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Embiid muss wieder unters Messer Eigener Körper lässt den Dominator brutal im Stich

Joel Embiid (unten) im Spiel gegen die Golden State Warriors.

Joel Embiid (unten) im Spiel gegen die Golden State Warriors.

(Foto: USA TODAY Sports via Reuters Con)

Joel Embiid spielt eine der individuell besten Saisons der NBA-Historie. Niemand vermag es, den gefürchtetsten Center der Liga aufzuhalten - bis ihn sein eigener Körper im Stich lässt. Jetzt müssen die Titelanwärter aus Philadelphia lange ohne den wertvollsten Spieler auskommen.

Das Wells Fargo Center in Philadelphia stand kopf. Joel Embiid stand am Spielfeldrand, von oben bis unten durchtränkt nach der feierlichen Wasserdusche seiner Teamkollegen. Der Superstar der Philadelphia 76ers hatte soeben gegen San Antonio eine One-Man-Show für die Ewigkeit abgeliefert: 70 Punkte und 18 Rebounds, bei 24 von 41 Wurfversuchen aus dem Feld und 21 von 23 Treffern von der Freiwurflinie.

Mindestens 70 Punkte in einem NBA-Spiel gelangen bisher nur Wilt Chamberlain, Kobe Bryant, David Thompson, Luka Dončić, David Robinson, Elgin Baylor, Donovan Mitchell, Devin Booker und Damian Lillard. Chamberlain hält weiterhin den absoluten Rekord: am 2. März 1962 erzielte der legendäre Center für die Philadelphia Warriors (heute Golden State Warriors) 100 Punkte gegen die New York Knicks. Er ist auch der einzige Spieler, der mehrfach 70+ Punkte erzielt hat (insgesamt sechsmal).

Embiid brach jedoch Chamberlains Franchise-Rekord (68 Punkte), der seit 1967 Bestand hatte, legte als einziger NBA-Spieler in über 60 Jahren 70 Punkte und 15 Rebounds auf, und schaffte das Kunststück in gerade einmal 37 Minuten Einsatzzeit. "Es ist toll, in diesen Sphären zu agieren, aber das bedeutet alles nicht so viel, wenn du den Titel nicht gewinnst", sagte der Center nach dem besten Spiel seiner Karriere. "Der Diskurs ändert sich, erst dann sehen die Leute etwas anderes in dir. Dafür arbeite ich."

Schock für Philly und Embiid

Nur knapp eine Woche nach der Glanzleistung dann die Hiobsbotschaft für Embiid. Offizielle Diagnose: Meniskusschaden. Vergangenen Dienstag musste Embiid unters Messer, das Team gab in einem Statement bekannt: "Joel Embiid hatte heute einen erfolgreichen Eingriff, um eine Verletzung des lateralen Meniskus im linken Knie zu beheben. Wir werden ihn in etwa vier Wochen erneut bewerten." Wie lange der 29-jährige Superstar genau ausfallen wird, ist noch unklar. Erst in einem Monat wird Klarheit darüber herrschen, ob und wann der Center zurückkehren kann.

Immer mal wieder hatte Embiid auch in dieser Saison hier und da eine Partie ausgesessen, war jedoch größtenteils (für seine Verhältnisse) relativ gesund geblieben. Eine Knieschwellung und zunehmende Schmerzen direkt nach seiner 70-Punkte-Gala verschlimmerten sich, als Embiid Ende Januar - ob auf Anraten der Team-Doktoren oder seines eigenen Beraterstabes - wohl zu früh, so muss man heute urteilen, aufs Parkett zurückkehrte.

Der Druck, die Mindestanzahl an Spielen gehen zu müssen, um für individuelle Auszeichnungen berücksichtigt zu werden, dürfte mit Sicherheit auch hineingespielt haben in die kollektiven Entscheidungen bei den 76ers. Seit dieser Spielzeit müssen Profis mindestens 65 der insgesamt 82 regulären Partien absolviert haben, um für MVP & Co. infrage zu kommen. Nach zwei verpassten Partien gegen Denver und Portland stand der Kameruner am 30. Januar gegen Golden State wieder auf dem Parkett - und verletzte sich folgenschwer, als Jonathan Kuminga kurz vor Schluss auf sein Knie fiel.

Lichtgestalt: Joel Embiid.

Lichtgestalt: Joel Embiid.

(Foto: AP)

Ohne Embiid ändert sich vieles in Philly. Eigentlich alles. Nicht nur spielerisch, auf dem Parkett, in Angriff und Verteidigung. Sondern auch personell. Niemand kann ansatzweise seine Produktivität, seine schiere Präsenz ersetzen. Seine Backups auf der Center-Position, Paul Reed und Mo Bamba, zählen zu den schlechteren in der Liga. Auch unter dem eigenen Korb ist Embiid dank seiner Größe, Beweglichkeit und furchteinflößenden Präsenz unersetzlich. "Wo kriegen wir jetzt all die Offense her?", haderte Sixers-Coach Nick Nurse vor wenigen Tagen mit dem Schicksal. "Und hinten fehlt uns seine Rim Protection, er hielt uns immer den Rücken frei. Wir müssen jetzt an beiden Enden alles umstellen, ohne ihn. Das wird hart."

Eine Saison für die Geschichtsbücher

Tatsächlich wäre an Embiid als MVP und Topscorer der Liga wohl auch in dieser Saison kein Weg vorbeigegangen. Selbst in dieser modernen NBA, in der Rekorde im Wochentakt purzeln, stach ein nochmals verbesserter Embiid durch nie dagewesene Heldentaten hervor. Er vermochte vielleicht nicht 50 Punkte im Schnitt erzielen wie einst "Wilt the Stilt", aber Embiids 35,3 Punkte pro Abend in nur 34 Minuten Einsatzzeit waren gleichauf mit Chamberlains ewiger Bestmarke: ausschließlich die beiden Titanen haben jemals mehr als einen Punkt pro Minute zustande gebracht (1,04).

Auf 100 Angriffe normiert zerschmetterten Embiids 50,4 Punkte die bisherige Bestmarke von James Harden. Zur Einordnung: Chamberlains Bestwert war 38 Punkte, Michael Jordans 46,4, Kobe Bryants 45,6, und der bisherige Rekord von Harden lag bei 48,2. Unglaubliche 22 Partien in Folge gelangen Embiid 30 Punkte oder mehr. Das schafften zuvor nur Chamberlain und James Harden. Lässt man die verletzungsgeplagte letzte Partie gegen Golden State außen vor, erzielte Embiid in 24 seiner bisher letzten 25 Partien mindestens 30 Zähler und stand dabei nur ein einziges Mal mehr als 40 Minuten auf dem Parkett. Das ist kaum begreifbare Effizienz.

Er kreiert einen Großteil der Offense für Philly. Nicht nur für sich selbst, sondern mittlerweile auch für das gesamte Team. Seine Verbesserung als Initiator und Spielmacher, vor allem als Passgeber, ist offensichtlich. Seine 39-prozentige Nutzungsrate ist die dritthöchste hinter Russell Westbrook und James Harden. Hinten verankert er die Defensive und gibt Philadelphias bisweilen aggressiv-riskanter Ballverteidigung den nötigen Rückhalt. Philly wies in seinen bisher 1157 Minuten auf dem Parkett den besten Angriff, die zweitbeste Verteidigung und ein absurdes Net-Rating von +10,1 Punkten pro 100 Ballbesitzen auf. 26 Siege aus 34 Partien mit ihm waren gleichbedeutend mit der besten Erfolgsbilanz der NBA.

Ende aller Titelhoffnungen?

Ohne Embiid sieht es düster aus für Philadelphia. Seine erneute Verletzung hat viele Fragen aufgeworfen. Eine brillante Saison, sowohl individuell als auch kollektiv, droht einmal mehr aus den Fugen zu geraten. Alle persönlichen Ehrungen - und wir wissen jetzt mit Sicherheit, dass Embiid heuer weder MVP noch Scoring-Titel noch All-NBA Ehren abräumen kann - mal außen vor: Der 29-Jährige hatte seinen Fokus längst auf die Playoffs gelegt, wohlwissend, dass es nur dort am Ende wirklich zählt, nur dort wahre Legenden verewigt werden. Bisher blieb Embiid den Beweis seiner Championship-Tauglichkeit stets schuldig: Auch nach acht Jahren hat es der Big Man nie in die Conference Finals geschafft. Nur drei MVPs in der Geschichte der NBA haben nie die Finals erreicht: Steve Nash, Derrick Rose, und eben Embiid.

Natürlich spielen auch hier Verletzungen eine tragende Rolle. Immer wieder hatte der Star der 76ers mit Knieproblemen zu kämpfen. Seine ersten beiden NBA-Saisons verpasste er komplett, in seinem dritten Jahr absolvierte er nur 31 Partien. Im Februar 2017 riss der Meniskus in seinem linken Knie. 2019 verpasste er mit Knieproblemen das Ende der Saison. 2021 verpasste er mit einer Knieprellung mehr als 20 Partien. In den Playoffs 2021 riss der Meniskus in seinem rechten Knie. Das ist immens viel Verschleiß für einen 130-Kilo-Koloss. Ganz Philly hofft, dass die neueste Prozedur perfekt verläuft und Embiid im März wieder schmerzfrei ist. Im schlimmsten Fall jedoch - sollte der beschädigte Meniskus etwa nicht ideal verheilen oder die Komplikationen anhalten - droht sogar eine Folge-OP und dann vier bis sechs Monate Pause für den amtierenden MVP und Topscorer.

Die 76ers müssen sich in den kommenden Wochen irgendwie über Wasser halten. Ohne seinen Fixstern droht der Titelanwärter abzusaufen: eine 4-13 Bilanz in dieser Saison, acht der letzten neun Partien verloren, und nur noch zwei Siege von den Play-In Rängen im Osten entfernt. Präsident Daryl Morey zeigte sich während der Trading Deadline in dieser Woche aggressiv, krempelte den Kader etwas um, verpflichtete unter anderem den Elite-Schützen Buddy Hield. Dazu räumte er Platz frei, um bald auf dem "Buyout-Markt" verfügbare Veteranen aufzunehmen.

Der Plan sieht vor, dass Jungstar Tyrese Maxey das Team auch ohne Embiid einigermaßen stabilisiert, und sie dann in der Schlussphase der Saison durchstarten in Richtung Playoffs - mit einem fitten, schmerzfreien und ähnlich dominanten Joel Hans Embiid. Noch glauben sie in der Stadt der brüderlichen Liebe ans Best-Case-Szenario. Es wäre das erste Mal seit Langem, dass das für Embiid und die Sixers auch tatsächlich eintritt ...

Quelle: ntv.de

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