Erinnerungen an Sabena-Flug 548 Die größte Katastrophe der Eiskunstlauf-Geschichte
01.02.2025, 10:02 Uhr
Keine Überlebenden in den Trümmern.
(Foto: imago/Belga)
Der Absturz des Flugzeugs in Washington schockiert. Vor allem die Eiskunstlauf-Szene steht kurzzeitig still, Ex-Weltmeister und 14 Mitglieder des US-Verbands sterben. Das weckt Erinnerungen an 1961, als bei einer Flugzeugkatastrophe das gesamte US-Nationalteam auf dem Weg zur WM ums Leben kam.
Otto Jelinek hat sie nicht vergessen, all die fröhlichen Gesichter der US-amerikanischen Eiskunstläufer, Trainer und Betreuer. Bis heute nicht, obwohl mittlerweile fast 64 Jahre vergangen sind, seit er sie zuletzt gesehen hat. Wie könnte er sie auch vergessen? Viele kannte er seit Jahren. Sie waren zwar Kontrahenten für den Kanadier, doch sie waren vor allem gute Freunde geworden.
"Ich gehe oft zu Bett und denke daran, dass es mich auch hätte treffen können", sagte er einst in einer Dokumentation des US-Fernsehens. Und bei diesen Gedanken, so Jelinek, kämen in ihm "ein wenig Schuldgefühle auf" - und die Frage, warum sie alle im Flieger gewesen seien und er nicht? Obwohl er doch unbedingt habe dabei sein wollen.
Jelinek gehörte mit seiner Schwester Maria Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre zu den besten Paarläufern der Welt. 1957 und 1958 hatten die Kanadier jeweils WM-Bronze gewonnen, 1960 waren sie Zweite bei den globalen Titelkämpfen geworden - vor den Deutschen Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler.
"So viel Talent in diesem Flugzeug"
Am 14. Februar 1961 stehen die Jelineks zusammen mit 34 Mitgliedern des US-Eiskunstlauf-Verbandes am Idlewild Airport in New York, der zwei Jahre später in John-F.-Kennedy-Flughafen umbenannt werden sollte. Alle wollen zur WM nach Prag fliegen. Sie posieren stolz lächelnd und voller Vorfreude vor der Maschine, die sie über Brüssel in die tschechoslowakische Hauptstadt bringen soll.
Die USA sind in jener Zeit vor allem in den Einzeldisziplinen die überragende Nation. Die Frauen haben die vergangenen sechs WM-Titel gewonnen, die Männer seit 1948 sogar 12 von 13. "Es war eine aufregende Zeit, wir hatten so viel Talent in diesem Flugzeug", sagt Peggy Fleming, Olympiasiegerin von 1968 und dreimalige Weltmeisterin, im Film "Rise".
Die 2011 erschienene Dokumentation erzählt die Werdegänge von talentierten US-Eiskunstläuferinnen und Eiskunstläufern sowie erfolgreichen Trainern. Sie alle eint ein Schicksal: Ihre Leben enden am Morgen des 15. Februar 1961 auf einem Acker in der Nähe des Brüsseler Flughafens. Mit ihnen sterben beim Absturz von Sabena-Flug 548 die 38 weiteren Passagiere und Crew-Mitglieder an Bord, sowie ein belgischer Bauer, der von Trümmerteilen tödlich getroffen wird.
Verspätetes Flugzeug des Trainers rettet kanadisches Paar
Otto und Maria Jelinek zählen nicht zu den Opfern. Kurz bevor sie an Bord gehen wollen, bekommen sie einen Anruf ihres Trainers, dessen Zubringer-Flug nach New York Verspätung hat. "Er hat uns gesagt, dass wir auf keinen Fall ohne ihn fliegen sollen", erinnert sich Jelinek. So bleiben er und seine Schwester in New York und warten auf ihren Trainer, während das US-Team nach Brüssel abhebt. "Wir haben ihnen einen guten Flug gewünscht und gesagt, dass wir uns in wenigen Stunden in Europa wiedersehen werden", so Jelinek.
Sie werden sich nie wiedersehen. Die Absturzursache wird nie geklärt. Es ist die größte Katastrophe in der Geschichte des Eiskunstlaufens. Die WM in Prag wird abgesagt, die USA verlieren eine Generation an Eiskunstläufern und Trainern. "Unser Land hat einen großen Verlust an Talent und Anmut erlitten", schreibt der damalige US-Präsident John F. Kennedy.
Unter den Toten befindet sich Maribel Vinson-Owen mit ihren Töchtern Laurence und Maribel. Vinson-Owen ist neunmalige US-Meisterin im Einzel - ein Rekord, den sie sich bis heute mit der in den 1990ern und 2000ern startenden fünfmaligen Weltmeisterin Michelle Kwan teilt - und gewann zudem Olympia-Bronze 1932. Nach ihrer aktiven Karriere arbeitet sie als erfolgreiche Trainerin. Ihr Vorzeigeschützling ist Tenley Albright. Als die nach ihrem Olympiasieg 1956 ihre Karriere beendet, fokussiert sich Vinson-Owen vor allem auf ihre Töchter.
Die Ältere, Maribel, hat 1960 bei den Olympischen Winterspielen in Squaw Valley mit Partner Dudley Richards Platz zehn im Paarlauf belegt. Die erst 15-jährige Laurence wird Sechste im Einzel. Ein Jahr später gewinnen beide die Titel bei den US-Meisterschaften in Colorado Springs. Bei ihrem Siegerinterview hebt Laurence hervor, dass "die Weltmeisterschaften rund einen Monat entfernt" seien. Dabei lächelt sie so mitreißend wie immer, wenn sie auf dem Eis steht.
"Amerikas aufregendste Eiskunstläuferin"
"Laurence war wie ein frischer Luftzug, überschwänglich, eine Mischung aus Energie und Unschuld. Und sie war die neue, aufkommende Generation", erinnert sich Carol Heiss. Sie tritt nach fünf aufeinanderfolgenden WM-Titeln sowie Olympiagold 1960 zurück und macht somit das Eis frei für Laurence Owen. Die wiederum ziert am 13. Februar 1961 in einem roten Kleid die Titelseite der "Sports Illustrated" und wird dort als "Amerikas aufregendste Eiskunstläuferin" gepriesen. Mutter Maribel kauft tags darauf vor der Busfahrt zum Idlewild Flughafen in New York gleich zehn Exemplare der Ausgabe. Ein halb verkohltes Magazin finden die Rettungskräfte knapp 24 Stunden später auf dem Acker nahe Brüssel.
Zu den Opfern zählt auch Douglas Ramsey. Wie Laurence Owen ist er erst 16 Jahre alt. Die US-Meisterschaften Ende Januar 1961 sind die ersten, die im Fernsehen übertragen werden. Amerika lernt neue, junge, aufstrebende Talente kennen, wie eben diesen Douglas Ramsey, der den Doppelaxel mit verschränkten Armen springt - und im Training auch schon mal mit den Händen in den Taschen.
"Doug war jung und mitreißend, einer mit Flair. Er hatte eine großartige athletische Fähigkeit - und deshalb ein tolles Sprungvermögen", sagt Dick Button. Der Olympiasieger von 1948 und 1952 ist bei den nationalen Titelkämpfen 1961 als TV-Experte vor Ort. Ramsey beendet die Meisterschaften als Vierter. Das ist beachtlich, aber einen Platz zu schlecht für ein WM-Ticket. Da der Drittplatzierte Tim Brown jedoch krank wird, rückt Ramsey nach.
Entschuldigung des erkrankten Sportlers
Auf der Arbeit wird sein Vater am 15. Februar 1961 von einem Kollegen angesprochen, dass im Radio von einem Flugzeugabsturz in Brüssel berichtet worden sei, bei dem es keine Überlebenden gegeben habe. Als die Mutter vom Tod ihres Sohnes erfährt, bricht sie schreiend daheim zusammen. Tage später erhalten die Eltern einen Brief von Tim Brown. Er entschuldigt sich dafür, krank geworden zu sein und somit die Reise zur WM verpasst zu haben.
"Alle, die in dem Flugzeug saßen, haben Einfluss auf unser Leben, auf unseren Eiskunstlauf", betont Peggy Fleming. Sie ist 1961 zwölf Jahre alt und verliert durch die Tragödie ihren Trainer, William Kipp. "Ich machte mich fertig, um zur Schule zu gehen, als meine Mutter mir sagte, dass das Flugzeug abgestürzt sei und niemand überlebt habe. Aber ich war noch zu jung, um zu verstehen, was das alles bedeutete", erinnert sich Fleming. Sie gewinnt 1966 WM-Gold. Es ist der erste Titel für die USA nach der Katastrophe von Brüssel.
Bereits ein Jahr nach dem Unglück wird Otto Jelinek mit seiner Schwester Weltmeister. Es ist sein größter Erfolg. Doch bis heute kann er sich nicht richtig darüber freuen.
Quelle: ntv.de