WM-Kollaps gegen Frankreich Deutschlands Weltklassecheck endet bitter
25.01.2023, 22:56 Uhr
Alfred Gislason muss das WM-Aus erstmal sacken lassen.
(Foto: dpa)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft verpasst den Schritt zurück in die Weltklasse. Gegen Olympiasieger Frankreich scheitert man an sich selbst, weil der Fehlerteufel mit Macht zurück ins deutsche Spiel findet. Es ist ärgerlich.
Was ist da in der Arena in Gdansk eigentlich passiert?
Endlich wieder ein K.-o.-Spiel bei einem großen Turnier für die deutsche Handball-Nationalmannschaft: Zum letzten Mal hatte sich das DHB-Team 2019 bei einer Welt- oder Europameisterschaft für die finale Turnierphase qualifiziert. Damals war man bei der Heim-WM im Halbfinale chancenlos gegen Norwegen. Nun ging es auf dem steinigen Weg zurück in die Weltspitze gegen das Superteam aus Frankreich. Rekord-Weltmeister, Olympiasieger, die "schwerstmögliche Aufgabe" (DHB-Trainer Alfred Gislason) im "wahrscheinlich größten Spiel meines Lebens" (Spielmacher Juri Knorr).
Deutschland hatte sich in den ersten fünf Turnierspielen in einen Lauf gespielt, das knappe 26:28 gegen Norwegen im Hauptrundenfinale hatte sie genervt, Torwart Andreas Wolff freute sich aber auch über den "Dämpfer zur richtigen Zeit". Das Viertelfinale brachte nun einen bitteren Realitätscheck. Mit 28:35 ging das Viertelfinale verloren. Weil nach einer ganz starken ersten Halbzeit gegen Frankreich genau das passierte, was gegen eine solche Mannschaft niemals passieren darf: zu viele Fehler. Die Niederlage fiel deutlich zu hoch aus, da waren sich alle einig. Jetzt soll sie mit Blick auf die Heim-WM aber umgedeutet werden. Das große Spiel fing berauschend an, 40 Minuten lieferte man endlich mal wieder Weltklasse. Die letzten 20 Minuten sammelte man Erfahrungen. Bitter für den Moment, wertvoll für die Zukunft.
Spieler des Spiels
Keine Frage, Remi Desbonnet hat dieses Spiel entschieden. Remi Desbonnet, das ist der Torwart der Franzosen. Präziser: Er ist eigentlich die Nummer zwei, doch diesen Status ließ er an diesem Mittwochabend furios hinter sich. Mitte der zweiten Halbzeit wuchs er zu einer unüberwindbaren Wand. Bis zum 20:20 in der 40. Minute war das Spiel ausgeglichen, ehe sich der Torwart zum Géant, zum Giganten, aufschwang. Reihenweise entschärfte er die Würfe der Deutschen, die indes auch immer mehr aus Rückraum werfen mussten, was ihnen gar nicht behagte. Einmal fing Desbonnet sogar einen Ball. Die Höchststrafe. Seine beste Szene hatte er, als er einen Tempogegenstoß von Patrick Groetzki im Eins-gegen-eins spektakulär wegnahm und damit einen deutlichen Rückstand (mit dann drei Toren, mehr dazu siehe unten) verhinderte.
Szene des Spiels
"Aus den ersten elf Angriffen machen wir gefühlt elf Tore", sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer zur Halbzeit. "Danach haben wir vier Angriffe zu viele Ballverluste gehabt, auch ein bisschen zu viel Risiko." Das aber brauche es auch gegen eine Mannschaft mit der Qualität Frankreichs. Julian Köster warf ein paar Bälle weg, im rechten Rückraum durften sich mit Kai Häfner, Christoph Steinert und schließlich auch Djibril M'Bengue drei Spieler versuchen. Ein deutliches Zeichen und kein gutes. Und Juri Knorr, der lange Zeit ein abermals starkes Spiel machte, leistete sich ein paar dieser "teuren Fehler", die Bundestrainer Alfred Gislason vor Turnierstart im Spiel der deutschen Mannschaft und ihres Regisseurs immer wieder thematisiert hatte. Mit mehr Effizienz, das war die Hoffnung, würde es gegen Frankreich irgendwie werden, hatten sie gehofft. Es wurde nichts draus. Weil sich die Effizienz nach den ersten elf Angriffen erst langsam, dann immer schneller werdend verabschiedete. Auch, weil bei den deutschen Spielern nach einem bisher schon langen Turnier sichtbar die Kraft schwand.
Besonders teuer machte es Patrick Groetzki. Der Rechtsaußen, der bei diesem Turnier noch zum deutschen WM-Rekordler aufsteigen kann, lief zu Beginn der zweiten Hälfte einen Tempogegenstoß mit einem Zwei-Tore-Vorsprung im Rücken - und scheiterte an Desbonnet. Wenig später ging Frankreich zum ersten Mal überhaupt in diesem Spiel in Führung. Und die gab die abgezockte Truppe nicht mehr her. Ob Groetzkis Fehlwurf wirklich ein Wendepunkt war, ist fast egal. Zu dominant und abgezockt spielten die titelhungrigen Franzosen eine sichtbar müder werdende deutsche Mannschaft systematisch auseinander. Effizient, gnadenlos. Frankreichs Superstar Nikola Karabatic, "die Legende unseres Sports", wie der deutsche Torwart Andreas Wolff den 38-Jährigen mit einigem Recht nannte, lobte die noch unerfahrene DHB-Equipe nach dem Abpfiff. Woran es Deutschland noch fehlt, um auch solche Spiele wieder zu gewinnen, konnte der vielfache Welthandballer nicht sagen.
Wie war es in der Halle?
Der Weltverband hat es erfolgreich geschafft, ein hochattraktives Viertelfinale für viele, viele Fans zu ruinieren. Zum wichtigsten Spiel der jüngeren DHB-Geschichte, dem Match, in dem der Schritt zurück in die Weltklasse gegen einen übermächtig scheinenden Gegner gegangen werden sollte, waren kaum 1000 deutsche Fans angereist. Immerhin ein paar mehr als aus Frankreich. Die vollkommen unsichere Aussicht auf den weiteren Turnierweg - Halbfinale in Danzig oder im 1400 Kilometer Landweg entfernten Stockholm - ließ wohl viele Reisewillige zuhause bleiben.
So fehlte der deutschen Mannschaft auch der Faktor Fans, auf den sie gehofft hatten in diesem wichtigen Spiel. "Wir müssen das Spiel mit Leidenschaft angehen. Wir werden unser Herz in die Hand nehmen und die vielleicht fehlende Erfahrung gegenüber den Franzosen mit Kampf wettmachen", hatte Torwart Andreas Wolff versprochen. Als es darauf ankam, kam nur ein zartes "Kämpfen, Deutschland, kämpfen" von den Rängen. Ein Heimspiel für niemanden und kein Handballfest. Ein Abend, der mehr verdient hätte.
Die Stimmen zum Spiel
Alfred Gislason (Bundestrainer): "In der zweiten Halbzeit, muss man ganz ehrlich sagen, geht uns ein bisschen die Luft aus im Angriff. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass wir aufgegeben haben, im Gegenteil: Wir haben weitergemacht, aber wir haben einfach schlecht geworfen."
Johannes Golla (Kapitän): "Erst mal ist das Ergebnis zu hoch. Es war ein großer Kampf von uns. Wir nutzen nicht die freien Chancen so, wie man das machen muss, wenn man ein Halbfinale erreichen will."
Quelle: ntv.de