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Zum Tod von Wunderläufer Kiptum Ein Himmelsstürmer, der dem Magischen so nahe war

Kiptum, der Himmelsstürmer, verzückte die Laufszene.

Kiptum, der Himmelsstürmer, verzückte die Laufszene.

(Foto: AP)

Die Leichtathletik-Welt verliert mit Kelvin Kiptum einen steil aufstrebenden Star, der das ganz Große noch vor sich hatte. Über die große Trauer in Kenia spricht Deutschlands Vize-Europameister Hendrik Pfeiffer. Der 24-jährige Kiptum hat gezeigt, dass das Unmögliche doch möglich sein kann.

Es gibt Nachrichten, die muss man zweimal lesen, um sie zu glauben oder auch nur annähernd zu begreifen. Vielleicht auch eher drei- oder viermal. So wie an diesem Sonntagabend, als plötzlich die Eilmeldung in das heitere Super-Bowl-Vorgeplänkel platzt: Kelvin Kiptum ist tot. Bitte, was?

Und doch ist sie wahr: Der Marathon-Weltrekordler wurde aus dem Leben gerissen. Mit gerade einmal 24 Jahren. Laut Polizeiangaben verlor er in der Nähe des Ortes Kaptagat in Kenia die Kontrolle über seinen Wagen, krachte gegen einen Baum und landete in einem 60 Meter entfernten Graben. Die Bilder der Unfallstelle sind schlimm genug. Kiptum und sein Trainer Gervais Hakizimana, der neben ihm saß, waren auf der Stelle tot. Eine Frau, die auf der Rückbank saß, wurde mit schweren Verletzungen in ein örtliches Krankenhaus gebracht. In der Nacht von Sonntag auf Montag bestätigte Kenias Sportminister den Unfall. Kelvin Kiptum ist tot.

Es ist ein tragisches, ein kaum zu begreifendes und viel zu frühes Ende eines Sport-Stars und vor allem eine Tragödie für seine Frau und die gemeinsamen zwei Kinder, seine Familie, Freunde, Kenia und die Sportwelt.

An der Unfallstelle haben viele Trauernde sich versammelt.

An der Unfallstelle haben viele Trauernde sich versammelt.

(Foto: REUTERS)

Über das ostafrikanische Land, das eine große Laufnation ist, legte sich so etwas wie Staatstrauer. Präsident William Ruto reagierte mit Bestürzung. "Kiptum war unsere Zukunft", schrieb er bei X, ein "außergewöhnlicher Sportler", der "auf der ganzen Welt eine außergewöhnliche Spur hinterlassen" hatte. Kenias Marathon-Superstar Eliud Kipchoge kondolierte via Social Media. "Ich bin zutiefst betrübt über den tragischen Tod des Marathon-Weltrekordhalters und aufstrebenden Stars."

Pfeiffer berichtet von "riesigem Schock"

Wie groß die Trauer in Kenia ist, berichtet Deutschlands Vize-Europameister mit dem Team, Hendrik Pfeiffer. Der 30-Jährige trainiert momentan in dem legendären Laufort Iten für die Frühjahrssaison. "Es ist eine tragische Nachricht, die die Menschen hier sehr stark beschäftigt, es ist überall ein sehr großes Gesprächsthema, auch bei Nicht-Läufern", schildert er im Gespräch mit ntv.de/sport.de. In den vielen Trainingsgruppen sei die Anteilnahme am Schicksal Kiptums enorm. Der Tod des Marathonläufers sei ein "riesiger Schock, der das ganze Land getroffen hat". Trainingskollegen berichten Pfeiffer, dass es in den kommenden Tagen viele Trauer- und Gedenkfeiern geben werde.

Der Unfall löste bei Pfeiffer auch ein mulmiges Gefühl aus, weil er mit seinen Trainingspartnern noch am Sonntag nur wenige Kilometer von der Stelle des Unfalls und der Heimat Kiptums einen Long Run gelaufen sei. "Es ist ein trauriger Tag in Kenia", so Pfeiffer.

Die Geschichte von Kiptum wird nun vermutlich auch als ein großes "Was wäre, wenn …" in der Sportwelt fortgeschrieben. Denn der Laufstar war das größte Talent seit Kipchoge, der ebenfalls aus Kenia stammt. Sein legitimer Nachfolger war das größte Versprechen auf magische Zeiten, von denen man früher nur geträumt hätte. "Kelvin Kiptum hinterlässt eine Riesenlücke. Gerade weil er der Mann war, der die Zwei-Stunden-Marke brechen sollte oder bei dem es am wahrscheinlichsten war", sagt Pfeiffer.

Zwei-Stunden-Schallmauer bleibt unangetastet

Erst im Oktober lief Kiptum in Chicago die schnellste Zeit, die jemals auf einer offiziellen Strecke gerannt wurde. Ein Fabel-Weltrekord. Nur noch 35 Sekunden fehlten zur Zwei-Stunden-Marke. Diese Zwei-Stunden-Schallmauer ist eine der letzten magischen Grenzen und Barrieren, die es im Sport noch gibt. Vielleicht die magischste. Gerade, weil sie lange so unerreichbar schien.

Und alle Experten waren sich einig - es sei nur eine Frage der Zeit, bis dieser junge Mann diese magische Marke, die letzte Bastion des Unmöglichen, zerbersten lassen würde. Daran gab es so gut wie keine Zweifel. Vielleicht schon im Frühjahr. Im niederländischen Rotterdam wollte Kiptum mal wieder auf Rekordjagd gehen, die nächste irre Bestzeit auf den Asphalt knallen. Vielleicht wäre es auch erst im Herbst oder 2025 so weit gewesen. Ja, was wäre, wenn ...

Und im Sommer 2024 stand ein Duell auf dem Plan, das das Zeug für einen epischen Kampf um Gold hatte. Und das Potenzial, das olympische Dorf zu elektrisieren. In Paris wollten sowohl Kipchoge als auch Kiptum den olympischen Marathon laufen. Kurs und Bedingungen (Hochsommer, keine Pacemaker) hätten eine Rekordhatz verhindert. Es wäre ein klassisches Duell Mann gegen Mann gewesen. Die alte Erzählung: Jung gegen Alt. Herausforderer gegen Titelverteidiger. Wer ist schneller? Was wäre, wenn ...

Steiler Aufstieg - bis zum Weltrekord

Der Aufstieg von Kiptum an die Spitze war gigantisch: steil, schnell und zum Augen reiben. Der Chicago-Lauf war erst der dritte offizielle Marathon seiner Karriere. Schon die beiden zuvor in London (2:01:25 Stunden) und Valencia (2:01:53 Stunden) ließen aufhorchen. In seinem allerersten Marathon in Spanien schoss er sofort an die Weltspitze, in London kratzte er direkt am Weltrekord - und überraschte damit die Lauf-Szene. Drei der sechs schnellsten Marathon-Läufe aller Zeiten stammten binnen kürzester Zeit nun von ihm. Das hatte die Laufwelt bis dahin nicht erlebt.

Lange Zeit trainierte Kiptum alleine in der Nähe seiner kenianischen Heimat im Rift Valley. Schon als Kind soll er sich Laufgruppen angeschlossen und mit 13 an einem Halbmarathon teilgenommen haben. 2019 wagte er den Schritt nach Europa. Lange Zeit trainierte er ohne offiziellen Coach.

Und klar - wer so gigantisch aufsteigt, der produziert auch Fragezeichen. Das ist heutzutage unausweichlich. Zu viele schwarze Schafe hat die Leichtathletik bisher gesehen. Und trotzdem. Nach allem, was man weiß, hat sich Kiptum nichts zuschulden kommen lassen. Mit den neuen Carbon-Wunderschuhen von seinem Ausrüster hatte er das bestmögliche Material. Aber all das ist ohne das entsprechende Talent nutzlos. Wunderläufer und Wunderschuhe, zusammen mit dem kolportierten harten Trainingsprogramm mit bis zu 300 Laufkilometern in der Woche. Es war die perfekte Mischung.

Kipchoge hat Kiptum den Weg geebnet

Kiptum etablierte eine scharfe Taktik, die ihresgleichen suchte. Der Youngster legte immer wieder einen negativen Split hin. Heißt: Den zweiten Teil des Marathons rannte er deutlich schneller als den ersten. Besonders die Abschnitte zwischen Kilometer 30 und 40. Spätestens dann ließ er die hoffnungslos unterlegene Konkurrenz hinter sich und stürmte zum Sieg.

Und so hatte sich die Wachablösung an der Marathon-Spitze 2023 nicht nur stark angedeutet, sie hatte wohl schon stattgefunden. Während Kipchoge auf einmal nicht mehr unbesiegbar war, steigerte sich sein Landsmann einfach immer weiter. Der 39-jährige Kipchoge hatte die vergangenen Jahre im Marathon dominiert und Kiptum den Weg geebnet.

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Kipchoge war es auch, der die Zwei-Stunden-Marke 2019 in Wien schon mal knackte - unter Laborbedingungen, also unter anderem mit wechselnden Tempomachern und künstlichen Windschatten - lief er sensationelle 1:59:40 Stunden. Anerkannter Rekord ist dieser Lauf daher nicht. Es schien so, als sei dieses Kunststück seinem Nachfolger Kiptum vorbehalten zu sein.

Denn die Zukunft stand dem Himmelsstürmer ja noch offen, sie hatte doch gerade erst begonnen. Sie ist viel zu früh vorbei.

Quelle: ntv.de

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