
Houle wird bei seinem Sieg besonders emotional.
(Foto: REUTERS)
Mit seinem Bruder schaute Hugo Houle als Kind jedes Jahr die Tour de France. Beide machten Triathlon, als Jugendlicher spezialisierte sich der Kanadier dann. Nun gewinnt er seine erste Etappe. Sein Bruder kann das nicht mehr miterleben: Er wurde 2012 von einem betrunkenen Autofahrer getötet.
Schon Meter vor dem Ziel reißt Hugo Houle die Arme hoch, streckt sichtlich bewegt einen Finger in Richtung Himmel, ehe er jubelnd über die Ziellinie fährt. Der Kanadier vom Team Israel-Premier Tech gewinnt die 16. Etappe der Tour de France. Für ihn ist es der erste Etappensieg - und auch überhaupt ein ganz emotionaler.
"Ich habe noch nie gewonnen, das ist der richtige Ort, mein erstes Rennen zu gewinnen", sagt Houle kurz nach seinem Triumph, ehe er anfängt zu weinen. Unter Tränen fügt er hinzu: "Ich habe diese Etappe für meinen Bruder gewonnen, der gestorben ist. Das ist unglaublich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
178,5 Kilometer ist das Teilstück von Carcassonne nach Foix lang, es ist nach den Ruhetagen die diesjährige Pyrenäen-Premiere. Houle gehört zu einer 29 Mann starken Ausreißergruppe, die aber früh zerfällt. In der Mur de Péguère beweist der 31-Jährige dann seine Kletterkünste und fährt allen davon. Er kämpft sich allein durch, behauptet seine Führung. Mehr eine Minute hat Houle im Ziel Vorsprung vor dem Zweiten, Valentin Madouas (Groupama), auf Platz drei folgt sein Landsmann und Teamkollege Michael Woods. Für Kanada ist Houles Sieg erst der zweite Tageserfolg eines Staatsbürgers bei der Frankreich-Rundfahrt seit Steve Bauer 1988.
"Glücklich, als die Tour kam"
Damals war Houle noch gar nicht geboren, die Tour verfolgt er aber schon als Kind gebannt vor dem Fernseher. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Pierrik. "Als wir jünger waren, lebten wir in einem kleinen Dorf und es gab nicht viel zu tun, aber wir waren glücklich, als die Tour kam", hatte Houle vor Tourstart über die Zeit mit seinem Bruder erzählt. Der ist mehr als nur ein Bruder für ihn, sie sind beste Freunde, machen fast alles gemeinsam und finden sogar einen Sport, der sie zusammen begeistert. Sie fangen mit Triathlon an, sind Trainingspartner - und der jüngere ist der Schnellere. "Er war ein bisschen wie ich, wir sind zusammen zum Sport gegangen. Ich glaube, da war er neun, ich war zwölf. Wir sind zusammen Rennen gefahren, am Anfang war er schneller als ich", erzählte Houle mal laut des Magazins "Peloton".
Als Hugo Houle sich mit etwa 14 Jahren aufs Rad fahren spezialisiert, wechselt auch Pierrik. Aber dann wechselte er zum Fußball, "und ließ das Rad ein bisschen mehr links liegen", erinnert sich Hugo Houle. Für eine Profikarriere reicht es bei Pierrik Houle nicht, der schließlich Polizist werden will. Doch dann geschieht eine Tragödie. Während der Weihnachtstage 2012 geht Pierrik Houle joggen, wird von einem betrunkenen Autofahrer angefahren und getötet.
Zu lange ist der 19-Jährige weg von der Familie, Hugo Houle macht sich auf die Suche nach seinem Bruder - und findet ihn allein auf der Straße liegen. Der Täter hatte Fahrerflucht begangen. "Ich würde sagen, am Anfang hat es mich mehr zerstört. Aber heute sehe ich es so, dass es mich antreibt, weiter hart zu trainieren, um das zu erreichen", sagt Hugo Houle inzwischen.
"Schlimm, dass er das alles nie sehen konnte"
Die Erinnerung an seinen Bruder wird ihn auch auf der heutigen Etappe begleitet haben. Pierrik Houle konnte nie ein Rennen live in Europa verfolgen, sein älterer Bruder dagegen debütierte 2019 bei der Tour de France. "Für mich ist es schlimm, dass er das alles nie sehen konnte. Deshalb möchte ich das unbedingt erreichen, bevor ich aufhöre."
Im vergangenen Jahr ist er bereits ganz dicht dran. Auf der zehnten Etappe fährt er 150 Kilometer in einer Ausreißergruppe, wird aber 40 Kilometer vor dem Ziel eingesammelt. Es reicht damals nicht zum Sieg, aber für die Ehrung als kämpferischster Fahrer. "Ich bin mit dem Ziel zur Tour de France gekommen, eine Etappe zu Ehren meines Bruders zu gewinnen", sagt er 2021. "Mit dem heutigen Kampfpreis bin ich diesem Ziel schon ein Stückchen näher gekommen, zumindest habe ich das Tour-de-France-Podium betreten."
Und jetzt wird der Traum wahr, Houle gewinnt eine Etappe. So wie er es sich und seinem Bruder Pierrik versprochen hat.
Quelle: ntv.de