DHB-Team schießt sich warm Dieses Spiel hätte für Deutschland nicht besser laufen können
26.01.2025, 00:54 Uhr
Marko Grgic schoss sich mächtig warm.
(Foto: picture alliance / Ritzau Scanpix)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft macht aus einem bedeutungslosen Spiel das Beste: Gegen Tunesien holt sich das DHB-Team viel positive Energie. Die ist dringend nötig, denn jetzt wird es ernst.
Der ganz große Druck war von den deutschen Handballern schon mit dem "Endspiel"-Sieg gegen Italien abgefallen, nun wollten sie sich ein Wohlfühlspiel gönnen auf dem Weg zum Viertelfinale am kommenden Mittwoch. Warmschießen, im "Flow" bleiben, kräftig durchwechseln. Aber ein Freundschaftsspiel wolle man nicht aus dem rechnerisch bedeutungslosen Hauptrundenfinale gegen Tunesien machen, hatte Bundestrainer Alfred Gislason gesagt, schließlich "spielen wir für Deutschland". Doch es war dann eben doch nur ein besseres Trainingsspiel, das die überforderten Nordafrikaner dem Medaillenkandidaten anbieten konnten: Mit 31:19 (18:8) überrollte die deutsche Mannschaft den Gegner und es hätte auch noch deutlich höher werden können.
Hinterher waren sie alle zufrieden, wie es gekommen war: "Das war ein rundum gelungener Abend", ordnete Christoph Steinert den Abschied aus Herning ein. In Oslo, wo die Medaillen ausgespielt werden, geht das Turnier nun ganz neu los. "Wir waren sehr konzentriert, uns ist das gelungen, was wir uns vorgenommen hatten", sagte der zufriedene Bundestrainer Alfred Gislason im ZDF: "Wir haben uns nach und nach immer verbessert im Turnier und die Breite des Kaders ausgenutzt." Das DHB-Team fühlt sich nach diesem bedeutungslosen Spiel besser gerüstet als zuvor. "Die Jungs, die auf der Platte waren, können was mitnehmen", sagte Kapitän Johannes Golla. "Wir als Mannschaft können was mitnehmen. Das war für uns ein gelungener Abschied und sehr, sehr wertvoll."
"Katastrophe"
Gislason, der üblicherweise schwer am Spiel seiner Mannschaft mitleidet, selbst wenn es gut läuft, sei heute "sehr entspannt" gewesen. Gewiss, in der ersten Auszeit hatte er noch geschimpft: "Neun technische Fehler in einer Halbzeit sind eine Katastrophe." Echtes Empörungspotenzial bot das Spiel allerdings nicht: "Das war ein sehr gutes Spiel, auch für uns selbst." Die meistgenutzte Vokabel rund um das Spiel war "seriös", genauso hatten sie die Pflichtaufgabe mit Wohlfühlfaktor erledigt. Ein paar Leichtsinnsfehler zu viel waren dabei, aber das sei "alles im Rahmen" gewesen, sagte Zuschauer Johannes Golla, der von der Bank aus den besten Blick auf die Leistung seiner Kollegen hatte.
Gislason hatte wie erwartet seine Vielspieler geschont: Renars Uscins, Johannes Golla, Andreas Wolff und Julian Köster verbrachten die komplette Spielzeit in Trainingsjacken, Gislasons Wille zur Belastungssteuerung trieb sogar kuriose Blüten: In der zweiten Hälfte spielte Linkshänder Lukas Zerbe auf der Rechtshänderposition Linksaußen - und erzielte sogar unter schwersten Verrenkungen ein Tor.
Mit Marko Grgic holte Gislason einen Spieler ins Turnier, der im Turnierverlauf bisher noch nicht recht gezündet hatte - und doch dringend als Entlastung für den viel beschäftigten Julian Köster gebraucht wird. "Wir wollten ein paar Dinge trainieren", sagte Gislason, der den Shooter nahezu durchspielen ließ. Und der Trainer war zufrieden. Auch Grgic hatte Laune: "Ich kann mich nicht beschweren heute. Es war unser Ziel, dass wir das Spiel so früh wie möglich entscheiden", sagte er im ZDF. Schon nach zehn Minuten führte die deutsche Mannschaft mit fünf Toren (9:4). Der Eisenacher produzierte zwar in der ersten Hälfte mehrere Fehler, nagelte aber eben auch satte elf Rückraumraketen rein. "Es gibt uns allen Rückenwind. Ich konnte mir heute ein bisschen Selbstvertrauen zurückholen."
"Sehr, sehr zufrieden"
Vor allem in der Vorrunde schienen sie bisweilen schwer am Druck getragen zu haben, der sie als Favoriten drückte. Auch im entscheidenden Hauptrundenspiel gegen Italien (34:27), wo trotz eines qualitativen Klassenunterschieds unnötig lange am Rande des Desasters gewandelt war, hatte es gedauert, bis die deutschen Olympia-Überflieger die Fesseln lösen konnte. Nun genossen sie das Spiel, auch wenn längst nicht alles klappte. Beim 28:13 betrug der Vorsprung 15 Tore.
Gislason freute sich auch, dass der nachnominierte Hannoveraner Marian Michalczik mit seinem Klubkollegen Justus Fischer einen zuverlässigen Mittelblock gebildet habe. Alles gut? "Ich hatte auch die Hoffnung, dass sich niemand verletzt", sagte Gislason noch. Auch das gelang. "Ich bin sehr, sehr zufrieden mit den Jungs." Um wirklich Dinge auf höchstem Niveau auszuprobieren oder einzuspielen, dafür waren die Tunesier aber schlicht viel zu schwach.
Und wenn sie doch mal durch die deutsche Abwehr kamen oder - ganz selten - oben drüber, dann war da David Späth. Der Torwart schnappte sich die tunesischen Versuche in Serie, zwischenzeitlich stand der U21-Weltmeister bei einer Quote von unglaublichen 69 Prozent. Am Ende waren es noch deutlich über 50 Prozent und auch Späth betonte, wie ungeheuer wichtig es für ihn gewesen sei, aus diesem Spiel so viele positive Emotionen wie möglich mitzunehmen. Mehr kann man von einem Spiel wie diesem nicht verlangen.
Es war viel positive Energie, die der gerupfte Kader gut gebrauchen kann. Mit Juri Knorr, Linksaußen Rune Dahmke und Rückraumspieler Lukas Stutzke haben sich inzwischen schon drei Spieler krank abgemeldet. Erst am Vortag war dann noch die bittere Nachricht vom Ausfall von Pechvogel Franz Semper im Teamquartier eingeschlagen. Der Leipziger war gegen Italien ins Team gekommen, schwang sich aus dem Nichts zum Schlüsselspieler auf - und musste nur wenige Stunden nach dem Spiel verletzt abreisen.
Und dann ist da noch das Bangen um und Hoffen auf Juri Knorr. Der Weltklassespielmacher, ohne den größere Ziele kaum zu erreichen sind, klagte - so berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland - an Atembeschwerden und Brustschmerzen. Knorr befindet sich derzeit weit weg vom Team - in seiner Heimat Bad Schwartau. Ob er zum Viertelfinale zur Mannschaft zurückkehrt, ist ungewiss. Immerhin: "Es sieht eigentlich ganz gut aus bei Juri", sagte der zufriedene Bundestrainer. Eine Nachricht, die zu einem runden Abend passt.
Golla mit besonderem Spiel
Ein großes Spiel der anderen Art erlebte einer, der gar nicht auf der Platte stand. Johannes Golla ist der Anführer der deutschen Handballer, der Kapitän hat mit seinen Mannen schon manches große Spiel geliefert. Golla ist einer, der sich vorne wie hinten Gegner und Ball entgegenwirft, zieht, schiebt, arbeitet, leidet und leiden lässt. Große Triumphe hat Golla auf dem Feld gefeiert, dramatische Niederschläge kassiert. Es waren unvergessliche Momente, bei denen der Kapitän durch die Schlacht leitete.
Doch ausgerechnet sein 100. Länderspiel wird dem Weltklassemann und seiner Bedeutung nicht gerecht: Gegen Tunesien stand der Rheingauer nicht eine Sekunde auf der Platte. Kein Schweiß, kein Blut, kein Kampf. In seinem 100. Länderspiel hätte er "schon gerne ein paar Minuten gespielt", doch wirklich unglücklich war der Hüne nicht. Golla weiß, dass das Turnier jetzt erst richtig beginnt - und das 101. sicher wieder eine dieser Schlachten wird, in denen das DHB-Team ohne ihren Anführer nicht bestehen kann.
Die deutsche Mannschaft besteigt am Sonntag einen Charterflieger und reist nach Oslo. Wenn das DHB-Team dort ankommt, sind ein paar große Teams schon weg: Der olympische Bronzemedaillengewinner Spanien ist genauso schon abgereist, wie der viermalige Weltmeister Schweden. Gastgeber Norwegen muss zuschauen, wie im Herzen der Handball-Nation andere um die Medaillen spielen. Die deutsche Mannschaft dagegen landet in Oslo mit Rückenwind.
Quelle: ntv.de