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Was vom "Bum Bum" übrigblieb Die Leidensgeschichte der Kriegerin Sabine Lisicki

Sabine Lisicki kämpft noch immer um ihr großes Comeback.

Sabine Lisicki kämpft noch immer um ihr großes Comeback.

(Foto: IMAGO/Paul Zimmer)

Sabine Lisicki fiel von ganz oben nach ganz unten. Die ehemalige Tennis-Weltklassespielerin macht eine Leidensgeschichte durch, die ihresgleichen sucht. Aufgeben? Kommt für die Kriegerin nicht infrage. Nun greift "Bum Bum Biene" erneut an - als wieder erstarktes "Sensibelchen".

Am Samstag vor einer Woche war es wieder einmal so weit. Bei den Libéma Open am Stadtrand von 's-Hertogenbosch in den Niederlanden greift Sabine Lisicki an. Qualifikationsrunde, Platz 5. Neue Normalität, harte Kost. Die ehemalige Wimbledon-Finalistin spielt nicht mehr bei den ganz Großen mit. 3:6, 4:6. Das Aus gegen Kryszina Dsmitruk aus Belarus, die 234. der Welt. Rückfahrt ins Hotel. Koffer packen. Abreise.

Die neue Routine der Sabine Lisicki ist eine schmerzhafte. Vor den Niederlanden setzt es eine Erstrundenpleite beim Turnier in Wiesbaden, davor das Aus in der Qualifikation bei den Stuttgart Open. Die 33-Jährige kämpft sich seit gut einem Jahr qualvoll zurück in die Tennis-Elite. Nach fast drei Jahren Pause mit Pfeifferschem Drüsenfieber und einem Kreuzbandriss. Nur will der nächste Schritt nicht wirklich gelingen. Sportliches Leid folgt auf körperliches.

Tennis-Star oder Auslaufmodell? Sternstunden gegen Serena Williams und Co. oder weit entfernt von einfachen Hauptrunden? Sogar bei Challenger-Turnieren, die Spielerinnen außerhalb der Top 100 der Weltrangliste dazu dienen soll, Ranglistenpunkte zu sammeln? Lisicki befindet sich heute wohl irgendwo dazwischen. Wo genau, das weiß sie selbst womöglich nicht einmal. Sie weiß aber, dass sie mit jeder Sehne ihres Körpers an ihr Können glaubt. An ihren Kampf für das immer noch andauernde Comeback.

Zehn Jahre seit der Sternstunde

Nun versucht Lisicki in Berlin bei den Bett1Open bis zum kommenden Sonntag ihr Glück. Ehrensache in ihrer Heimat. Und dann noch auf dem Lieblingsbelag Rasen. "Als kleines Kind habe ich immer gehofft, im Steffi-Graf-Stadion zu spielen", sagt sie im Gespräch mit ntv.de. Dank einer Wildcard darf sie sich auf einmal im Hauptfeld mit den besten Tennisspielerinnen der Welt messen. Neun Spielerinnen aus den Top-Ten sind dabei, schon ein einziger Sieg würde wichtige Ranglistenpunkte bedeuten. Weitaus mehr, als bei den kleinen Turnieren zu holen ist, die ihre neue Realität sind.

2022 war Lisicki an der Hundekehle noch in der Qualifikation gescheitert. "Jedes Mal, wenn ich den Rasenplatz betrete, dann glaube ich, dass ich gewinnen kann", sagt sie jetzt forsch zu ihren Berliner Plänen im zweiten Anlauf. "Das wird diesmal nicht anders sein." Dass das nicht aufgrund ihrer Leidensgeschichte einfach werden dürfte, wissen nicht nur ausgemachte Tenniskenner.

Der Sommer 2013 gehört in der Bundesrepublik Sabine Lisicki. "Bum Bum Biene" wird sie damals getauft. Fast genau zehn Jahre liegt ihre Sternstunde nun zurück. Als die Deutsche in Wimbledon die große Serena Williams, die damalige Nummer 1 der Welt, aus dem Achtelfinale des wichtigsten Tennis-Turniers der Welt kegelt. Als Lisicki bis ins Finale marschiert. Dort fließen schon auf dem Rasen-Court die Tränen - bevor sie als Favoritin der starken Französin Marion Bartoli unterlag. Der Kindheitstraum platzt. Lisicki wird anschließend nie wieder so hoch oben angreifen.

Der krasse Kontrast zu den großen Erfolgen: Ein Video auf ihrem Instagram-Kanal fasst das Leid und den Kampf zurück nach der Kreuzband-OP in Sekunden zusammen: Krankenhaus, Schmerz, Laufen lernen. Zunächst auf Krücken, dann ohne. Anschließend erste Schritte auf dem Tennis-Court. Verhaltene Schläge. Durchpusten. Darunter schreibt sie "Keep Going. Keep Pushing. Keep Believing. Stay Strong!" Immer weitermachen, immer pushen, immer stark bleiben. Nichts für schwache Nerven und nur etwas für die stärksten Kämpferinnen.

"Hatte keine Dämonen im Kopf"

"Wenn man ehrlich ist, hat niemand damit gerechnet, dass ich jemals wieder Profi-Tennis spielen werden kann", sagt Lisicki gegenüber ntv.de. "Kreuzband, Meniskus, Außenband - im Knie war einmal alles kaputt." Viele hätten wohl aufgehört. Lisicki nicht. Die Berlinerin denkt nicht einmal dran. Sie denkt nur: "Wann kann ich endlich wieder laufen? Wann kann ich endlich wieder spielen?".

15 Monate lang kann Lisicki nicht mal joggen gehen. Erst im Januar 2022 läuft sie wieder ein paar Hundert Meter am Stück. In der Verletzungszeit kann sie "kein Tennis anschauen, weil das zu sehr wehtat". Doch die Tennisverrückte glaubt immer an ihr Comeback während der 18 Monate des qualvollen Aufbautrainings. Sie habe ein "sehr großes Kämpferherz in mir, das kommt von meinen Eltern", so Lisicki, und kann auf "enormen Rückhalt" seitens ihrer Familie bauen. Natürlich habe es viele schwere Momente gegeben. Einige "Tiefs" muss sie abwehren, fällt jedoch "nicht noch tiefer", sondern gräbt sich immer wieder zurück an die Oberfläche. "Aber ich hatte in der Leidenszeit keine Dämonen im Kopf", sagt sie, dafür sei ihre Einstellung zum Leben einfach zu positiv.

Und so kämpft und kämpft Lisicki. Sie befindet sich "in einem absoluten Tunnel" und "merkt dabei gar nicht, wie hart das eigentlich war". Zunächst wird sie gar nicht mehr in der Weltrangliste geführt, als sie vor etwa 14 Monaten wieder beginnt, professionell Tennis zu spielen. Bei ihrem zweiten WTA-Turnier nach dem Comeback erreicht sie in Bad Homburg aber sensationell das Viertelfinale. Dort steht sie auch in Andorra im Dezember. Anfang des Jahres gelingt Lisicki in Mexiko City erneut der Einzug ins Viertelfinale, in Orlando stößt sie kurz darauf sogar ins Halbfinale vor. Ein Aufwind? Anschließend gelingt Lisicki wieder wenig. Schmerzhafte Pleiten in der Qualifikation. Auf Platz 292 wird die ehemalige Weltklassespielerin mittlerweile geführt. "Das vergangene Jahr war eigentlich noch Reha", erklärt die Tennisspielerin. "Das wirkliche Comeback beginnt jetzt."

Durch ihre Verletzung ist Lisicki überlegter in ihrer Art und Weise geworden. Weiser vielleicht. Wenn sie irgendwann einmal auf ihre gesamte Karriere zurückschaut, werde es ihr "sehr viel" bedeuten, dass sie sich doch noch einmal zurückgekämpft hat, sagt sie bedacht. Den Blick von außen versuche sie nun vermehrt, nachdem sie durch die Corona-Pandemie und die Knieverletzung Zeit zum Zurückblicken gefunden hätte. "So spät habe ich erst wirklich gemerkt, was ich alles erreicht habe", erklärt Lisicki. Im Tennis geht es sonst ja sogar nach einem Triumph direkt weiter. Das sei "hart".

Sensibilität ist Lisickis neue Stärke

Ihrem selbst von 2013, als sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war, würde Lisicki heute zwei Sachen raten: "Den Weg weiterzugehen, den ich gegangen bin und daran nicht zu viel zu verändern. Und außerdem Menschen öfter um Rat zu fragen. Ich habe erst spät gelernt, über gewisse Dinge zu sprechen und mir Tipps zu holen." Mit gewissen Dinge meint die Tennisspielerin auch ihre Emotionen. "Ich bin ein Sensibelchen", sagt Lisicki heute über sich. "Früher habe ich nicht so dazu gestanden, aber jetzt tue ich das und diese Emotionen sind auch ein Grund, warum ich mich zurückgekämpft habe." Mit dem Alter habe sie realisiert, dass die Sensibilität "eine meiner größten Stärken ist, weil das genau die Emotionen sind, die mich auf dem Platz antreiben, die mich kämpfen lassen".

Jetzt also Berlin. Nach Jahren des Schmerzes und 14 Monaten Ringen um das Comeback. Dank enormen Krafttrainings fühlen sich Lisickis Knie jetzt wieder gleich stark an. "Auf dem Platz ist nun wieder alles gut", freut sie sich. Lachend klopft sie schnell dreimal auf Holz. Doch trotz des Aberglaubens lasse sie auf dem Tennisplatz bösen Gedanken und Dämonen keinen Platz: "Ich liebe dieses eins gegen eins. Du musst einfach besser sein als dein Gegenüber an diesem Tag. Egal, wie du es anstellst."

Sabine Lisicki. Die ehemalige Weltklassespielerin, die unbedingt wieder oben angreifen will. Die Kriegerin. "Ich liebe es, rauszugehen und zu kämpfen", sagt sie. "Auch wenn mal ein paar Tränen auf dem Platz fließen: Das ist okay. Das ist ein Teil vom Tennis. Wir spielen dieses Spiel, das unter die Haut geht. Wir lassen unser Herz da draußen."

Quelle: ntv.de

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