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Warriors fernab jeder Relevanz Das dominanteste Team der modernen NBA zerfällt

Steve Kerr, Steph Curry und Klay Thompson.

Steve Kerr, Steph Curry und Klay Thompson.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Fast eine Dekade lang sind die Golden State Warriors das Vorzeige-Team der NBA. Das Team aus Kalifornien gewinnt vier Titel und spielt beeindruckend schönen Basketball. Die Väter des Erfolgs stehen bis heute bei den Warriors in Lohn und Brot. Doch das Team ist Zwölfter im Westen. Warum?

Eine Dynastie beschreibt "ein Herrschergeschlecht, dem es gelungen ist, über einen längeren Zeitraum durch Macht-, Wirtschafts- und Heiratspolitik, Diplomatie und Intrigen, sowie letztlich einer gelungenen Erbfolge eine kontinuierliche Besetzung der höchsten Fürstenwürde ihres Landes zu garantieren". Sagt Wikipedia. Wird in der NBA von "Dynastien" gesprochen, ist von Teams die Rede, die über eine längere Zeit die Liga dominiert haben. Durch das Franchise-System ohne Auf- und Abstieg, die für alle Teams geltende Gehaltsgrenze und den Draft, der die besten Talente den schlechtesten Mannschaften zugänglich macht, soll so etwas wie Bayern München per Design verhindert werden. Im Großen und Ganzen gelingt das.

Doch manch ein Team schafft es trotzdem, jahrelang an der Spitze zu bleiben. Das bekannteste Beispiel sind wahrscheinlich Michael Jordans Chicago Bulls, die zwischen 1991 und 1998 sechs Meisterschaften feiern konnten. Doch auch die moderne NBA hat ihr Superteam. Die Golden State Warriors fegten mit teils nie zuvor gesehenem Basketball zu vier Liga-Titeln zwischen 2015 und 2022. Statt Heiratspolitik und Intrigen tragen diese Dynastie vor allem Trainer Steve Kerr und seine drei Schlüsselspieler Stephen Curry, Klay Thompson und Draymond Green.

Bei der WM 2023 ist Warriors-Coach Kerr für das US-Team verantwortlich, das im Halbfinale sensationell gegen Deutschland verliert.

Bei der WM 2023 ist Warriors-Coach Kerr für das US-Team verantwortlich, das im Halbfinale sensationell gegen Deutschland verliert.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Schon jetzt ist klar, diese vier Namen repräsentieren eines der besten NBA-Teams, das die Liga je gesehen hat. Womöglich sogar das Beste. Für den Moment repräsentieren sie ebenjenes Team allerdings auf Platz 20 in der gesamten Liga, außerhalb der Playoff-Ränge in der Western Conference. War es das also mit der Dynastie? Mit der "kontinuierlichen Besetzung der höchsten Fürstenwürde ihres Landes"?

Totgesagte leben länger - aber nicht ewig

Zugegeben: Die Debatte um das Ende ihrer Zeit als Herrscher der besten Basketball-Liga ist für die Warriors nichts Neues. 2020 fahren sie die schwächste Bilanz aller Teams ein. Auch in der Folgesaison strauchelt der Klub. Im November jenes Jahres titelt The Athletic: "Das Ende der Warriors-Dynastie und wie es jetzt weitergeht". Im Mai 2021 verpassen sie im damals neu eingeführten Play-In-Tournament die Qualifikation für die Playoffs. Zum zweiten Mal hintereinander. Die Party ist vorbei.

Ein Jahr später, im Juni 2022, gewinnen sie die Meisterschaft im Finale gegen die Boston Celtics. Die bekannten Stars wurden mit Jordan Poole oder Jonathan Kuminga um vielversprechende Neuzugänge ergänzt. Dazu kehrte Veteran und Warriors-Maskottchen Andre Iguodala zurück. Eine Mixtur, die Fans von einer nahtlosen Fortsetzung der Dominanz träumen lässt. Doch es spricht einiges dafür, dass sich das Szenario diesmal nicht wiederholt. Schon heute wirkt der Titel 2022 nicht wie eine weitere Episode einer Erfolgsserie, sondern das umjubelte Staffelfinale. Totgesagte leben länger, aber eben auch nicht ewig.

Bevor man auf die Unterschiede zwischen der Talfahrt 2020 und der aktuellen Periode blickt, lohnt es sich, die eine klare Konstante herauszustellen: Steph Curry. Der Guard verkörpert nach wie vor Weltklasse. Nur neun Spieler punkten in der laufenden Spielzeit häufiger als er. Punkteschnitt, Wurf- und Dreierquote sind zwar leicht unter den Werten der vergangenen Saison, doch Curry ist trotz seiner inzwischen 35 Jahre zweifelsohne Teil der Lösung, nicht des Problems. Oder wie es Basketball-Experte André Voigt vor Kurzem in seinem Podcast "Got Nexxt" auf den Punkt bringt: "Stephen Curry ist der Grund, warum die Warriors überhaupt noch Spiele gewinnen."

Verletzungen, Sperren, mangelnde Fitness

Technisch perfekt: Der Sprungwurf von Klay Thompson.

Technisch perfekt: Der Sprungwurf von Klay Thompson.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Rund um den Star der Warriors ist jedoch einiges passiert. Klay Thompson beispielsweise ist zwischen 2019 und 2022 gut zweieinhalb Jahre verletzt. Erst reißt das Kreuzband, dann die Achillessehne. Der vielleicht beste klassische Dreierschütze der NBA-Geschichte rutscht nach seiner Rückkehr zweimal unter seine sonstige Fabel-Quote von 40 Prozent. In der laufenden Spielzeit trifft der 33-Jähriger von der Dreierlinie sogar so "schwach" (38,4 Prozent) wie noch nie in seiner Karriere.

Und Defensiv-Anker und Anführer Draymond Green ist mehr mit sich selbst beschäftigt als mit Basketball. Green war schon immer auf der Waage zwischen Genie und Wahnsinn zu Hause, mittlerweile scheint sie aber klar zu seinen Ungunsten auszuschlagen. Nach einem Schlag gegen Phoenix-Center Jusuf Nurkic wird er im Dezember 2023 suspendiert. Wieder einmal. Es ist bereits die vierte Suspendierung des Kalenderjahres. Zunächst verpasst er ein Spiel wegen seines sechzehnten technischen Fouls. Dann tritt er Domantas Sabonis und würgt Rudy Gobert.

Nach dem Schlag gegen Nurkic reicht es der Liga. Die NBA nimmt Green für unbestimmte Zeit aus dem Spielbetrieb, um seiner offensichtlich mangelnden Impulskontrolle Herr zu werden. Ob das gelungen ist, wird sich jetzt zeigen. Für die in der Nacht zu Donnerstag anstehende Partie gegen New Orleans ist der wichtige Organisator wieder spielberechtigt. In seinem Podcast entschuldigt sich der 33-Jährige immerhin für sein Verhalten und betont, den Kritikern dieses Mal zugehört zu haben.

Der außerordentlichen Fähigkeiten Thompsons beraubt, findet Golden State in dessen Abwesenheit eigentlich in Andrew Wiggins einen zweiten zuverlässigen Scorer neben Superstar Curry. Wiggins kommt zu Golden State als Potenzial-Rakete, die jedoch zu häufig unter dem Radar fliegt. 2014 wird er als verheißungsvollstes Talent an Stelle eins von den Minnesota Timberwolves gedraftet. 2022 feiert er - als Warrior - sein Debüt im All-Star-Team.

In diesem Jahr erleidet die Wohlfühl-Story des endlich abgerufenen Talents jedoch einen herben Dämpfer. Wiggins präsentiert sich in katastrophaler Form. Die Dreierquote rutscht von 39 auf 29 Prozent ab, er erzielt nur noch 11 Punkte pro Spiel statt 17 wie in den Vorjahren. Beide Werte stellen sein Karrieretief dar. Die Warriors sollen zu Saisonbeginn unzufrieden mit dem Fitness-Zustand von Wiggins sein, heißt es.

Poole wird weggeschickt und doch vermisst

Ein weiteres Problem ist die Abwesenheit eines Spielers, der sich selbst seinen Wurf kreieren kann. Neben Stephen Curry gibt es keinen zweiten Spielmacher im Kader, der zuverlässig punktet. In den vergangenen Jahren spielen in dieser Rolle erst D'Angelo Russell (jetzt bei den LA Lakers) und Jordan Poole (Washington Wizards) vor. Letzterer ist sogar wesentlicher Bestandteil der Meister-Mannschaft 2022. Beide können seid ihrem Abschied nur bedingt Werbung für sich machen. Russells Wurfauswahl (schießt teilweise häufiger als ein gewisser LeBron James) und vor allem seine Defensive lassen die Fans in LA nicht selten verzweifeln.

Und Jordan Poole ignoriert in Auszeiten seinen eigenen Coach oder verwechselt im fünften NBA-Jahr mal eben Wurf- mit Spieluhr. Noch im Trikot der Warriors gerät er immer wieder mit Draymond Green aneinander. Als Green Poole im Training ins Gesicht schlägt, ist das Tischtuch endgültig zerschnitten. Doch so nachvollziehbar der Abschied Pooles ist, seitdem verwaist seine Rolle im Kader der Warriors. Der vor der Saison verpflichtete Chris Paul kann dem Spiel mit 38 Jahren nicht mehr den Stempel früherer "Point God"-Tage aufdrücken und fällt zurzeit ohnehin mit einer Handverletzung lange aus.

Ein Trio für die Ewigkeit: Thompson, Curry, Green.

Ein Trio für die Ewigkeit: Thompson, Curry, Green.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Das alles resultiert für den Moment in Tabellenplatz 20 in der gesamten Liga und Platz 12 in der Western Conference. Platz 10 würde zwar zur Teilnahme am Play-In-Turnier zu Saisonende reichen. Doch die Lakers, die knapp vor Golden State rangieren, stehen dort vor allem aufgrund der vielen Verletzungen von Rollenspielern. Und die Phoenix Suns (9) haben schlicht zu viel Qualität, um noch stärker abzurutschen. Hinter Golden State stehen nur noch die San Antonio Spurs und die Portland Trail Blazers, die die Saison de facto abhaken können, sowie die Memphis Grizzlies, die den Rest der Spielzeit verletzungsbedingt auf Ja Morant verzichten müssen, der schon zu Beginn lange gesperrt war.

"Absolut keine Fortschritte" bei Thompson

Die nächsten Monate werden die Warriors verbissen um die Playoffs zu kämpfen. Bei der ungewohnten Aufgabe bekommt Elite-Guard Curry voraussichtlich Hilfe von Moses Moody und Brandin Podziemski. Die zwei Talente könnten in der Zukunft gute Rollenspieler werden. Es sind die kleinen Siege, die die Warriors jetzt feiern müssen. Während das Erreichen der Postseason noch denkbar ist, scheint ein langes Verbleiben im Finalturnier der NBA unmöglich. Zu groß sind die Defizite.

Um den Kader noch zu verändern, gibt es kaum Möglichkeiten. Für den formschwachen Wiggins oder den unberechenbaren Green wird niemand einen relevanten Gegenwert bieten. Und Klay Thompsons Vertrag läuft nach der Saison aus. Das mindert nicht nur seinen Tradewert, sondern auch die Laune. Schon Mitte Oktober vermeldet NBA-Insider Adrian Wojnarowski von ESPN "absolut keine Fortschritte" in den Vertragsverhandlungen. Die scheint es auch seitdem nicht gegeben zu haben.

Und so geht sie dahin, die Dynastie der Golden State Warriors. Möglicherweise ohne großen Knall. Möglicherweise kommt er aber auch noch, beispielsweise in den Playoffs in Form einer klaren Niederlage oder im Sommer als großer Umbau des Kaders. Denn auch wenn die Jahre vorbei sind, in denen Fans gegnerischer Teams vor der Saison verzweifelt prognostizierten, dass die Warriors in der kommenden Spielzeit keine Partie verlieren, gibt es Lichtblicke. Die Zukunft haben die Warriors in der eigenen Hand. Die Erstrundenpicks der kommenden Jahre hat die Franchise allesamt behalten können. So kann an einem neuen Team getüftelt und zeitgleich mit Curry in den Sonnenuntergang geritten werden.

Der Problemlöser vom 21. Juli

Bliebe nur noch eines zu klären: Hätte all das irgendwie verhindert werden können? Haben die Warriors etwas übersehen? Dass Klay Thompson zweieinhalb Jahre seiner Karriere in Reha-Maßnahmen verbringen muss, ist so tragisch wie nicht zu verhindern. Die Trennung von Poole war spätestens nach der Eskalation mit Draymond Green alternativlos.

Franz Wagner hätte auch bei den Warriors landen können.

Franz Wagner hätte auch bei den Warriors landen können.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Und doch gibt es da diesen einen Moment, der sich rückwirkend geradezu aufdrängt. Am 29. Juli 2021 ziehen die Golden State Warriors beim NBA Draft mit dem siebten Pick Jonathan Kuminga. Der Flügelspieler zeigt immer wieder vielversprechende Ansätze. In dieser Saison scheint ihm der Durchbruch zu gelingen, er spielt so viele Minuten und erzielt so viele Punkte wie noch nie. Das sieht er offenbar auch selbst so. Auch hier drohte dieser Tage kurz eine Eskalation: Nachdem er am Wochenende eine Halbzeit lang auf der Bank schmoren muss, berichtet "The Athletic", er habe das Vertrauen in Trainer Steve Kerr verloren. Kurz danach heißt es jedoch, die Situation sei geklärt, alles wieder in Ordnung.

An jenem Tag Ende Juli 2021 aber hat Kuminga gerade die Draft-Bühne verlassen, als ein junges deutsches Talent sich auf den Weg zum Mikrofon macht. Denn die Orlando Magic wählen unmittelbar danach Franz Wagner aus. Bereits zuvor wird spekuliert, wie gut der technisch herausragende Wagner zur Vorzeige-Franchise aus Kalifornien passen könnte. Jetzt freuen sich stattdessen die Magic. Der heutige Weltmeister Franz Wagner hätte für die Warriors so vieles sein können. Der Spielmacher neben Stephen Curry. Der zweite zuverlässige Scorer. Immerhin sehen viele in ihm einen künftigen All-Star, einen, der über Jahre zu den Besten gehören könnte. Einen, der vielleicht die Dynastie der Golden State Warriors hätte verlängern können.

Quelle: ntv.de

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