ikonischer Anstieg", sagt Chris Froome. Für den viermaligen Toursieger, den wohl größten Ventoux-Experten im Feld, ist der Berg "eine Hassliebe. Ich habe dort Wunderbares, aber auch völlig Verrücktes, totales Chaos erlebt." 2013 triumphierte Froome bei der bislang letzten Gipfelankunft und gewann danach erstmals die Tour. Drei Jahre später, als die Stürme nur eine Zielankunft tief unten an den bewaldeten Hängen des Chalet Reynard gestatteten, musste Froome zu Fuß die Rampen hinaufeilen - wenn schon nicht der Ventoux selbst, dann hatte eben ein in den Fanmassen stecken gebliebenes Motorrad den Mann in Gelb gefällt.

"Ein Gott der Bosheit"

Und 2021, wenn Etappe elf zwar in Malaucene am Fuße des Riesen endet, dessen 1910 m hohe Spitze - die vielmehr die höchste Stelle einer riesigen bleichen Beule im flirrenden Flachland ist - aber doppelt überquert wird? Welche Volten bietet der sagenhafte Ventoux diesmal? Er, der vor nunmehr 54 Jahren den Briten Tom Simpson einen jammervollen Tod sterben ließ, manche sagen: umbrachte? "Der Ventoux ist ein Gott der Bosheit, dem Opfer dargebracht werden müssen. Er vergibt niemals Schwäche, er fordert ein schier ungerechtes Maß an Leiden", schrieb der normannische Philosoph Roland Barthes 1957, als hätte er das Schicksal Simpsons vorausgeahnt.

Bevor das Feld, das dann schon längst keines mehr sein wird, sondern eine Perlenschnur allein leidender Individuen, am Mittwoch durch die Mondlandschaft klettert, werden wieder hunderte Radsportfreunde zum schlichten Denkmal für den Briten pilgern, eine Trinkflasche, einen Reifenschlauch niederlegen, und jenes Tages gedenken, an dem eine Sportart ihre Unschuld verlor.

Eine Unschuld, mit der es schon damals nicht weit her war, an diesem brüllend heißen Mittwoch, als Simpson in der Geröllhölle kollabierte - dehydriert, vollgepumpt mit Amphetaminen und Alkohol. Der Weltmeister von 1965 wurde auf dem 54 Grad heißen Asphalt förmlich gebraten.

Am Mont Ventoux ging Tony Martins Stern auf

Das Trauma seines Todes hat der Radsport bis heute kaum überwunden. "Tom Simpson ist für viele in Großbritannien immer noch ein großes Idol", sagt Mark Cavendish, britischer Sprintstar heutiger Tage. Das sportliche Erbe Simpsons ist noch präsent, die bestürzenden Umstände seines Ablebens mit nur 29 Jahren wurden lange verklärt, der Doping-Zusammenhang kaum erörtert.

Erst spät änderte sich die Sicht auf das Ventoux-Drama. Als David Millar nach abgesessener Dopingsperre am 45. Todestag seines Landsmannes am 13. Juli 2012 Tour-Etappensieger wurde, mahnte er: "Ich habe einst dieselben Fehler gemacht wie Tommy und nun sauber gewonnen. Ich hoffe, darin steckt eine Botschaft."

Am Mont Ventoux ging 2009 auch der Stern des jungen Radprofis Tony Martin auf. Den damals 24-Jährigen trennten noch zwei Jahre vom ersten WM-Titel im Zeitfahren, noch war er ein weitgehend Unbekannter. Zwar hatte Martin bei seiner Tour-Premiere schon zuvor aufhorchen lassen, doch erst auf der Königsetappe zum Mont Ventoux wuchs er über sich hinaus, wurde nur knapp hinter dem Spanier Juan Manuel Garate Zweiter. Auch heute wird Martin den "Kahlen Riesen" erklimmen. Eine erneute Spitzenplatzierung ist aber nicht zu erwarten.

Quelle: ntv.de, sue/sid

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen