Sport

"Anzug-Doping" Finale in knappen Hosen

Mit einer bislang einmaligen Protestaktion haben Thomas Rupprath und Helge Meeuw bei der Kurzbahn-EM in Rijeka für einen Eklat gesorgt. Rupprath und Meeuw starteten im Finale über 50 Meter Rücken in altertümlichen Badehosen, schenkten damit eine Medaille freiwillig ab und brachten so den Unmut über die Situation im Schwimmsport mit der Entwicklung der Wettkampfanzüge zum Ausdruck. Bronze für die Freistilstaffel der Frauen geriet durch die Aktion beinahe völlig in den Hintergrund.

Zuvor hatte schon Paul Biedermann mit einer Boykott-Ankündigung des Wettkampfanzugs für die WM 2009 in Rom die Wellen beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV) hochschlagen lassen und den Verband sowie DSV-Ausrüster adidas unter Druck gesetzt. Der Europameister will das Material des Ausrüsters des Deutschen Schwimm-Verbandes nicht mehr akzeptieren, weil er um seine Konkurrenzfähigkeit fürchtet. "Ich werde die WM in Rom nicht in adidas schwimmen, das steht für mich fest", sagte Biedermann.

Freie Anzug-Wahl gefordert

Der 22-Jährige aus Halle/Saale plädierte wie andere Teammitglieder für eine freie Anzug-Wahl. DSV-Sportdirektor Lutz Buschkow verwies auf den bis Ende 2009 laufenden Vertrag und betonte: "Der DSV hält sich daran. Wir sind zuverlässige Vertragspartner."

Alle Schwimmer sind laut Vertrag bei EM, WM oder Olympia an den offiziellen Ausrüster gebunden. Ob vor allem die Aktion von Rupprath und Meeuw ein Nachspiel haben wird, ist noch offen.

"Das hat nicht mehr viel mit Schwimmen zu tun. Hier kommen Leute, die wir sonst im Griff haben und nehmen uns unsere Rekorde und Medaillen weg", schimpfte Rupprath und forderte: "Entweder es gibt bald einheitliche Regeln oder wir sollten zumindest die Anzüge frei wählen können."

Rupprath verlor im Halbfinale nicht nur seinen Europarekord an den Slowaken Lubos Krizko (23,15) sowie seinen Titel an den Russen Stanislaw Donez (23,22), sondern verfehlte in knapper Badehose als Fünfter (24,18) sogar eine Medaille. Der Frankfurter Meeuw (24,36) belegte im Endlauf den letzten und achten Rang und meinte im Anschluss: "Wir wollten ein klares Zeichen setzen. Uns geht das so auf den Keks."

Frauen-Staffel holt Bronze

Einziges Edelmetall am Freitag holte die DSV-Staffel der Frauen. In der Besetzung Dorothea Brandt, Petra Dallmann, Lisa Vitting und Daniela Schreiber musste sich das Quartett in 1:38,06 Minuten nur der Weltrekordstaffel der Niederlande (1:33,80) und Schweden (1:38,00) geschlagen geben.

Zuvor hatte der Wahl-Hamburger Steffen Deibler über 100 m Freistil in 47,77 Sekunden als Achter beim zweiten Weltrekord des Franzosen Amaury Leveaux (45,12) den Einzug ins Finale geschafft. Biedermann schied auf ungewohnter Strecke einen Tag nach seinem EM-Titel über 400 m indes als Neunter trotz persönlicher Bestzeit (47,80) knapp aus.

Ausrüstung verspätet geliefert

Die deutschen Schwimmer sind seit langem mit den Anzügen unzufrieden, zudem sorgte eine Lieferpanne in Rijeka für neuen Unmut. Schon bei der Anreise hatte es Ärger um die Ausrüstung gegeben. Die DSV-Schwimmer erhielten nach Problemen mit dem kroatischen Zoll ihre Anzüge erst unmittelbar vor EM-Beginn am Donnerstag. Zudem fehlte in Rijeka weitere Ausrüstung. "Viele von uns haben nicht einmal einen Anzug oder ein T-Shirt. Das ist natürlich extrem peinlich und frustrierend", sagte Biedermann dem ARD-Hörfunk. adidas-Sprecher Oliver Brüggen betonte dagegen: "Die Anzüge sind in Absprache mit dem DSV Ende der vergangenen Woche und am Montag rechtzeitig ausgeliefert worden."

Bereits vor Olympia hatten mehrere deutsche Athleten angesichts der Weltrekordflut der Konkurrenz eine freie Anzug-Wahl gefordert, waren dafür teilweise abgemahnt und mit Geldstrafen belegt worden. Der Vertrag mit adidas bringt dem DSV nach Schätzungen etwa eine Million Euro jährlich an Sach- und Geldwerten ein. Derzeit laufen Verhandlungen. Da passt die erneute Kritik gar nicht. "Es sind weitere Gespräche geplant. Vertragsdetails werden bei adidas und dem DSV grundsätzlich nicht öffentlich diskutiert", sagte adidas-Sprecher Brüggen. In Peking schwamm Britta Steffen im adidas-Anzug zum Doppel-Olympiasieg.

"Anzug macht einen großen Unterschied"

Den zu erwartenden finanziellen Verlust des Verbandes bei einer freien Anzugwahl wollen die Schwimmer mittragen. "Wir sind bereit, Trainingslager und Wettkämpfe selber zu zahlen. Wir wünschen uns alle, dass wir uns allein an den Leistungen messen können", sagte Biedermann, der seine Europarekorde im Dress eines anderen Ausrüsters schwamm. "Wir werden alles dafür tun, dass wir die gleiche Chance haben wie die Konkurrenz", sagte Teamkollege Steffen Deibler. Janne Schäfer, die Vize-Europameisterin über 50 Meter Brust: "Der Anzug macht schon einen großen Unterschied. Das beweisen die Rekorde."

"Das ist schon Anzug-Doping"

Der neue Bundestrainer Dirk Lange zeigte Verständnis für die Nöte seiner Sportler, meinte aber auch: "Man kann nicht alles auf die Anzüge reduzieren, es hat nichts mit dem Anbieter zu tun. Das ist ein grundsätzliches Problem." Wegen fehlender Regeln des Weltverbandes FINA könne derzeit fast jeder machen, was er will. So würden schon zwei oder drei Anzüge übereinander getragen, um mit einem Luftpolster und einem entsprechenden Auftrieb schneller zu sein. "Das ist schon Anzug-Doping", sagte Lange. Er hofft auf eine gemeinsame Regelung bei einem internationalen Trainer-Treffen im Januar.

Die einen streiten, die anderen schwimmen Rekorde

Während beim DSV über die Anzüge gestritten wurde, ging die Rekordflut weiter. Für einen weiteren Höhepunkt sorgte die Olympia-Zweite Alessia Filippi aus Italien mit Weltrekord über 800 m Freistil (8:04,53). Europarekorde stellten Lokalmatadorin Sanja Jovanovic über 100 m Rücken (57,87), der Ukrainer Igor Borisik über 100 m Brust (57,33), der Serbe Milorad Cavic über 100 m Schmetterling (49,19) sowie die Niederländerin Hinkelin Schreuder über 50 m Schmetterling (25,21) auf.

Quelle: ntv.de

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