Letzter Olympischer Fackellauf Diskussion um Abbruch
08.04.2008, 15:14 UhrDer Olympische Fackellauf ist zu einer Farce geworden, und das IOC steht nach den Zwischenfällen in Paris vor einer Zerreißprobe. Mit Empörung, Ohnmacht sowie Unverständnis haben Spitzenfunktionäre aus aller Welt am Rande der olympischen Woche in Peking auf gewalttätige Proteste und die erloschene Flamme in der französischen Metropole reagiert. Aber schon jetzt scheint klar: Die Fackel ist vier Monate vor dem Beginn der Spiele von Peking auf ihrer letzten großen Weltreise. Bereits bei den Winterspielen 2010 in Vancouver soll die Flamme zwar im griechischen Olympia entzündet, danach allerdings nur noch in Kanada laufend zur Schau gestellt werden.
"So kann es nicht weitergehen", schimpfte IOC-Mitglied Sergej Bubka, und IOC-Vizepräsident Thomas Bach gab zu bedenken: "Man muss sehr sorgfältig abwägen. Ein Abbruch würde ein Zurückweichen vor Gewalt bedeuten. Wenn man gegen Gewalt ist, muss man auch gegen Gewalt aufstehen. Je bedrohter eine positive Botschaft ist, umso wichtiger ist sie."
Diskussion um Spießrutenlauf
Intern diskutieren die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komittes (IOC) bereits seit Tagen über einen Abbruch des Spießrutenlaufens nach der Station San Francisco am Mittwoch und eine Wiederaufnahme auf chinesischem Boden ein paar Wochen vor der Eröffnungsfeier. Am Freitag wird die IOC-Exekutive über die nächsten Schritte des 137.000 Kilometer langen und von Chinesen als "Reise der Harmonie" angepriesenen Fackellaufs entscheiden - die Abschaffung der internationalen Route bei zukünftigen Spielen gilt als beschlossene Sache.
"Ich beteilige mich nicht an Spekulationen", sagte IOC-Präsident Jacques Rogge, "ein wichtiges Symbol ist attackiert worden, und ich bin sehr traurig, für die Athleten und die Menschen, die sich darauf gefreut haben." Für das australische IOC-Mitglied John Coates wäre eine Unterbrechung das falsche Signal: "Das ist, als ob man dem Terrorismus nachgeben würde." Das Pekinger Organisations-Komitee BOCOG ist Veranstalter des Fackellaufs.
Inszenierung mit Propaganda-Potenzial
Vor den Spielen 2004 in Athen war die Flamme erstmals auf Welttour geschickt worden. Das vermeintlich emotionale Schauspiel ist inzwischen zu einer weltweiten Inszenierung mit riesengroßem Propaganda-Potenzial gewachsen. Eine weitere Störung der "symbolischen Friedensbotschaft" müsse unter allen Umständen verhindert werden, so der offizielle Tenor der 205 in Peking anwesenden Nationalen Olympischen Komitees (NOK), aber das PR- Desaster für die chinesischen Olympia-Macher und die Sponsoren ist vier Monate vor der Eröffnungsfeier längst perfekt.
Der deutsche Bundestag wird am Donnerstag über die Lage debattieren. Als "peinliches Schauspiel" kritisierte DOSB- Ehrenpräsident Manfred von Richthofen den Fackellauf. "Beide Seiten tun einem eigentlich leid, und man fragt sich, ob dieser Fackellauf einen Sinn hat in der Vorbereitung der Olympischen Spiele", sagte von Richthofen, der vom Sportausschuss als Experte eingeladen wurde, dem Deutschlandfunk.
China um Schadensbegrenzung bemüht
China hat für seine Staatsspiele mindestens 30 Milliarden Dollar und sein ganzes Prestige investiert. Das Politbüro der chinesischen KP will sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Dementsprechend wuchtig lief die Kampagne zur Schadensbegrenzung an. Eine "Handvoll" Unruhestifter habe in Paris der Mehrheit prochinesischer Zuschauer gegenüber gestanden, die mit teilweise sogar selbst genähten chinesischen Nationalflaggen freudig dem Olympischen Feuer zugejubelt hätten, berichteten Chinas Zeitungen.
Schon seit Wochen werden die Kritik an China und die Proteste der Tibeter als Verschwörung antichinesischer Kräfte dargestellt, die den Aufstieg Chinas als politische und wirtschaftliche Macht verhindern wollten. Solche Töne kommen im patriotischen Volk gut an. Die Vorwürfe über "voreingenommene Berichterstattung" ausländischer Medien werden von Chinesen meist ungeprüft übernommen. Auch die Satellitenübertragung des US-Nachrichtensender CNN oder der europäischen TV-Station Eurosport über die Zwischenfälle in Paris wurden häufig zensiert. Waren kritische Stimmen zu hören, verschwand der Ton und der Bildschirm wurde schwarz.
Hooliganismus und Zirkus
Nachdem die Unruhen beim Fackellauf in Paris eine neue Stufe der Eskalation erreicht hatten und die Flamme sogar für 20 Minuten erloschen war, machte sich beim nächsten Gastgeber USA schon vor der Ankunft des "gestürzten Symbols" (L'quipe) in San Francisco Alarmstimmung breit. Am Mittwoch wird die Fackel auf seiner einzigen US-Station präsentiert. Peter Ueberroth, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der USA (USOC), reiste früher als vorgesehen aus Peking ab und soll nach dpa-Informationen sogar ein Krisen-Telefonat mit US-Präsident George Bush geführt haben. Ueberroth erwarte, so Bach, "eine Mischung aus Hooliganismus und Zirkus."
"Wir machen uns Sorgen, aber wir hoffen auf die Vernunft der Menschen", erklärte USOC-Generalsekretär Bill Scherr, "es ist einfach furchtbar unangemessen, dass der Fackellauf so beeinträchtigt wird." Jacob Gbeti, Präsident des NOKs der Zentralafrikanischen Republik nannte die Zwischenfälle in Paris "eine Schande". "Der Fackellauf wurde beschmutzt, und wir bedauern sehr, dass dies im Land von Pierre de Coubertin geschehen ist", so Gbeti.
Recht auf friedlichen Protest
Das spanische IOC-Mitglied Juan-Antonio Samaranch Jr. prophezeite ein "Schlimmerwerden der Ereignisse in den kommenden Wochen". Ein Ende der Unruhen ist nicht in Sicht und die erhoffte Wende des IOC bei der moralischen Legitimierung der Vergabe der Spiele an Peking wurde durch die jüngsten Zwischenfälle erneut zumindest empfindlich gestört. "Wir respektieren das Recht eines friedlichen Protests, aber die Fackel hat auch das Recht, friedlich herumgereicht zu werden", hieß es in einer IOC-Pressemitteilung. The games must go on, aber Zuversicht hört sich anders an.
Von Sven Busch, dpa
Quelle: ntv.de