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Großer Emotionen, großer SiegEin Davis-Cup-Drama wie einst bei Becker und Stich

21.11.2025, 13:14 Uhr
imageVon Till Erdenberger
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Alexander Zverev und das deutsche Davis-Cup-Team durften feiern - und haben noch viel vor. (Foto: picture alliance / SIPA)

Deutschland darf vom ersten Davis-Cup-Triumph seit 1993 träumen: In einem dramatischen Duell behielt das DTB-Team gegen Argentinien die Oberhand. Und könnte sogar Alexander Zverev noch sehr glücklich machen.

Was waren das für legendäre Tennis-Schlachten, die das deutsche Davis-Cup-Team in den großen Jahren rund um 1990 geschlagen hat. Unvergessen das Marathon-Duell gegen die USA in Hartford 1987, als der junge Boris Becker tief in der deutschen Nacht den großen JohnMcEnroe nach knapp sieben Stunden mit 4:6, 15:13, 8:10, 6:2, 6:2 niederrang und damit im entscheidenden Match den dritten Punkt zum Sieg holte. Oder das Drama von Graz, als der österreichische Vorkämpfer Thomas Muster Michael Stich in fünf Sätzen zum 2:2 zermürbte - um dann mitansehen zu müssen, wie sein Team wegen einer Niederlage von Horst Skoff gegen Marc-Kevin Goellner doch noch ausschied. Es waren Zeiten, als Zehntausende in den großen Arenen Radau machten und Millionen daheim vor dem Fernseher mitzitterten.

Der Davis Cup ist längst nicht mehr dasselbe wie früher, als entfesselte Massen für kochende Arenen und epische Tennis-Dramen sorgte. Doch das DTB-Team schrieb jetzt, mehr als 30 Jahre nach dem letzten Triumph im traditionsreichen Mannschafts-Wettbewerb mal wieder eine große Geschichte. Und jetzt scheint der Weg bereitet für den ganz großen Coup!

"Keine Stimme mehr"

2:1 gewann die deutsche Mannschaft beim Finalturnier der besten acht Mannschaften in Bologna ihr Viertelfinale gegen Argentinien. Es war schon tief in der Nacht, als das Doppel Kevin Krawietz/Tim Pütz einen ewigen dritten Satz, das Match gegen das Weltklassedoppel Andres Molteni/Horacio Zeballos und damit das Duell gewannen. Nach dem 4:6, 6:4, 7:6 (12:10) brachen alle Dämme: "Ich habe keine Stimme mehr", sagte der deutsche Tennisstar Alexander Zverev in ganz tiefem Ton und mit leichtem Lächeln, "es ist, als hätte ich Party in einem Club gemacht."

Der in dieser Saison arg gebeutelte Zverev hatte zuvor mit einem beeindruckenden 6:4, 7:6 über Angstgegner Francisco Cerundolo die Auftaktniederlage von Jan-Lennard Struff (6:7, 6:7 gegen Tomas Martin Etcheverry) repariert - und musste dann im entscheidenden Match auf der Tribüne mehr leiden als zuvor auf dem Court: Zwischen den entscheidenden Punkten vergrub Deutschlands Nummer eins den Kopf immer wieder sekundenlang zwischen den Knien. "Es gibt nicht so viele Matches wie dieses in einer Karriere", sagte Pütz, der den Matchball mit einem Vorhand-Passierschlag auf den hintersten Zentimeter der breiten Grundlinie verwandelte.

"Ich habe gar nichts mehr verstanden", sagte Zverev über den Tiebreak seiner Teamkollegen, "ich bin einfach nur glücklich, dass wir gewonnen haben." Zuvor hatte Zverev, der in dieser Saison mit zahlreichen Enttäuschungen, Rückschlägen und Verletzungen zu kämpfen hatte, gelöst mit der deutschen Flagge über den Schultern auf dem Court getanzt.

Topstars fehlen

6:3 hatten Krawietz und Pütz im Tiebreak schon geführt, vergaben aber alle drei Matchbälle - und standen in der Folge zweimal selbst einen Punkt vom Abgrund entfernt. Vor allem die argentinischen Fans sorgten in der Halle, immer wieder wild angefeuert aus der argentinischen Teambox, für Stadionatmosphäre. Oder eben Davis-Cup-Atmosphäre, wie sie früher einmal war. Fast: Es sei "ein bisschen schade", dass beim Doppel nachts nur noch "maximal 1.000 Menschen im Stadion" gewesen seien, so Zverev. "Wenn wir in Argentinien oder Deutschland gespielt hätten, wären da vielleicht 15.000 Menschen." So oder so: Am Ende waren es die Deutschen, die jubeln durften. Auch wie früher.

Zuletzt hatte eine deutsche Mannschaft 1993 den wichtigsten Teamwettbewerb im Tennis gewonnen, Stich, Goellner und Patrick Kühnen schlugen im Finale Australien mit 4:1. Seitdem rennt man dem Triumph hinterher - und nie standen die Chancen auf das Ende der ewigen Durststrecke so gut wie in diesem Jahr: In Abwesenheit des unschlagbaren Topstars Carlos Alcaraz ist Deutschlands Halbfinalgegner wahrlich kein Überteam mehr. Auch den an Position 1 gesetzten Italienern, die im zweiten Halbfinale gegen Außenseiter Belgien spielen, ist mit Jannik Sinner ihr Topspieler abhanden gekommen. Argentinien mit den Etcheverry (Rang 60), Cerundolo (21) und den Weltklassedoppelspielern Molteni und Zeballos könnte schon das Nadelöhr auf dem Weg zum Titel gewesen sein.

Dass in der entscheidenden Phase des Wettbewerbs inzwischen nur noch zwei statt zuvor vier Einzel und ein Doppel über maximal drei statt einst fünf Sätze gespielt werden, ist für die deutsche Mannschaft ein Vorteil. Das Doppel ist ein Punktegarant und ein Zverev, der sich körperlich auf der letzten Rille in Richtung Urlaub schleppt, ist ohne Zweifel der beste unter allen in Bologna noch vertretenen Spielern. Wenn der Körper hält.

Im vergangenen Jahr hatte die deutsche Mannschaft, angeführt von Routinier Struff, das Halbfinale erreicht. Starspieler Zverev, dem es sichtbar viel bedeutet, für Deutschland und sein Team Punkte zu holen und zu feiern, ist der X-Faktor. Der Schlüssel zu mehr.

"Nicht mehr viel Zeit"

Zverev selbst hasst das neue Format, das hatte er vor dem Start des Finalturniers überaus deutlich gemacht: Ein "Showturnier" sei die Veranstaltung auf neutralem Boden, schimpfte der Hamburger, der als einziger Spieler aus den Top10 in Bologna am Start ist. "Ich spiele, weil die Jungs mich gebeten haben", hatte der 28-Jährige kurz nach seinem enttäuschenden Vorrunden-Aus bei den ATP Finals in Turin gesagt. Das Team habe von der Altersstruktur her "nicht mehr viel Zeit" für den Coup, meinte er: "Und dann habe ich halt gesagt: Okay, dann spiel' ich halt einmal."

Noch vier Tage, dann ist die Saison vorbei. Und am Ende könnte der ganz große Coup für Deutschland stehen. Und dann wird auch Alexander Zverev das für ihn persönlich "unglaublich unbefriedigende" Jahr doch noch mit einem Triumph beenden, an den man sich irgendwann noch einmal gut erinnern wird.

Quelle: ntv.de

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