Wie der BVB auf Schlittschuhen Eishockey glänzt wieder
06.05.2011, 09:23 UhrAls sensationeller Vorrundensieger ist die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft in die WM-Zwischenrunde eingezogen. Das Viertelfinale ist den Kriegern auf Kufen, wie Bundestrainer Uwe Krupp sein Team nennt, statistisch nicht mehr zu nehmen. Deutschland freut und wundert sich zugleich über das DEB-Team, weil es plötzlich Eishockey spielt wie Borussia Dortmund Fußball.
Ein Sieg noch aus drei Spielen, vielleicht schon heute ab 16.15 Uhr gegen Finnland, und die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft steht im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Unter den besten acht Mannschaften der Welt. Dort also, wohin das Team von Uwe Krupp nach eigener Auffassung gar nicht gehört, auch wenn die Heim-WM 2010 mit dem sensationellen Halbfinal-Einzug unerwartet entzückend geraten war.
"Weltspitze? Das ist populistisch", hatte Krupp in der "Süddeutschen Zeitung" entrüstet zarte Andeutungen zurückgewiesen, ob nicht höhere Erwartungen an das DEB-Team als nur der angestrebte Klassenerhalt gerechtfertigt seien. Krupps Credo lautet: "Der vierte Platz bei der Heim-WM war unser Miracle on Ice, das ist nicht wiederholbar." Das war vor dem Turnierstart. Dann kam der überzeugende 2:0-Auftaktsieg gegen Rekordweltmeister und Titelanwärter Russland ("Historischer Moment", DEB-Sportdirektor Franz Reindl), dem das deutsche Team einen nicht minder überraschenden 4:3-Erfolg über Gastgeber und Titelanwärter Slowakei ("Das ist unfassbar", Stürmer John Tripp) folgen ließ. Schon nach zwei Spielen stand der Sieg in Gruppe A fest, die im WM-Vorfeld noch als äußerst unangenehm eingeschätzt worden war.
Als das DEB-Team trotz 0:2-Rückstands auch noch das im Vorfeld als deutsches Endspiel ums Weiterkommen erwartete, letztlich aber sportlich bedeutungslose Spiel gegen Slowenien gewann, stand fest: Im deutschen Eishockey-Fotoalbum muss bis in den Schwarz-Weiß-Bereich zurückgeblättert werden, um einen vergleichbar erfolgreichen Start in eine WM zu finden - falls es vom Turnier 1930 überhaupt Fotos gibt. In Deutschland wächst mit jedem Sieg nicht nur die Eishockey-Begeisterung, sondern auch die Erwartungshaltung. Weil Eishockey nicht kontinuierlich im Fokus steht, strahlen die seltenen Glanzlichter umso heller und blenden Realismus komplett aus. Selbst vom Weltmeister-Titel für Uwe Krupp und seine Mannen wird schon geträumt, was die Augen des Bundestrainers arg beansprucht – weil er sie immer genervt verdreht, wenn er zu Vokabeln wie Wunder und WM-Medaille Stellung nehmen soll.
Ein Wunder ist sie vielleicht wirklich nicht, die neue deutsche Eishockeystärke. Eine Überraschung aber allemal. Nur – woran liegt’s? Eine Spurensuche:
1. Der Tiefpunkt

Debakel in Bern: Krupp ging mit seiner Mannschaft bei der WM 2009 unter, erstand aber wieder auf.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Erst kamen die Gesänge, dann das Bier. Nachdem das Publikum Uwe Krupp 2009 schon während der 1:2-Blamage im WM-Vorrundenspiel gegen Frankreich mit "Uwe, das war dein letztes Spiel"-Sprechchören schmähte, übergoss ihn anschließend ein Fan auch noch mit Bier, zur Strafe. Auch sonst war das Turnier ein Reinfall und hätte mit dem Abstieg geendet, wäre Deutschland als Ausrichter der nächsten WM nicht unabsteigbar gewesen. Heute sagt Krupp über das Debakel in Bern: "Das war unser Schlüsselerlebnis." Damals durfte er nicht nur bleiben, sondern er zog auch die richtigen Schlüsse: Baute das Trainerteam wurde um, professionalisierte die Turniervorbereitung, passte die Taktik den Fähigkeiten der Spieler an und hielt den Kern des Teams zusammen – um ihm Gelegenheit zur Wiedergutmachung zu geben und einen Mannschaftsgeist zu entwickeln.
2. Der Glaube
Die Erkenntnis ist banal, aber sie ist unendlich wertvoll: "Die spielen auch nur Eishockey", hat Stürmer Felix Schütz gesagt, nachdem das deutsche Team gegen Russland und die Slowakei triumphiert hatte. Den großen Respekt vor großen Namen haben die DEB-Cracks gegen den großen Glauben getauscht, jede Mannschaft schlagen zu können. Weil dazu Tore hilfreich sind und Deutschland davon meist zu wenige geschossen hat, spielt das DEB-Team neuerdings Eishockey wie Borussia Dortmund Fußball: Aggressiv und sicher in der Abwehr, schnörkellos und abschlussfreudig im Angriff. Das Motto gibt Kapitän Michael Wolf vor: "Jeder Schuss ist ein guter Schuss."
3. Der Einsatz
Die Spielweise des Krupp-Teams, auch das eine Parallele zum BVB, ist ungeheuer aufwendig. Das schnelle Umschalten zwischen Defensive und Offensive, das praktisch jeden Angriff zum Konter macht, funktioniert nur mit hoher Laufbereitschaft und unbedingtem Einsatzwillen. Die deutschen Spieler sind keine Künstler auf Kufen, betont Uwe Krupp stolz, im Gegenteil: "Meine Jungs sind Krieger." Wenn er den Erfolg erklären soll, nennt er "unsere deutschen Tugenden Arbeit, Fleiß und Ehrgeiz". Damit die Spieler körperlich umsetzen können, was der Chef verlangt, hat Krupp in der Vorbereitung Wert auf Fitness und Teamgeist gelegt. Der WM-Zug fuhr deshalb ohne großen Spielerblock der DEL-Finalisten Berlin und Wolfsburg an Bord ab. In der Slowakei stehen in Abwesenheit aller NHL-Profis definitiv nicht die besten deutschen Eishockeyspieler auf dem Eis, aber die beste deutsche Mannschaft. Die spielt bisher so gut wie selten zuvor, und belohnt sich auch dafür.
4. Der Rückhalt

Titan Dennis: Keeper Endras erregt mit seiner herausragenden Leistung längst international Aufmerksamkeit.
(Foto: REUTERS)
Der erste WM-Sieg gegen Russland nach 37 vergeblichen Anläufen war historisch und einer überragenden Teamleistung geschuldet, aus der dennoch ein Deutscher herausragte: Dennis Endras, 25 Jahre alt, Torwart und künftig bei den Minnesota Wild in den USA unter Vertrag. Bei der Heim-WM 2010 war Endras als Torwart bester Spieler des Turniers, der Boulevard taufte ihn "Eis-Titan". Nach dem Spiel gegen Russland mutmaßte Teamkollege Wolf: "Vielleicht ist er schon einer besten Torhüter der Welt." Zuvor hatte Endras mit 31 Paraden nicht nur erneut kolossal gehalten, sondern auch seine Stellung als Star des deutschen Eishockeys untermauert: Einen Shutout gegen Russland hatte es in den 94 Spielen zuvor nie gegeben, dafür aber 653 Gegentore.
5. Der Trainer
Uwe Krupp wird ein Spruch zugeschrieben, der das Auftreten der deutschen Mannschaft in der Slowakei gut beschreibt, er lautet: "Schulterklopfen ist nur 50 Zentimeter von einem Tritt in den Hintern entfernt." Nach dieser Maxime hat der Kölner, der 17 Jahre lang in der NHL als eisenharter Verteidiger gewirkt und als bisher einziger deutscher Spieler den Stanley-Cup gewonnen hat, die deutsche Mannschaft seit 2005 nach seinen Vorstellungen geformt. Und davor bewahrt, nach dem Erweckungserlebnis Heim-WM, das den Spielern die eigenen Fähigkeiten erst bewusst gemacht hat, abzuheben. "Wir stehen zwar auf dem Eis, aber er stellt uns auf und schwört uns ein, er ist unser Kopf", lobt Kapitän Wolf seinen Coach. Er muss es wissen, denn der Torjäger verkörpert mit seiner Spielweise des nimmermüden Kämpfers Krupps Philosophie perfekt. DEB-Präsident Uwe Harnos bescheinigt seinem Bundestrainer eine "phänomenale Gabe" und wird ihn nach der WM dennoch zu den Kölner Haien ziehen lassen. Bis dahin darf noch ein bisschen geträumt werden, denn selbst Krupp sagt schließlich: "Wir wollen weiter nach oben."
Quelle: ntv.de