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Absturz der ikonischen Pistons Das armseligste Team der NBA-Geschichte

Kevin Knox und seine Pistons jubeln in dieser Saison nur sehr, sehr selten.

Kevin Knox und seine Pistons jubeln in dieser Saison nur sehr, sehr selten.

(Foto: AP)

Niemand hatte erwartet, dass die Detroit Pistons mit Sicherheit die Playoffs erreichen würden. Doch selbst niedrigste Erwartungen hat der Traditionsklub noch einmal unterboten. Nach dem Rekord für die meisten Pleiten in Folge winkt eine weitere Negativmarke in der NBA. 

Der Anblick war mitleiderregend: Monty Williams gab sein Bestes in der Pressekonferenz nach dem Spiel. Er sprach von Einsatz, von "vorbildlich", erwähnte immer wieder, wie "stolz" er auf seine Truppe sei. "Sie haben alle Häme gehört und bringen trotzdem ihr Bestes. Irgendwann wird es sich auszahlen." Der Head Coach der Detroit Pistons hatte sein junges Team gerade zum 28. Mal in Folge verlieren sehen, 122:128 nach Verlängerung gegen die Boston Celtics, es war kurz vor der Jahreswende.

Mit der Auswärtspleite beim Titelanwärter war einer der anderen Traditionsklubs der NBA nicht nur auf eine schändliche 2:29-Bilanz abgeschmiert, sondern hatte gleichzeitig den All-Time-Negativrekord der Philadelphia 76ers für die meisten Niederlagen in Folge egalisiert. Die Sixers (März bis Dezember 2015) brauchten dafür jedoch zwei konsekutive Saisons (2014/15 und 2015/16). In einer einzigen Spielzeit hat noch keine Mannschaft mehr Klatschen in Folge kassiert als Detroit. Gegen Toronto schafften es die Pistons zwar am 30. Dezember in letzter Sekunde, den demütigenden, alleinigen Rekord abzuwenden, als sie mit 129:127 gegen die Raptors um Dennis Schröder gewannen.

Nur zwei Abende später startete die Franchise aus Michigan dann in ihre nächste Pleitenserie, die diesmal knapp zwei Wochen anhielt. Immerhin. "Nur" sieben Niederlagen in Folge (dennoch gleichbedeutend mit der sechstlängsten Serie aller Teams in dieser Saison) waren es, vergangenen Sonntag gelang der Williams-Truppe gegen ebenso deprimierende Washington Wizards dann Saisonsieg Nummer vier. Zur Halbzeitmarke dieser Saison liegen die Pistons mit einer Bilanz von 4:37 Siegen aber weiterhin unterhalb der Rate der ewigen Negativmarke in einer vollen 82-Spiele-Saison - aufgestellt von den 76ers, die es 1972/73 auf magere neun Siege brachten (9:73). Den Charlotte Bobcats waren in der verkürzten Saison 2011/12 nur sieben Siege gelungen (7:59). Detroit ist auf bestem Wege, selbst diese armseligsten aller Siegesraten zu unterbieten.

Wer trägt die Hauptschuld?

Monty Williams soll es eigentlich richten, aber seine Entscheidungen wirken öfter fragwürdig.

Monty Williams soll es eigentlich richten, aber seine Entscheidungen wirken öfter fragwürdig.

(Foto: AP)

Wie konnte es so weit kommen? Wer trägt die Hauptschuld an der Misere? "Die Fans in dieser Stadt sind unglaublich und stehen zu uns, natürlich sind sie sauer. Vor allem auf mich. Ich verstehe das", sagt Pistons-Besitzer Tom Gores, dessen Kopf viele Anhänger in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder forderten. Dabei würde ein Verkauf des Teams an der aktuellen Situation nichts verändern. Die obersten Entscheidungsträger sind Gores, General Manager Troy Weaver und Coach Williams. Manager Weavers Name fällt dieser Tage am häufigsten, schließlich zeichnet er sich für die Zusammenstellung dieses Kaders hauptverantwortlich, seitdem er im Juni 2020 von Gores eingestellt wurde.

Bisher hat Weaver bei jeder Gelegenheit versäumt, diesem Team seine Handschrift zu verpassen. Eigentlich als exzellenter Talent-Begutachter verschrien, häufen sich die zweifelhaften Entscheidungen. Weaver draftete Killian Hayes vor Tyrese Haliburton, der mit den Indiana Pacers die Liga aufmischt und zu einem absoluten Superstar gereift ist, schickte brauchbare Rotationsspieler wie Bruce Brown und Saddiq Bey aus der Stadt, verpflichtete gescheiterte Draft-Picks wie James Wiseman und Kevin Knox, und verprasste Geld in der Free Agency für Spieler wie Joe Harris, die keinen positiven Mehrwert brachten. Teambuilding in der NBA erfordert die nötige Balance zwischen Jugend und Erfahrung - selbst für Klubs im Wiederaufbau wie Detroit. Bei aller Aufmerksamkeit auf Talententwicklung: Mit nur drei Spielern über 30 Jahren in eine Saison zu starten, ist grob fahrlässig.

Bei aller Kritik für Weaver und dem Blick auf einen Kader, dem es fast gänzlich an Schützen, Scorern und Verteidigern fehlt, darf Williams' Coaching-Leistung nicht unerwähnt bleiben. Der Ex-NBA-Profi kam im Sommer für rekordträchtige 78 Millionen US-Dollar und sechs Jahre, um die vielen jungen Spieler zu entwickeln und den Klub nach drei Katastrophen-Saisons langsam wieder nach oben zu führen. Seine mehr als fragwürdigen Entscheidungen in puncto Spielzeit, Rotationen und Taktik haben jedoch für mehr Verwirrung und Frust anstatt für Antworten gesorgt. Er hält zu lange an schwachen Optionen fest, lässt Fingerspitzengefühl und "Leine" für Fehler vermissen. Dass es steil rückwärts und bergab anstatt langsam voran geht, konnte niemand in Detroit so vorhersehen.

Glorreiche Vergangenheit

Die Pistons zählen zu den ikonischsten Franchises in der National Basketball Association. Nur sechs Klubs (Celtics, Los Angeles Lakers, 76ers, New York Knicks, Golden State Warriors, Atlanta Hawks) haben in der ewigen Tabelle mehr Siege eingefahren. In den 1980er-Jahren machten sich die "Bad Boy"-Pistons aufgrund ihrer überharten, bisweilen unfairen Spielweise einen berüchtigten Namen. Der Erfolg gab ihnen aber recht. Zwischen 1984 und 1992 erreichte der Klub aus Michigan dank Legenden wie Isiah Thomas, Joe Dumars, Dennis Rodman und Bill Laimbeer neunmal in Folge die Playoffs und dreimal in Folge die NBA Finals. Zwei "back-to-back" Titel in 1989 gegen die Lakers und 1990 gegen die Portland Trail Blazers legitimierten die Bad-Boys-Dynastie.

Nach einer schwachen Dekade kehrten mit Beginn der 2000er-Jahre Konstanz und Dominanz zurück nach "Motor City". Dank ikonischen Spielern wie Ben Wallace, Chauncey Billups, Richard "Rip" Hamilton, Rasheed Wallace und Tayshaun Prince etablierte sich das Team aus dem "Great Lake State" einmal mehr als Nonplusultra in der Liga. Sechs Jahre in Folge, zwischen 2003 und 2008, erreichte Detroit immer mindestens die Eastern Conference Finals, das Halbfinale also. 2004 gelang gegen das Superteam der Lakers der erneute Titelgewinn - der insgesamt dritte der Franchise-Historie. Nur Boston, L.A. Lakers, Golden State, Chicago und San Antonio haben mehr gewonnen.

Nach einem halben Jahrzehnt im Niemandsland und fünf Head Coaches in fünf Jahren - Detroit war nie gut genug, um die Playoffs zu erreichen, aber nie schlecht genug, um einen Top-Draft-Pick zu gewinnen - hofften Anhänger dank der Ankunft von Stan van Gundy als Team-Präsident und Coach ab 2014 auf eine rosigere Zukunft. Vergeblich. Auch unter van Gundy wurden reihenweise Draft-Picks in den Sand gesetzt (Stanley Johnson anstatt Superstar Devin Booker, Luke Kennard anstatt den Top-Leuten Donovan Mitchell oder Bam Adebayo) und produktive Spieler wie Khris Middleton oder Spencer Dinwiddie vergeudet. Selbst ein "alle Chips in die Mitte"-Trade für einen in die Jahre gekommenen Blake Griffin verpuffte: Detroit gewann in vier Jahren nicht eine einzige Playoff-Partie. Van Gundys Nachfolger Dwane Casey erging es in fünf Jahren nicht viel besser: eine Playoff-Teilnahme, null Siege in der Postseason.

Düstere Zukunft

Seit 2008 hat Detroit nicht ein einziges Mal mehr als die Hälfte seiner Partien gewonnen. Nur dreimal in 15 Jahren die Playoffs zu erreichen - 16, wenn man diese Saison hinzunimmt - ist entleerend. Verheerend. Weaver versucht seit vier Jahren, einen Weg aus der Misere zu finden - bisher vergeblich. Wenigen sinnvollen Akquisitionen (Cade Cunningham mit dem Nummer-1-Pick 2021, sowie die Talente Jaden Ivey, Jalen Duren und Ausar Thompson) stehen zu viele Patzer gegenüber. "Wir reflektieren", verspricht Besitzer Gores. "Troy, Monty, ich. Wir müssen vorsichtig sein. Wir haben uns für die Zukunft gut aufgestellt. Aber im Moment läuft es nicht. Ich erwarte Veränderungen. Wir haben viel mehr erwartet. Aber wir müssen der Realität ins Auge blicken und uns eingestehen, dass die Zusammenstellung des Teams so nicht passt. Dafür muss Verantwortung übernommen werden."

Woher diese Veränderungen intern kommen sollen, ist unklar. Vielleicht vertraut Williams seinen besten Spielern künftig mehr. Und klar würde es helfen, wenn die wenigen Veteranen wie Bojan Bogdanovic (Topscorer des Teams mit 19,8 Punkten pro Partie, aber bisher 21 Partien verpasst) und Monte Morris (der sicherste Spielmacher des Teams hat noch keine einzige Partie absolviert) mal auf dem Parkett stünden. Vielleicht kommen weitere etablierte Namen via Trade: ein Tausch mit Washington vor wenigen Tagen, bei dem Danilo Gallinari (35 Jahre) und Mike Muscala (32) verpflichtet wurden, deutet darauf hin, dass Detroit neue Wege eruiert - und bereits für kommenden Sommer plant. Mit potenziellen 60 Millionen US-Dollar an Raum unter dem Salary Cap können dann theoretisch hochwertige Free Agents verpflichtet werden. (Wie viele von ihnen praktisch ein Pistons-Jersey tragen wollen, ist eine andere Frage).

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Bis dahin bleibt jedoch außer Hoffnung nicht viel. Im besten Fall holen die Pistons bis April noch sechs Siege und wenden so die ewige Negativmarke ab. Williams setzt weiter auf Geduld ("Wie ich zu Beginn der Saison schon sagte: Wir müssen uns Monat für Monat verbessern. Unsere Bilanz zeigt das vielleicht nicht, aber wir wachsen."), während die Pistons im Angriff (Rang 28 von 30), in der Verteidigung (29.) und bei der Punktedifferenz (29.) weit unterhalb der Respektabilitätsgrenze operieren. Dieser Klub ist ein mahnender Fingerzeig an alle Fans, dass jeder "Rebuild" in der NBA viel riskanter ist, als viele eingestehen wollen.

Es ist immer schön, wenn einem ein Jahrhunderttalent wie Victor Wembanyama in den Schoß fällt, der den San Antonio Spurs eine große Zukunft verspricht. Fehlt jedoch das Quäntchen Draft-Glück (Detroit hatte die mathematisch höchste Wahrscheinlichkeit auf "Wemby") und die nötige Kompetenz in Entscheidungspositionen, kann es viele dunkle Jahre dauern, um überhaupt wieder ins Plus zu kommen. Bis dahin wären alle in Detroit bereits froh, nicht als ewige Lachnummer Geschichte zu schreiben - als deprimierendstes Team aller Zeiten.

Quelle: ntv.de

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