Sport

Mythos Tour de France Eine Liebeserklärung an den Radsport

Jan Ullrich gewann bisher als einziger Deutscher die Tour de France. Doping-Gerüchte verfolgen auch ihn.

Jan Ullrich gewann bisher als einziger Deutscher die Tour de France. Doping-Gerüchte verfolgen auch ihn.

Kritiker behaupten, dopingfreier Radsport sei eine Illusion. Den Fans am Straßenrand scheint das egal. Bei der nun startenden 98. Tour de France wollen sie Ruhe haben und den Radsport so sehen, wie er eigentlich sein sollte: als Kampf, Mann gegen Mann und gegen die Natur. Ist das naiv?

Stell dir vor, es ist Fußball-WM und keinen interessiert’s. In Deutschland kaum vorstellbar, in Frankreich die nächsten Wochen Normalität. Der rollende Ball auf grünem Rasen verkommt zur Nebensache, wenn die Tour de France ansteht und sich die Protagonisten unmenschlich erscheinenden Herausforderungen wie Plateau de Beille, Galibier oder Alpe d’Huez stellen. Der "Mythos Tour" erwacht zum Leben, zum 98. Mal.

Eufemiano Fuentes: Gynäkologe, Wissenschaftler und Doping-Strippenzieher im Radsport

Eufemiano Fuentes: Gynäkologe, Wissenschaftler und Doping-Strippenzieher im Radsport

(Foto: picture alliance / dpa)

Und wie in den vergangenen Jahren bereits auch, gibt es vor dem Start der Tour die große Doping-Runde. Die Medien berichten über mögliche neue Doping-Fälle. Sie wühlen in der dunklen Vergangenheit des Radsports und versuchen sie in die Gegenwart zu retten. Das erscheint zunächst logisch, denn dopingfreier Radsport erscheint selbst hartgesottenen Fans als Illusion. Dennoch: Der Sport, das menschliche Kräftemessen auf dem Rad? Nebensache - zumindest was den Großteil der Medienberichterstattung vor dem Start der Rundfahrt angeht.

Seit mindestens 2006 ist das so, als mit der "Operacion Puerto" ein Skandal den Radsport in seinen Grundfesten erschütterte. Ein spanischer Gynäkologe mit Namen Eufemiano Fuentes und seine Machenschaften rund um das Thema Blutdoping sorgten dafür, dass mehrere Top-Stars der Szene, etwa auch Jan Ullrich und Ivan Basso, bei der Tour nur zuschauen durften. Das ist das, was von damals hängen geblieben ist. Oder fällt Ihnen auf Anhieb der Sieger der Frankreich-Rundfahrt 2006 ein?

Länger, schneller, härter

Die Zeitungen erhoffen sich von pünktlich vor großen Radrennen wie dem Giro d'Italia oder der Tour France lancierten Meldungen rund um das Dauerthema "Doping im Radsport" höhere Auflagen. Das ist auch der Grund, warum es die Tour de France überhaupt gibt: 1903 ruft Henry Desgrange sie ins Leben, um die Auflage der Zeitung "L'Auto" anzukurbeln. Mehr als 2400 Kilometer ist die Rundfahrt lang und verbindet in sechs Etappen die Städte Paris, Lyon, Marseille, Toulouse, Bordeaux und Nantes. Etappenlängen von 400 Kilometer machen das Radrennen zur laut "L'Auto" "größten radsportlichen Prüfung in der ganzen Welt".

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Rundfahrt ist nur länger, schneller und härter geworden. Und statt zu Tausenden, stehen an den Strecken Millionen Zuschauer. Das wird auch bei der 98. Austragung der Fall sein. Dafür sorgen allein zwei simple Namen: Galibier. Alpe d'Huez. Sie erzeugen bei Radsportfans eine Gänsehaut und bei Radsportlern Kopfzerbrechen, Übelkeit und die berühmte Frage: Warum?

"Monster" Galibier

Der Galibier gehörte erstmals 1911 zur Tour. 100 Jahre später wird der Monsterberg von zwei Seiten befahren.

Der Galibier gehörte erstmals 1911 zur Tour. 100 Jahre später wird der Monsterberg von zwei Seiten befahren.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Pass über den Col du Galibier steht erstmals 1911 auf dem Tour-Programm, er feiert damit sein 100-jähriges Tour-Jubiläum in diesem Jahr. Und genau wie vor hundert Jahren jagt er den Fahrern noch immer Schauer über den Rücken. Eine seiner vielen Spitznamen: das Monster. Den Titel trägt er vollkommen zu Recht. Der Gipfel liegt auf einer Höhe von 2645 Metern über dem Meeresspiegel. 34,9 Kilometer ist der Anstieg hinauf lang - und die Wetterlage gilt als alles andere als beständig. Als besonderes Geburtstagsgeschenk an den Galibier muss das Peloton in diesem Jahr von der Südseite und der Nordseite auf Klettertour gehen. Zudem ist der Galibier zum ersten Mal Etappenziel, das bedeutet: Bergankunft.

Der Anstieg von der Südseite ist lang und zäh, der von der Nordseite dafür steil - und 2011 nur der Aufgalopp zu einem weiteren mythischen Anstieg, dem nach Alpe d'Huez. Rund 15 Kilometer lang, 21 Kehren, im Schnitt 7,7 Prozent Steigung. Nackte Zahlen, die ein Spektakel erwarten lassen und wohl auch den Showdown der diesjährigen Tour. Galibier und Alpe d'Huez stehen am Ende der Rundfahrt auf dem Programm, am 21. Und 22. Juli. Es folgen nur noch das 42 Kilometer lange Einzelzeitfahren und das "Schaufahren" auf dem Champs-Élysées.

Contador oder Schleck? Egal!

Die Favoriten der Tour 2011 kennen sich aus dem Duell von 2010: Andy Schleck (l.) und Alberto Contador (r.).

Die Favoriten der Tour 2011 kennen sich aus dem Duell von 2010: Andy Schleck (l.) und Alberto Contador (r.).

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Sieger ist dabei egal. Ob Top-Favorit, Titelverteidiger und Sieger des Giro 2011, Alberto Contador oder der Tour-Zweite 2010, Andy Schleck - beiden haftet der Doping-Ruch an. Aus deutscher Sicht sind die spannendsten Fragen: Schafft es Tony Martin in die Top Ten? Und kann sich Sprinter Andre Greipel bei seiner ersten großen Fahrt durch Frankreich in die Liste der Etappensieger einschreiben?

Die Doping-Diskussionen werden auch während der Tour weitergehen. Auch deshalb, weil die anhaltenden Dopingberichte und -beichten die Sponsoren vertrieben haben und es kein deutsches Profiradteam mehr gibt. Zudem ziehen sich ARD und ZDF 2012 aus der Tour-Berichterstattung zurück. Der Dopingsumpf im Radsport bleibt in Deutschland zu Recht ein großes Thema, im Gegensatz zu anderen Ländern.

Sturz ohne Folgen bei der Tour 2003: Armstrong fädelt mit seinem Rad in einen Einkaufsbeutel ein und landet auf dem Asphalt. Die Konkurrenz um den Deutschen Jan Ullrich und den Spanier Iban Mayo kann kein Kapital darausschlagen - Radfahrer-Ehre.

Sturz ohne Folgen bei der Tour 2003: Armstrong fädelt mit seinem Rad in einen Einkaufsbeutel ein und landet auf dem Asphalt. Die Konkurrenz um den Deutschen Jan Ullrich und den Spanier Iban Mayo kann kein Kapital darausschlagen - Radfahrer-Ehre.

(Foto: REUTERS)

Die meisten Radsport-Fans versuchen aber das allgegenwärtig erscheinende Thema "Doping im Radsport" zumindest für die drei Wochen der Tour auszublenden - so lange wie es eben geht. Sie haben ein feines Gespür für die Leistungen der Fahrer. Nicht umsonst wurde Contador beim diesjährigen Giro ob seiner dominanten Fahrweise beschimpft und ausgepfiffen. 1975 ging es sogar soweit, dass ein Radsportfan dem damaligen Dauersieger und "Kannibalen" Eddy Merckx auf einer Etappe in die Nieren schlug. Das Ergebnis: Bernard Thevenet gewann und die Merckx Siegesserie in Frankreich war beendet.

Duelle der Asphalt-Cowboys

Und auch der "Beutel-Sturz" von Dauersieger Lance Armstrong 2003 könnte in manchen Augen als Angriff eines Fans auf den "Tourminator" gelten, der obwohl siebenfacher Tour-Gewinner, nie an die Beliebtheit von Louison Bobet heranreichen wird, dem ersten Fahrer, dem es gelang, drei Rundfahrten in Folge zu gewinnen (1953-55).

Was zählt, ist nicht nur der große Name und Seriensiege. Der "Mythos Tour" lebt vor allem von den Duellen der Sportler untereinander und mit der Natur. Wie 1949: Die beiden Italiener Fausto Coppi und Gino Bartali sind Erzfeinde. Der Eine gönnt dem Anderen nicht die Butter auf dem Brot. Aber das völlig undenkbare passiert. Um den Tour-Sieg nach Italien zu holen, verbünden sich die beiden, machen gemeinsame Sache - ähnlich wie Oliver Kahn und Jens Lehmann bei der Fußball-WM 2006 - und düpieren so den Rest des Pelotons. Coppi siegt.

Tour-Teufel Didi Senft: Ein Frankreich-Rundfahrt ohne ihn ist kaum mehr vorstellbar.

Tour-Teufel Didi Senft: Ein Frankreich-Rundfahrt ohne ihn ist kaum mehr vorstellbar.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Ewig in Erinnerung wird auch das Duell Greg LeMond gegen Laurent Fignon bleiben. LeMond schien 1989 bereits geschlagen. Fignon hatte in den Alpen und Pyrenäen einen scheinbar sicheren Vorsprung herausgefahren. Dann schlug LeMonds Stunde beim Zeitfahren. Am Ende siegte der Amerikaner mit acht Sekunden Vorsprung. Fignon wird als tragischer Held gefeiert und ist bei den Fans der "Sieger der Herzen“.

Liebenswerte Randnotizen

Der "Mythos Tour" lebt auch wegen der kleinen Geschichten am Rande, der liebenswerten Anekdoten: Rotwein als Wasserersatz half so manchem Fahrer bei den allerersten Tour-Austragungen über die Etappen. Gebrochene Rahmen, die die Fahrer noch selber schweißen mussten. Auch das gehört zur Frankreich-Rundfahrt.

Und genau wegen all dieser Geschichten und der immer noch unmenschlich erscheinenden Leistungen der Radprofis strömen Millionen an die Strecken der Tour, sitzen weltweit Hunderte Millionen an den TV-Bildschirmen - die Tour wird in 190 Länder übertragen - und fiebern mit den Sportlern mit. Der "Mythos Tour", drei Wochen lang erwacht er zum Leben, in jedem Jahr. Doping hin oder her.

Quelle: ntv.de

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