Showdown auf fragwürdiger Bühne Kabayel will die Boxwelt eines Besseren belehren
23.12.2023, 13:20 Uhr
Agit Kabayel hat Großes vor in Riad.
(Foto: IMAGO/Moritz Müller)
Nach vielen Jahren in der zweiten Reihe betritt Boxprofi Agit Kabayel endlich die große Bühne. Beim Mega-Kampfabend der Saudis steigt der deutsche Schwergewichtler in den Ring. Es ist die Chance auf weitere große Kämpfe.
Dass sich das Schwergewichts-Boxen mit seinen "modernen" Gladiatoren hervorragend eignet, um autokratische Herrschaft vor aller Welt in Hochglanz zu präsentieren, wusste ein gewisser Sese Seko Mobutu schon lange bevor der Begriff "Sportswashing" die Runde machte. Der blutrünstige Diktator von "Zaire" (heute DR Kongo) legte 1974 zehn Millionen Dollar auf den Tisch, um Muhammad Ali und George Foreman eine Keilerei im Dschungel schmackhaft zu machen.
Keine 50 Jahre später ist Saudi-Arabien die führende Sportwäscherei der Welt. Das von der Herrscherfamilie Al Saud absolutistisch regierte Königreich betreibt eine beispiellose "Charme Offensive", um sich als sanfter Riese am Persischen Golf zu gerieren. Soft Power dank Sport-Megastars und hochklassiger Events, lautet die (außenpolitische) Strategie, mit der Kronprinz Mohammed bin Salman seinen "Entertainment"-Minister Turki Al-Sheikh beauftragt hat. Das Mittel zum Zweck ist der prall gefüllte saudische Staatsfonds, der angezapft wird, damit Spitzensport künftig zwischen Riad und Dschidda stattfindet.
Fußball-Größen wie Cristiano Ronaldo und Neymar sind dem Lockruf der Wüste schon gefolgt, Golfstars wie John Rahm ebenfalls. Im Preiskampf schickt sich Saudi-Arabien an, Las Vegas als Epizentrum des Schwergewichts-Boxens abzulösen. Mit der Finanzkraft der Saudis kann selbst das Zocker-Babylon der Vereinigten Staaten trotz der Dollar-Macht seiner Casinos kaum mithalten. "Sie zielen darauf ab, Saudi-Arabien und speziell Riad als globales Zentrum für das Boxen und große Unterhaltung zu etablieren", kommentierte Bob Arum jüngst die Faustkampf-Pläne der Golf-Monarchen. Der US-amerikanische Promoter ist 93 Jahre alt und schon seit Alis Zeiten im Geschäft.
Finale furioso der "Riyadh Season"
Al-Sheikhs "Leidenschaft" für den Boxsport und seine "finanzielle Unterstützung" hätten den "Weg für Blockbuster-Kämpfe geebnet, die einst bloße Bestrebungen waren", so Arum. "Wenn viel Geld auf dem Tisch liegt, lösen sich Feindseligkeiten auf und konkurrierende Veranstalter arbeiten für lukrative Events zusammen."
Ein Beispiel: Am 17. Februar treffen die ungeschlagenen Weltmeister Tyson Fury (WBC) und Oleksandr Usyk (WBA, IBF, WBO) in Riad aufeinander. Erstmals seit 1999 stehen alle anerkannten WM-Gürtel im Schwergewicht auf dem Spiel. Im Frühjahr war der Kampf um die einzig wahre Krone noch geplatzt. London und sein legendäres Wembley-Stadion hatten nicht genügend finanzielle Strahlkraft.
Der vorläufige Höhepunkt der schwergewichtigen Saudi-Politik trägt sich aber schon am Samstag zu. In der "Kingdom Arena" von Riad klettern zwölf Schwergewichtler in den Ring, dazu - quasi als Nebengänge - Pound-for-Pound-Star Dmitry Bivol und Cruisergewichts-Champion Jai Opetaia. In den Hauptkämpfen treten die Superstars Anthony Joshua (England) und Deontay Wilder (USA) an, um den nächsten Kracher vorzubereiten. Gewinnen sie ihre Kämpfe (Joshua gegen den Schweden Otto Wallin, Wilder gegen Joseph Parker aus Neuseeland), soll am 9. März der lang ersehnte britisch-amerikanische Clash stattfinden. Natürlich in der saudischen Hauptstadt - als finale furioso der "Riyadh Season", die Fury und MMA-Star Francis Ngannou mit ihrem bizarren Gefecht Ende Oktober eröffnet hatten und die am 11. März mit Beginn des Ramadans endet. Panem et circenses. Brot und Zirkusspiele in einer neuen Dimension.
Sieg wichtiger als das Geld
"Ich glaube, das ist die größte Veranstaltung, die wir im Boxsport in den letzten 20 Jahren hatten. Joshua, Wilder, Bivol auf einer Fightcard. Jeder Kampf an diesem Abend könnte der Hauptkampf auf einer anderen Veranstaltung sein", sagt Agit Kabayel im Gespräch mit ntv.de und sport.de zu der boxerischen Extravaganza am Tag vor Heiligabend. Der Europameister aus Bochum ist einer der zwölf auserwählten "Stämme", die am 23. Dezember große Show liefern sollen, er kämpft gegen den in Kanada lebenden Russen Arslanbek Makhmudov.
Kabayel träumt seit Jahren von großen Kämpfen. Vor drei Jahren hatte er schon den Vertrag für ein Duell mit WBC-Champion Fury unterschrieben, ehe Corona dazwischenfunkte. Auch danach war Kabayel immer mal wieder als möglicher Herausforderer des "Gypsy Kings" im Gespräch, kam aber nie zum Zug. Über den Sommer sei er dann in "festen Verhandlungen" mit Joshua über ein mögliches Duell im Winter gewesen, verrät Kabayel. Dann kamen die Saudis mit ihrem opulenten Kampfabend - und einem Angebot, das der Preisboxer nicht ablehnen konnte. "Manchmal ist es im Leben so: Der liebe Gott hat alles so geschrieben, dass manche Kämpfe genau zum richtigen Zeitpunkt kommen sollen und jetzt ist es so weit gewesen", sagt der 31-Jährige. Zum ersten Mal in seiner zwölfjährigen Profi-Karriere verdiene er eine Millionen-Börse.
Vor allem aber bekommt Kabayel die größtmögliche Bühne, um sich zu präsentieren. "Ich würde sogar auf Geld verzichten, um als Sieger aus dem Kampf zu gehen", beteuert der "Junge aus dem Ruhrpott". Mit einem Erfolg gegen den ungeschlagenen Makhmudov stünden die Tore zu weiteren Zahltagen weit offen.
"Die größte Aufgabe meiner Karriere"
Dafür aber muss Kabayel einen veritablen Klotz aus dem Weg räumen. Makhmudov - 1,97 Meter groß und 119 Kilogramm schwer - kommt mit der Empfehlung von 17 Knockouts in 18 Kämpfen nach Riad. "Brandgefährlich" nennt Kabayel den Mann mit dem gewaltigen Nacken, in dessen Quadratkopf gefühlt zwei "gewöhnliche" Menschenschädel passen. Viele Schwergewichtler seien "Angstgegner" Makhmudov aus dem Weg gegangen, behauptet Kabayel. Der als K.-o.-Maschine inszenierte russische "Löwe" sei "die größte Aufgabe meiner Karriere".
Das gelte aber auch "andersrum", betont der "Ruhrpott-Junge". Mahmudov habe noch gegen keinen Boxer seiner Klasse im Ring gestanden. Tatsächlich finden sich in der Kampfbilanz des 34-Jährigen kaum Hochkaräter. Immerhin bezwang er 2022 den früheren WM-Herausforderer Carlos Takam. Bei seinem ersten Härtetest blieb der gewohnte K.o. allerdings direkt aus, Mahmudov gewann nach zehn Runden auf den Punktzetteln.
Auch der Kampf in Riad gegen Kabayel ist auf zehn Runden angesetzt und nicht auf die volle Distanz von zwölf Durchgängen. "Er stand in seiner Karriere nicht oft in der sechsten oder siebten Runde. Ich denke, sein Promoter und die Organisatoren waren intelligent, dass der Kampf nur zehn Runden geht. Ich bin fit für zwölf oder 15 Runden", sagt Kabayel, der in seiner Karriere schon viermal "alle Zwölfe" gegangen ist und deutlich mehr Runden (114) abgerissen hat als Kurzarbeiter Makhmudov (42).
"Ich werde viele Menschen eines Besseren belehren"
Dass er wegen seiner physischen Nachteile (Kabayel misst 1,91 Meter und ist 109,5 Kilo schwer) als leichter Außenseiter die Box-Show der Saudis eröffnet, kratzt den Deutschen nicht. "Ich denke, wir werden am 23.12. die Welt schocken. Ich glaube, viele unterschätzen wirklich, was ich draufhabe. Ich werde viele Menschen an diesem Tag eines Besseren belehren." Mit seinem Trainer Sükrü Aksu habe er sich in Düsseldorf gewissenhaft vorbereitet, berichtet Kabayel. Große Prognosen zum Kampfverlauf wolle er nicht abgeben, "der Game-Plan ist boxen, intelligent sein, Kopf einschalten, sich nicht auf eine Schlacht einlassen".
Eine solche hatte sich Kabayel am 4. März in seiner Heimatstadt Bochum geliefert. Vor einer tobenden 4.000-Seelen-Meute im RuhrCongress schlug er den Kroaten Agron Smaikic in einem einmaligen Drei-Runden-Gekloppe durch Technischen K.o. und eroberte zum zweiten Mal den EM-Gürtel. Es war ein Sieg, der am seidenen Faden hing. In der zweiten Runde kippte Kabayel nach einer Trefferserie des schlagstarken Rechtsauslegers in die Seile, wurde vom Ringrichter angezählt. Der Favorit stand auf wackeligen Beinen und kurz vor der Klippe. Kabayel aber bewies Nehmerfähigkeiten. Smakici prügelte sich am Kinn des "Pott-Kolosses" müde. Noch in Runde zwei schlug Kabayel zurück, in der Dritten machte er den Sack mit einem unerbittlichen Fausthagel zu.
Zahltag am Vorabend des Heiligabend
"Im Schwergewicht kann ein Schlag den ganzen Verlauf ändern. Das war auch eine Riesenerfahrung für mich, mal in dieser Situation zu stecken, Charakter zu zeigen, zurückzukommen und den Kampf zu drehen", blickt der Bochumer zurück. Dabei weiß Kabayel, dass allzu viele solcher "Shootouts" nicht förderlich sind. Gegen Makhmudov soll die eigene Schlagresistenz die im Trainingscamp geschliffene Faustfertigkeit, wenn überhaupt nur begleitend unterstützen. Den langsameren Riesen ausboxen, lautet die Devise - auch wenn er selbstverständlich für eine weitere "Schlacht" gerüstet sei, wie Kabayel betont.
Dass er (be-)stehen kann, wenn es darauf ankommt, hat Kabayel gegen Smakici vor allem aber schon einmal vor sechs Jahren bewiesen. Im Casino de Monte-Carlo verteidigte er am 4. November 2017 seinen EM-Titel gegen den klar favorisierten Briten Dereck Chisora über zwölf Runden nach Punkten. Mit dem Erfolg auf fürstlichem Parkett meldete Kabayel seine Ambitionen an, in der Schwergewichts-Spitze ein Wörtchen mitzureden. Der Sieg hätte einen Karriere-Schub geben können. Die erhofften großen Kämpfe blieben in den folgenden Jahren aber aus. Bis jetzt. Am Samstagabend wird die Boxwelt auf Agit Kabayel schauen. Dafür hat Saudi-Arabien gesorgt.
"Meine Aufgabe ist, dass das keine einmalige Chance ist. Ich denke, ich gehöre schon seit Längerem da oben hin, aber es hat sich bisher leider nicht ergeben", sagt die deutsche Schwergewichts-Hoffnung: "Am 23. Dezember werden wir sehen, ob wir unsere Hausaufgaben gut gemacht haben oder nicht."
Quelle: ntv.de